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Anton Köhl (1915 - 1944)

Mutmaßlicher Spion, erhängt im KZ

26.04.1941 Verhaftung in Stuttgart
06.12.1941 KZ Mauthausen
02.07.1942 KZ Stutthof
     10.1942 KZ-Stutthof-Außenlager Hopehill
15.12.1944 (amtliches Datum) exekutiert im KZ Stutthof

Anton „Toni“ Stefan Köhl wurde am 18. Dezember 1915 in Pulversheim, Kreis Gebweiler Bezirk Ober-Elsass (heute: Département Haut-Rhin), geboren. Die Eltern waren Stefan und Maria Köhl, geborene Heiter, die beide im elsässischen Wittersdorf lebten. Anton Köhl wurde katholisch getauft. Von Beruf war er Vermessungstechniker (Geometer).

In Frankreich lernte er als in Toulon stationierter Matrose 1934 seine spätere Ehefrau, die 1908 in Herrenberg geborene Ella Härther kennen. Diese war 1933 durch Vermittlung eines deutschen Pfarrers nach Paris gekommen, wo sie eine Anstellung als Kindermädchen fand. Beide standen dann längere Zeit in brieflicher Verbindung. Anton Köhl desertierte angeblich bei der französischen Marine und ging 1935 illegal über die Grenze nach Deutschland. Nach späteren Angaben der Ehefrau soll er 1936 bei einer Rückkehr nach Frankreich „von den Franzosen geschnappt“ worden sein und habe anschließend eine dreijährige Gefängnisstrafe verbüßen müssen. An der Richtigkeit dieser Angaben waren und sind Zweifel angebracht. Es bestand jedenfalls der Verdacht, dass Köhl bereits zu jener Zeit Agententätigkeiten ausübte. Gleichwohl hat man es nach dem Krieg in dem ansonsten aufwendig betriebenen Wiedergutmachungsverfahren unterlassen, nachzuprüfen, ob Köhl sich seinerzeit tatsächlich unerlaubt von der Marine entfernt hatte, wie denn auch kein erkennbarer Versuch unternommen wurde, bei französischen Stellen nähere Erkundigungen über ihn einzuziehen.

In der Zeit vor seiner angeblichen Verhaftung in Frankreich hielt er sich bei seiner späteren Ehefrau in Stuttgart auf und war vorübergehend in seiner Eigenschaft als Vermessungstechniker bei dem Architekten Körner in der Reinsburgstraße 97 beschäftigt und wohnte dort auch im Hause. Nach Angaben seines Vermieters habe er „häufig Besuch von Franzosen und Elsässern“ gehabt.

Juristisch wurde Köhl in Deutschland laut Strafregisterauszug wegen zweier Straftaten belangt. Am 1. Oktober 1935 verurteilte ihn das Bezirksamt Waldshut wegen unerlaubten Grenzübertritts zu 14 Tagen Haft. Und am 25. Januar 1937 erkannte das Gericht Stuttgart I wegen Betrugs, Amtsanmaßung und unbefugten Uniformtragens auf sechs Monate Gefängnis. Letzteres Urteil bezog sich auf einen Vorfall, bei dem Köhl in deutscher Offiziersuniform und einem erschlichenen Dienstwagen den Flugplatz in Schwäbisch Hall-Hessental besichtigte. Dieser Flugplatz war damals neu errichtet worden, um hier ein Kampfgeschwader zu stationieren. Über die naheliegende Vermutung, dass er auf diese Weise Kenntnisse über deutsche Aufrüstungsmaßnahmen zu erlangen beabsichtigt hatte, scheint das Gericht indes nicht befunden zu haben.

Nach der deutschen Besetzung Nordfrankreichs im Jahr 1940 kam Köhl wieder nach Stuttgart zurück, wo er seit September in der Reinsburgstraße 51 A als französischer Staatsbürger amtlich gemeldet war. Am 16. Dezember 1940 wurde vor dem Standesamt Stuttgart zwischen Anton Köhl und der mittlerweile bei der Stuttgarter Justiz angestellten Ella Härther die Ehe geschlossen. Das Paar hatte zu jener Zeit bereits einen im November 1936 geborenen Sohn, ein weiterer Sohn folgte im November 1941. Bis zu seiner Verhaftung war Anton Köhl bei der Städtischen Girokasse Stuttgart als Hilfskraft beschäftigt.
 
