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August Gutjahr (1883 - 1942)

„Wo er Geld findet lässt er’s liegen“

27.11.1942 KZ Mauthausen
18.12.1942 Tod im KZ Mauthausen

August Gutjahr wurde am 22. Februar 1883 in Lauffen am Neckar geboren und ist dort auch aufgewachsen. Er absolvierte eine Ausbildung zum Gerber und verdiente sich hin und wieder ein Zubrot als Tagelöhner. Seine Geschwister blieben in Lauffen am Neckar wohnhaft und waren laut dortiger Heimatbehörde „geordnete Leute und zeigen keinerlei Degenerationserscheinungen“. Gutjahr selbst war nicht verheiratet und seit seinem 21. Lebensjahr wohnungslos, hat sich jedoch häufig in den Nachbargemeinden von Lauffen am Neckar aufgehalten. „Obwohl er schon seit 14 Tagen wegen wiederholter Diebstähle steckbrieflich verfolgt wird, ist es ihm noch gar nicht eingefallen, die teure Heimat zu verlassen; (…) Tagsüber versteckt er sich in Scheunen; bei Nacht geht er auf Raub aus, wobei er eine vorzügliche Lokalkenntnis verrät“, schrieb die Heilbronner Neckarzeitung über ihn im November 1909. Er hatte sich nachts meist barfuß oder in Socken mit einem Krug und einem Sack ausgestattet in fremde Keller aufgemacht und den Sack mit mehreren Gläsern Eingemachtem oder Hausmacherwürsten und den Krug mit Most aus einem Fass gefüllt. Wie die Heilbronner Neckarzeitung in selbiger Ausgabe weiter zu berichten wusste, verachtete er „den schnöden Mammon(…), wo er Geld findet lässt er’s liegen. Aber ‚bei Würsten lässt sich‘s bürsten‘, denkt er und nimmt so viel er kriegen kann…“.

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Gutjahr
Artikel aus der Heilbronner Neckarzeitung vom 6.11.1909

Als ihn das Schöffengericht Stuttgart im Sommer 1930 zu drei Jahren Zuchthaus verurteilte, listete sein Vorstrafenregister bereits 18 frühere Strafen auf, die er unter anderem wegen Diebstahl, Hausfriedensbruch, Bettelns und Landstreicherei im Arbeitshaus, Gefängnis und Zuchthaus verbüßt hatte. In der Urteilsbegründung ist darüber vermerkt: „Bei der Strafzumessung wurde ihm angesichts der zahlreichen und schweren Vorstrafen und seines die Sicherheit des Eigentums besonders gefährdenden Treibens die Zubilligung mildernder Umstände versagt.“
Das „die Sicherheit des Eigentums besonders gefährdende Treiben“ bestand bei seiner Verurteilung im März 1925 darin, dass er elf Einmachgläser mit Braten und Wurst, einige Stücke Brot und zwei Flaschen Schnaps in den Gemeinden Hessigheim und Walheim gestohlen hatte. Dafür wurde er zu zwei Jahren und sechs Monaten Zuchthaus verurteilt, für fünf Jahre wurden ihm die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt. Zu den Gefängnis- und Zuchthausstrafen kamen während seiner Haftzeit mehrere Arreststrafen wegen Arbeitsverweigerung hinzu. Beispielsweise im April 1931, so die Strafgefangenenakte, wegen eines Hungerstreiks: „…da ihm Kautabak nicht genehmigt werden konnte, verweigerte er dauernd die Arbeit, beschimpfte in gemeiner Weise das Beamtenpersonal, lehnte den Hausarzt in schroffer Weise ab und benahm sich in abscheulicher Weise, wie es von einem verkommenen Handwerksburschen nicht anders zu erwarten war. Monatelange Arreststrafen vermochten nicht seinen Eigensinn zu brechen.“

Bereits im Juli 1927, lange bevor die Nationalsozialisten das Land regierten, war die Meinung verbreitet, Menschen wie August Gutjahr seien psychisch krank und psychische Krankheiten würden vererbt werden. Der damalige Direktor des Ludwigsburger Zuchthauses hatte sich vergeblich darum bemüht, die Haftentlassung Gutjahrs durch eine psychiatrische Beobachtung in der „Irrenabteilung“ des Gefängnisses Hohenasperg zu vereiteln. Gutjahr wurde dort zwar psychiatrisch beobachtet, jedoch führte dies nicht zu einer dauerhaften Verwahrung. Während einer späteren dreijährigen Haft (1931-1933) war er erneut erfolglos aufgrund seiner „eigenartigen psychischen Einstellung“ zur Beobachtung auf den Hohenasperg verlegt worden. Darüber hinaus bat die Zuchthausverwaltung Ludwigsburg das Pfarramt in Lauffen am Neckar und die Gemeindeverwaltung in Illingen, dem früheren Wohnort seiner Mutter, um Auskunft darüber, ob es in den Familien irgendwelche Auffälligkeiten (Kriminalität, Geisteskrankheiten, Selbstmörder oder ähnliches) gäbe und begründete dies damit, dass Gutjahr „psychisch eigenartig und seit seinem 21. Lebensjahr auf der Landstrasse oder in Strafanstalten“ lebe. Die Antworten fielen negativ aus. Es gab keine familiären Vorbelastungen und damit war auch dieser Psychiatrisierungsversuch gescheitert. Die Zuchthausverwaltung blieb jedoch hartnäckig und schrieb in ihrem Abschlussgutachten vor der Entlassung im März 1933: „Gutjahr ist ein verlorener Posten. Er ist ein notorischer Dieb und Landstreicher, der wohl nicht mehr zu bekehren ist. Eine dauernde Verwahrung wäre das einzige Mittel, um ihn unschädlich zu machen.“  

Am 27.11.1942 ist der Zugang Gutjahrs im KZ Mauthausen registriert. Er wurde als sogenannter "Berufsverbrecher", kurz "BV" unter der Häftlingsnummer 14996  geführt. Am 18. Dezember 1942 ist er im Alter von 59 Jahren infolge der mörderischen Lebens- und Arbeitsbedingungen im Konzentrationslager Mauthausen verstorben.

Im "Raum der Namen" auf der Homepage der Gedenkstätte Mauthausen wird August Gutjahr zusammen mit mehr als 84.000 im Lagersystem Mauthausen verstorbenen Häftlingen genannt. Dies ist vermutlich ein erster öffentlicher Hinweis auf sein Verfolgungsschicksal.

Die Markierung auf der Übersichtskarte weist auf das Rathaus des Geburtsortes Lauffen am Neckar, da Gutjahr vor der Verhaftung wohnungslos war.


Quellen und Literatur
Staatsarchiv Ludwigsburg: E 356 d III Bü 305 und 1072

ITS Digital Archiv, Arolsen Archives:
1.1.26.1 Zugangsliste Mauthausen/ Gutjahr August

Mauthausen Memorial https://raumdernamen.mauthausen-memorial.org

 

Bildnachweis

Staatsarchiv Ludwigsburg: E 356 d III Bü 1072


© Text und Recherche:
Ingrid Bauz, Stuttgart
Stand: Juli 2021
www.kz-mauthausen-bw.de