Kurt Baer (1912 - 1941)
"Ein ganz übel beleumundeter, frecher Jude"
07.02.1935 – 15.11.1935 Schutzhaft Kislau
13.03.1936 – 16.12.1937 Haft wegen „Rassenschande“
11.11.1938 – 23.01.1939 KZ Dachau
April 1941 KZ Mauthausen
21.10.1941 gestorben im KZ Mauthausen
Kurt Baer (auch: Bär) wurde am 17. März 1912 in Karlsruhe als viertes Kind der jüdischen Eltern Julius und Zilly (Zilli, Cilli) Baer, geborene Schwarzwälder, geboren. Die Familie wohnte zur Zeit seiner Geburt in der Kaiserstraße 22 in Karlsruhe. Kurt Baer wuchs in prekären sozialen Verhältnissen auf. Sein aus Untergrombach stammender Vater Julius Baer, von Beruf Metzger, schlug sich in Karlsruhe als Handelsvertreter durch. Die Ehe der Eltern wurde 1930 geschieden. Die Mutter Zilly starb im Jahr darauf nach einem Suizidversuch. Der Vater wurde im Oktober 1940 in das südfranzösische Internierungslager Gurs deportiert wo er umkam.
Kurt Baer absolvierte nach der Volksschule in Karlsruhe eine kaufmännische Lehre in der Zigarrenfabrik Gebrüder Weil in Graben (heute: Graben-Neudorf) bei Karlsruhe. Eine anschließende Beschäftigung im Kaufhaus Tietz in Karlsruhe endete Ende August 1933 mit seiner Entlassung, worauf er sich eine Zeitlang mit landwirtschaftlichen Arbeiten in der Gegend um Bordeaux über Wasser hielt. Am 17. November 1933 kam ein Sohn aus seinem unehelichen Verhältnis zu einer nichtjüdischen Hausgehilfin zur Welt. Nach seiner Rückkehr aus Frankreich anerkannte er am 7. November 1934 die Vaterschaft.
Am 7. Februar 1935 wurde er aus nicht genannten Gründen in Schutzhaft genommen und in die Schutzhaftabteilung des badischen Landesarbeitshauses Kislau (Bad Mingolsheim) eingewiesen. Weil er Anfang 1935 eine andere nichtjüdische Hausangestellte belästigt und geküsst habe, wurde er vom Amtsgericht Karlsruhe wegen „tätlicher Beleidigung“ (§ 185 RStGB) am 21. Februar 1935 zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Für die Dauer dieses Strafvollzugs wurde die Schutzhaft unterbrochen. Am 15. November 1935 wurde er aus der Schutzhaft nach Karlsruhe beurlaubt, wobei ihm zur Auflage gemacht wurde, sich "in sittlicher Hinsicht eines einwandfreien Lebenswandels" zu befleißigen.
Bereits vier Monate nach der Schutzhaftentlassung wurde Kurt Baer wegen des Vorwurfs der „Rassenschande“ inhaftiert, da er noch nach dem Inkrafttreten des „Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ vom 15. September 1935 mit der Mutter seines Sohnes geschlechtlich verkehrt habe. Am 16. Juni 1936 wurde er deswegen vom Landgericht Karlsruhe zu einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Baer, den der Direktor des Landesgefängnisses Mannheim als eine „debile, minderwertige, seelisch abwegige, degenerierte Persönlichkeit“ beschrieb, verbüßte seine Haftstrafe für sein „Rassenschande“-Delikt bis zum 16. Dezember 1937. Vermutlich im direkten Anschluss an die Haftentlassung kam er in die Heil- und Pflegeanstalt Illenau in Achern.
Die nächste Maßnahme gegen ihn erfolgte wenig später. Am 3. Mai 1938 wurde er wegen Fahrraddiebstahls im Wartesaal des Pforzheimer Bahnhofs festgenommen und ins Gerichtsgefängnis eingeliefert. Bei dieser Gelegenheit stellte die Polizei fest, dass sein Reisepass nur für das Inland Gültigkeit hatte. Dennoch, so die Polizeidienstelle, habe „der jüdische Passinhaber am 22. April 1938 vom französischen Konsulat in Karlsruhe ein Visum zur Ausreise nach Frankreich erschlichen“. Baers Reisepass wurde deshalb eingezogen. Wegen des Fahrraddiebstahls musste er drei Monate ins Gefängnis.