Anton Köhl wurde am 26. April 1941 in Stuttgart von dem Gestapo-Kriminalsekretär Otto Kessler verhaftet. Kessler war zu jener Zeit bei der polizeilichen Spionage-Abwehr tätig. Über die wahrscheinlichen Hintergründe gab nach dem Krieg Köhls Schwager Kurt Vieten, der bis 1935 bei der Politischen Polizei (der späteren Gestapo) in Stuttgart tätig gewesen war, zu Protokoll: "Ich war bis 1935 im Württembergischen Politischen Landespolizeiamt. Der Fall Köhl muss etwa 1936 in Stuttgart anhängig geworden sein, also nach meiner Amtstätigkeit." Er, Vieten, habe auf Nachfragen hin erfahren, "dass sich die Abwehrstelle Wehrkreis V für Köhl interessierte. Alles was in das Gebiet der Wehrmacht einschlug, musste dieser Stelle mitgeteilt werden. Später erfuhr ich von meinem [inzwischen] gefallenen Bruder, dass Köhl vom Reichsluftfahrtministerium eingesetzt wurde. Er sollte insbesondere in Frankreich über französische Hafenanlagen nähere Kenntnisse beschaffen und er versprach auch, andere französische Marineangehörige herüberzubringen". Da Köhl aber die Erwartungen nicht erfüllte, sei er vom Luftfahrtministerium fallengelassen worden. Bei der Stuttgarter Politischen Polizei sei zu erfahren gewesen, dass er in Verdacht stehe, für Frankreich zu arbeiten. "In der Folgezeit war er sehr oft bei der Politischen Polizei vorgeladen und auch öfter kurzfristig inhaftiert. Er war dort bei der Abt. III (Spionage) und Abt. IV (politischer Nachrichtendienst) anhängig." Die KZ-Einweisung müsse "von der Abt. IV durchgeführt worden sein, denn die Abt. III hätte weisungsgemäß ihn zu einem Verfahren am Volksgerichtshof abgeben müssen".

Ein ordentliches Verfahren bekam Köhl nicht. Die Gestapo brachte ihn in das Polizeigefängnis Welzheim, von wo aus er am 6. Dezember 1941 in das Konzentrationslager Mauthausen überstellt wurde. Dort wurde dem „Schutzhäftling“ die Nummer 2559 zugeteilt. Wenige Tage nach seinem Eintreffen in Mauthausen wurde wegen einer angeblichen „Lüge“ ab 15. Dezember seine einjährige Versetzung in eine nicht näher spezifizierte „Strafkompanie“ angeordnet. Noch ehe diese Strafzeit verstrichen war, wurde er am 28. Juni 1942 in einem 111 Häftlinge umfassenden Sammeltransport in das KZ Stutthof bei Danzig überführt, wo er am 2. Juli eintraf. Mit auf diesem Transport waren u.a. die aus dem heutigen Baden-Württemberg stammenden Häftlinge Adam Merkel, Richard Nuber, Alfons Schmidberger und Paul Wahl. Das KZ Stutthof dürfte zumindest theoretisch eine leichte Verbesserung der Lage dieser Häftlinge gebracht haben, war dieses doch im Gegensatz zu Mauthausen ein Lager der Stufe 1, was nominell für weniger harte Haftbedingungen stand. Im Lager Stutthof trug Köhl die Nummer 14261 mit der Kategorie „Schutzhaft politisch". Im Einlieferungsbuch des Lagers findet sich der Eintrag "staatenlos" und die Berufsbezeichnung "Seemann".

Vom Lager Stutthof wurde er im Oktober 1942 in das Stutthof-KZ-Außenlager Hopehill-Reimannsfelde versetzt. Das auch als „Außenstelle“ bezeichnete Lager war, nachdem die SS-eigene Deutsche Erd- und Steinwerke GmbH (DESt) dort das Areal einer Ziegelei erworben hatte, Ende Mai 1942 errichtet worden. Das Gelände befand sich in Reimannsfelde (Nadbrzeże/ Gmina Tolkmicko), direkt am Frischen Haff bei Elbing (Elbląg); die auf einen englischen Kaufmann zurückgehende Benennung Hopehill wurde nach dem Krieg durch den polnischen Namen Kamienica Elbląska ersetzt. Etwa 300 Häftlinge arbeiteten bei der Gewinnung von Ton und bei der Ziegelherstellung. Das Lager stand als Straflager unter strenger Bewachung. Die Sterblichkeit war hoch.

In einer Lagerinternen Mitteilung von Anfang Januar 1943 heißt es, dass Köhl abends "beim Verteilen der Zulagen zweimal Zulagen zu erlangen" versuchte. Zur Strafe wurde er einige Zeit in den "Bunker" gesperrt. Im Mai wurde er "aus dem Ziegelei-Kommando herausgezogen und der Waldkolonne als Vorarbeiter zugeteilt". Konkret handelte es sich um ein neu aufgestelltes Kommando "Schießstand" mit 150 Häftlingen.

Köhl soll es in Hopehill zuerst zum Kapo und bald darauf zum Oberkapo, nach anderer Quelle gar zum Lagerältesten gebracht haben, was aber als unwahrscheinlich gilt. Als oberstem Kapo waren ihm weitere Kapos unterstellt, die in der Ziegelei und den Unterkünften die Aufsicht führten. Nach polnischer Darstellung zeichneten sich die deutschen Kapos, einschließlich Köhl, durch besondere Brutalität aus. Allerdings verbesserten sich zeitgleich mit Köhls Aufstieg die Lebensbedingungen im Lager und die meisten zuvor von deutschen „Kriminellen“ besetzten Funktionsposten wurden von Polen übernommen. Die medizinische Versorgung wurde verbessert und es wurden kulturelle Aktivitäten wie literarische und sportliche Veranstaltungen möglich.

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Köhl zu Loo
Obduktionsbericht v. 9.6.1944. Das Dokument belegt, dass auch in einem KZ gründliche Untersuchungen von Todesfällen möglich waren. Arolsen Archives Doc. 4555895

Am 6. Juni 1944 töteten Häftlinge in Hopehill einen Mithäftling. Opfer war der 29jährige estnische Häftling Johann Oskar Loo. Loo war im März 1944 von der Sicherheitspolizei Reval wegen angeblicher kommunistischer Betätigung ins KZ eingewiesen worden. Eine eingehende pathologische Untersuchung der Leiche stellte über den ganzen Körper verteilte Spuren von Gewalteinwirkung fest. Als unmittelbare Todesursache wurde eine Gehirnblutung diagnostiziert. Doch der untersuchende Arzt zeichnete im Anschluss in eklatantem Widerspruch zu seinem eigenen Befund ein amtliches Formular mit folgendem vorgedruckten Satz ab: "Auf Grund der Leichenschau hat sich ein Verdacht nicht ergeben, dass der Verstorbene eines nichtnatürlichen Todes gestorben sei".

Diese Bescheinigung scheint - nach späteren Angaben einiger Zeugen - nicht verhindert zu haben, dass die Tötung als Verbrechen angesehen und Anton Köhl beschuldigt wurde, die Tat gemeinsam mit anderen Häftlingen begangen zu haben. Es kursierte gar das (unzutreffende) Gerücht, dass Köhl den Gefangenen bei lebendigem Leibe in einem Ziegeleiofen verbrannt habe. Nach späterer Aussage des deutschen „kriminellen“ Häftlings Heinrich Müller (geb. 1910 in Bondorf) habe Köhl sich Schiebereien und „Durchstechereien“ (Betrug, Korruption) zuschulden kommen lassen. Bei der Untersuchung des Falls gelangte die Kommandantur in Stutthof wohl zu der Auffassung, dass in Hopehill der Kontakt zwischen Lagerpersonal und Häftlingen unerwünscht eng war und es zu illegalem Handel und Kontakten zu Personen außerhalb des Lagers gekommen sei.