Baer bemühte sich weiter um eine Ausreisemöglichkeit. Die Auswandererberatungsstelle Karlsruhe bescheinigte ihm am 12. August 1938, dass er „die ernsthafte Absicht hat, nach Palästina auszuwandern und zwar zu seinem Bruder nach Haifa“. Dazu benötige er einen Reisepass für das Ausland. Die Gestapo hatte keine Einwände gegen die Ausstellung eines solchen Papiers. Auch nicht die NSDAP-Kreisleitung Karlsruhe: „Der Jude Bär ist als echter Talmu-Jude [sic] bekannt; er ist ein ganz übel beleumundeter, frecher Jude, der schon verschiedene Male mit der Kriminal- und Geheimen Staatspolizei zu schaffen hatte“. Einer Auswanderung des Baer stehe seitens der Parteistelle „nichts im Wege“. Dennoch kam es dazu nicht.
Wie zahlreiche andere jüdische Männer wurde auch er im Zuge des Reichspogroms im November 1938 in das Konzentrationslager Dachau verbracht (Häftlingsnummer 20843). Zwar wurde er am 23. Januar 1939 aus diesem Lager wieder entlassen (sein Bruder stellte einen Antrag bei den britischen Mandatsbehörden für Kurts Einwanderung nach Palästina), doch bedeutete dies für ihn nicht die Freiheit, sondern eine erneute temporäre Einweisung nach Kislau. Danach stand er, stigmatisiert als „Jude“ und obendrein als „Asozialer“, chancenlos auf der Straße und war in der Folge weiteren Sanktionen des NS-Staates ausgesetzt. Wegen Bettelns und Landstreicherei wurde er im Juni 1939 vom Amtsgericht Rastatt zu zwölf Wochen Gefängnis mit anschließender Unterbringung im Arbeitshaus verurteilt.
Kurt Baers weiterer Lebensweg ist nicht lückenlos belegt. Zum Termin der Deportation der badischen Juden nach Gurs vom 22. Oktober 1940 befand er sich nicht in Baden. Aber er blieb im Visier der NS-Verfolgungsbehörden. Da kein weiteres Gerichtsurteil gegen ihn vorlag, ist davon auszugehen, dass er Opfer der Gestapowillkür wurde. Für den 6. Februar 1941 ist seine Haft in der Straf- und Untersuchungshaftanstalt Darmstadt nachgewiesen. Ebenso belegt ist sein Aufenthalt vom 13. bis 16. Juni 1941 wegen „Verschubung Kislau“ im Landgerichtsgefängnis Kislau. Nach der Jahresmitte 1941 kam er in das KZ Dachau (Häftlingskategorie „Schutzhaft Jude“). Von Dachau wurde er zu einem unbekannten Zeitpunkt in das KZ Mauthausen überstellt. Dort starb er am 21.Oktober 1941 im Alter von 29 Jahren. Offizielle Todesursache: „auf der Flucht erschossen“.
Wiedergutmachungsanträge wurden 1955 von Kurt Baers überlebendem Bruder Norbert und der Tochter seiner Zwillingsschwester Karola gestellt. Der ältere Bruder Norbert, der 1936 nach Palästina ausgewandert war, beantragte am 30. Juli 1956 beim Landesamt für die Wiedergutmachung Karlsruhe zusätzlich Wiedergutmachung wegen eines Schadens „im beruflichen Fortkommen“ gemäß Bundesentschädigungsgesetz (BEG) vom 29. Juni 1956. Der Antrag wurde 1960 zurückgewiesen, da ein Anspruch auf Entschädigung gemäß § 46 BEG nur dann vererblich sei, wenn der Verfolgte „von seinem Ehegatten, seinen Kindern, seinen Enkeln oder seinen Eltern“ beerbt wurde. Geschwister zählten nicht zu den „privilegierten Erben“.
Die Markierung auf der Übersichtskarte zeigt die Steinstraße 22 in Karlsruhe, wo Kurt Baer nach häufigen Wohnsitzwechseln zuletzt lebte.
Quellen und Literatur
ITS Digital Archive, Arolsen Archives
DocID: 12056383; 12071602; 70309358; 130429434
TD 481919
Generallandesarchiv Karlsruhe
480 Nr. 27147 (Wiedergutmachung)
330 Nr. 63 (Passangelegenheit 1938)
520 Zugang 1981-51 Nr. 452 (Justizvollzugsanstalt Karlsruhe: Gefangenenpersonalakten)
521 Nr. 228 (Kislau)
Staatsarchiv Freiburg
B 821/2 Nr. 4758 (Heil- und Pflegeanstalt Illenau)
Gabriele Masterson: Kurt und Julius Baer. Zur Erinnerung an die Familie Baer. Januar 2006, in: Gedenkbuch für die Karlsruher Juden (https://gedenkbuch.karlsruhe.de/namen/159)
© Recherche und Text:
Roland Maier, Stuttgart
Stand: November 2023
www.kz-mauthausen-bw.de