Köhl jedenfalls wurde – vermutlich wegen illegaler Außenkontakte oder der Tötung des Mithäftlings oder wegen beidem – von Hopehill ins Hauptlager Stutthof zurückgebracht. Dort wurde er offenbar auch im Krematorium eingesetzt, denn dessen Leiter bat am 11. Dezember 1944 die Lagerleitung, Köhl eine wöchentliche Prämie von RM 2.- genehmigen zu wollen. „Mit der Arbeitsleistung bin ich zufrieden, seine Führung ist gut“. Dem Antrag wurde entsprochen.

Nur wenige Tage darauf soll Köhl wegen der Tötung des Loo zusammen mit einem polnischen Häftling im KZ Stutthof erhängt worden sein.1 Der Vorgang – die Exekution als Sühne für ein von Köhl begangenes Tötungsverbrechen – galt durch Nachkriegsaussagen früherer Häftlinge und dem Kommandanten des KZ Stutthof, Paul Werner Hoppe (1910-1974) als bestätigt. Im Dezember 1949 legte das Amtsgericht Stuttgart den offiziellen Todeszeitpunkt Anton Köhls auf 15. Dezember 1944 fest. Dieses Datum wurde auch vom Standesamt in Köhls Geburtsort Pulversheim übernommen. Abweichend ist im Einlieferungsbuch des KZ Stutthof der 16. Januar 1945 als Todestag eingetragen.

Offene Fragen

Hinsichtlich der Todesumstände Köhls und der Gründe für die öffentliche Hinrichtung bleiben wesentliche Fragen offen.
1. Im Falle des getöteten Häftlings Loo stellte der Lagerarzt – wenn auch offensichtlich wahrheitswidrig – keine unnatürliche Todesursache fest. Ein Tötungsdelikt konnte in diesem Fall demnach - zumindest zunächst - offiziell gar nicht vorliegen.
2. Der Hauptzeuge Heinrich Müller stellte den Fall in zwei stark voneinander abweichenden Versionen dar. Bei seiner ersten Vernehmung bei der Stuttgarter Rückführungsstelle für politische Häftlinge gab er am 8. Februar 1946 zu Protoll:
"Ich kenne den vermissten Köhl von Lager Stutthof (...). Er kam wegen illegaler Briefeschreiberei von Hauptlager Stutthof ins Außenkommando Ziegelei [Hopehill] (Strafversetzung) [...] Ich war der einzige in diesem Außenkommando, der mit Zivilisten Fühlung hatte und so konnte ich für Köhl Briefe illegal besorgen. Rückantworten auf diese illegalen Briefe wurden anlässlich einer Razzia im Lager gefunden. Daraufhin kamen wir beide, Köhl und ich zusammen mit einigen Polen zur Vernehmung. Bei der Vernehmung wurden wir schwer misshandelt. Nach den Vernehmungen kam ich wieder ins Außenkommando [Hopehill] zurück, während Köhl noch im Hauptlager verblieb". Erst nach seiner Rückkehr ins Hauplager im Januar 1945 will Müller erfahren haben, "dass Köhl mit einem Polen zusammen 1944 erhängt worden sei".
Gegenüber der Witwe Köhl und ihren Bruder soll Müller um 1945/46 bei einem privaten Treffen in Stuttgart angegeben haben, dass Köhl in Hopehill Verbindung mit Eisenbahnern gehabt und über diese brieflichen Kontakt zu einer Widerstandsgruppe aufgenommen habe. Es sei ein Brief Köhls abgefangen worden, worauf dieser zum Tode verurteilt worden sei. Müller sebst sei bei der Exekution zugegen gewesen (was er später abstritt). Müller habe bei dem Gespräch mit keinem Wort erwähnt, dass Köhl an der Tötung eines Häftlings beteiligt gewesen sei. Die abweichende Version, dass Köhl wegen der Tötung eines estnischen Mithäftlings hingerichtet worden sei, brachte Müller erstmals Jahre später vor, und zwar am 2. September 1949 bei einer richterlichen Vernehmung. Bestätigt wurde Müllers letztere Behauptung weitere Jahre später durch eine Aussage des ehemaligen Leiter des KZ Stutthof, Paul Werner Hoppe. Dieser äußerte sich bei einer Vernehmung am 29. November 1957 zur Sache. Hoppe konnte sich zwar an Köhl nach der langen Zeit nur vage erinnern, meinte aber, dass dieser "irgendetwas mit der Fremdenlegion oder mit Spionage zu tun hatte". Schließlich gab Hoppe dann auf Vorhalt an, dass es wohl so gewesen sein müsse, dass Köhl wegen des Mordes in Hoppehill exekutiert worden sei, wobei er über näheren die Umstände des Köhl zu Last gelegten Verbrechens keine Angaben machen konnte. Es ist evident, dass Hoppe ein Interesse daran haben musste, einen schwerwiegenden Grund für den Vollzug der Hinrichtung angeben zu können.
3. Offen bleibt auch die Frage nach dem Hinrichtungszeitpunkt. Der Zeuge Müller legte in seiner späteren Aussage Wert auf die Feststellung, dass die Hinrichtung während seiner Abwesenheit im Lager Mitte Dezember 1944 stattgefunden habe. Dem widerspricht der Eintrag im Nummernbuch des KZ (16.1.1945). Zwischen dem Tod des Loo und der Exekution Köhls hätte dann ein Zeitraum von über sieben Monaten gelegen.

Kurz: es ist uns aufgrund der uns vorliegenden Quellen leider nicht gelungen, die Todesumstände Anton Köhls – abgesehen von der unumstrittenen Tatsache, dass er im KZ Stutthof hingerichtet wurde - abschließend zu klären.

Wiedergutmachung

Das Wiedergutmachungsverfahren im Fall Anton Köhl gestaltete sich schwierig. Am 14. September 1947 stellte die seit 1945 in Herrenberg lebende Witwe Ella Köhl bei der Landesbezirksstelle für die Wiedergutmachung Stuttgart einen Antrag zur Wiedergutmachung. Zur Sache gab sie dabei an: „Mein Ehemann Anton Köhl, von Nationalität Elsässer, also Franzose, wurde wegen seiner Tätigkeit für Frankreich und wegen der von ihm betriebenen Wehrkraftzersetzung von der Gestapo im Jahre 1941 verhaftet“. Im Dezember 1944 sei er durch das „Standgericht Stutthof“ wegen „Spionageverdacht, Hochverrat, Wehrkraftzersetzung“ zum Tode durch Erhängen verurteilt worden. Jedoch bezweifelte der öffentliche Anwalt für die Wiedergutmachung in Böblingen das Vorliegen einer politischen Verfolgung. Es wurden deshalb umfangreiche Nachforschungen mit zahlreichen Zeugenvernehmungen vorgenommen. In ihrem Schlussbericht stellte die Kriminalabteilung D 11 des Polizeipräsidiums Stuttgart fest, dass Köhl zwar wegen Spionageverdachts von der Gestapo Stuttgart ins KZ eingewiesen wurde - ob er eine derartige Tätigkeit tatsächlich ausgeübt hat, konnte jedoch nicht ermittelt werden. Es müsse aber aufgrund der Zeugenaussagen angenommen werden, dass dies der Fall war und dass seine Motive ideeller Natur waren.

Eine weitere Schwierigkeit ergab sich aus der Tatsache, dass Anton Köhl Franzose war und seine Witwe bei der Heirat die französische Staatsbürgerschaft angenommen hatte, weshalb zunächst bezweifelt wurde, dass sie überhaupt zum Kreis der Berechtigten zähle. Die Wiedereinbürgerung der Witwe konnte erst später nach dem Vorliegen eines alliierten Kontrollratsbeschlusses erfolgen.

Eine Wendung nahm das Wiedergutmachungsverfahren, als sich – für alle mit dem Fall Befassten wohl überraschend - herausstellte, dass Köhl nicht aus den bisher mehr oder weniger vermuteten politischen Gründen, sondern weil er einen Mitgefangenen getötet hatte, exekutiert worden war. Daraufhin wurde im November 1956 der Antrag auf Gewährung einer Witwenrente und Kapitalentschädigung abgelehnt, da Köhl offensichtlich nicht aus einem der im Bundesentschädigungsgesetz genannten Verfolgungsgründe zu Tode gebracht worden war. Freilich ging man ohnehin davon aus, "dass der Verstorbene aus nationalen Gründen als Franzose gegen den nationalsozialistischen Staat eingestellt gewesen“ sei, aber eine "Verfolgung aus Gründen der Nationalität" nicht unter das Wiedergutmachungsgesetz falle. Und damit eine Wiedergutmachung nicht in Frage komme.

Um in der Sache doch noch zu einem halbwegs passablen Abschluss zu kommen, verlegte man sich schließlich auf den Standpunkt, dass Köhl auf unbestimmte Weise „zumindest auch wegen seiner politischen Haltung“ verfolgt worden sei. Vor allem aber sei im Zweifelsfall bei KZ-Umgekommenen zugunsten ihrer Hinterbliebenen zu entscheiden – eine in vielen anderen Wiedergutmachungsverfahren eher selten beachtete Maxime. Im Dezember 1957 kam ein Vergleich zustande. Das Land Baden-Württemberg zahlte einen vierstelligen D-Mark-Betrag an die Witwe, womit sämtliche Schäden „abgegolten“ waren.

Zumindest für einen der beiden Söhne Anton Köhls war die Angelegenheit damit allerdings nicht erledigt. Noch Jahrzehnte später war er bemüht, Klarheit über die Verfolgung und den Tod seines Vaters zu erlangen.

Die Markierung auf der Übersichtskarte zeigt Anton Köhls amtliche Stuttgarter Adresse Reinsburgstraße 51A.

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1 Angaben des Historikers Marek Orski (in: Wolfgang Benz S. 656) zufolge soll es sich bei Köhls Komplizen bei dem Verbrechen um seinen Mithäftling Smyk gehandelt haben. Der polnische politische Schutzhäftling Jan Smyk (*7.6.1916 Udrycze) war im Sommer 1942 gemeinsam mit Köhl von Mauthausen in das KZ Stutthof überstellt worden und wahrscheinlich zusammen mit Köhl zum Kapo aufgestiegen. Smyk soll ebenfalls "zum Tode verurteilt" und zusammen mit Köhl erhängt worden sein. Orskis Angabe ist offenbar unrichtig, denn es lässt sich belegen, dass Smyk Anfang Februar 1945 befreit wurde und noch im Jahr 1976 (!) mit dem Internationalen Suchdienst (ITS) in Arolsen korrespondierte.

 

Quellen

ITS Digital Archive, Arolsen Archives
1.1.41.2 Individuelle Unterlagen Stutthof, Anton Köhl
TD 314151
1.1.41.2 Individuelle Unterlagen Stutthof, Jan Smyk
1.1.26.1 / 1308139
1.1.41.2 Individuelle Unterlagen Stutthof, Johann Oskar Loo

1.1.41.1 / 4403040 / 4402753 / 4405587 / 4403221 / 4403223 / 4402652 / 4404373/ 4405600 / 4403105
1.1.26.1 / 1308144 / 1284629  / 1284828 (Smyk)
0.1. / 64816008 (Meldekarte Stadt Stuttgart)
TD 1026871 Smyk
1.1.8.1 / 10800166 / 4405851 (Müller)
6.3.3.2 / 93557811 TD Müller

Staatsarchiv Ludwigsburg
EL 350 I Bü 106 (digit.)
FL 300/31 III Bü 1310 (Todeserklärung)

Marek Orski: Hopehill Filie i podobozy KL Stutthof, Gdánsk 1994.

Marek Orski: Hopehill-Reimannsfelde (Nadbrzeże), in: Wolfgang Benz und Barbara Distel (Hg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 6, Natzweiler, Groß-Rosen, Stutthof. München 2007, S. 652-658.

Marek Orski: Hopehill (also Reimannsfelde), in: Geoffrey P. Megargee (Ed.): Encyclopedia of Camps and Ghettos, 1933–1945, Vol. 1, US Holocaust Memorial Museum 2009, S. 1461-146.

 


© Text und Recherche:
Roland Maier, Stuttgart
Stand: Juli 2024
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