Lagergemeinschaften
Im Antifaschismus vereint!
In den Monaten von Sommer 1944 bis Winter 1944/1945 war es im KZ Mauthausen gelungen, eine illegale Widerstandsstruktur aufzubauen, an der sich Häftlinge aus vielen Ländern beteiligten – das Internationale Mauthausen Komitee. Nach der Befreiung verfasste das Komitee den Mauthausen-Schwur, der am 16. Mai 1945 bei der feierlichen Verabschiedung der sowjetischen Häftlinge auf dem Appellplatz verlesen wurde. Der Schwur war eine gegenseitige Versicherung der Überlebenden „... nach erlangter eigener Freiheit und nach Erkämpfung der Freiheit unserer Nationen die internationale Solidarität des Lagers in unserem Gedächtnis (zu) bewahren...“ Er wurde damals von 15 Delegierten unterzeichnet und war die politische Richtschnur der später gegründeten nationalen Komitees und Lagergemeinschaften. Bis heute bildet er die politische Basis der Zusammenarbeit im Comité International de Mauthausen (CIM), der Nachfolgeorganisation des Internationalen Mauthausen Komitees. Mauthausen-Schwur 1945 (PDF)
Gründung der Interessensverbände
Vielerorts waren die Kriegsschäden gewaltig, so dass die drängensten Aufgaben der aus den Konzentrationslagern Zurückgekehrten der Wiederaufbau in ihren Ländern und die Sicherung des Lebensunterhalts waren. Dennoch wurden bereits in der zweiten Jahreshälfte 1945 in manchen Ländern die ersten Vereinigungen ehemaliger Häftlinge gegründet. Allen diesen Organisationen war gemeinsam, dass sie vorwiegend für die Interessen der aus politischen Gründen Deportierten handelten. Dies geschah in einigen westeuropäischen Ländern parteiunabhängig und im Sinne der politischen Vielfalt des antifaschistischen Widerstands. In Osteuropa und in der BRD und der DDR waren die Kommunist:innen tonangebend.
Mancherorts gab es selbständige Organisationen der Überlebenden des KZ Mauthausen und seiner Außenlager. So zum Beispiel die zentralistisch geführte französische Amicale de Mauthausen (L'amicale des déportés politiques de la Resistance de Mauthausen et de ses kommando dépendants), die am 1. Oktober 1945 ihre Arbeit aufnahm. Mitglied konnte werden, wer im antifaschistischen Widerstand gewesen war. Die Amicale wurde in Frankreich von der Regierung unterstützt und ihre Stimme besaß innenpolitische Relevanz. Den spanischen Überlebenden war die Rückkehr in das von dem Diktator Franco geführte Land nicht möglich. Viele ließen sich im Süden Frankreichs nieder und schlossen sich als Teilorganisation der französischen Amicale an. Es gab jedoch auch in Spanien eine Amical de Mauthausen. Sie war verboten und musste bis zu Francos Tod 1975 illegal arbeiten. Einige Spanier waren nach der Befreiung in Österreich geblieben und hatten sich der dortigen Lagergemeinschaft angeschlossen. Auch die von den ehemals politisch Verfolgten in Luxemburg im Jahr 1947 gegründete „Amicale des Anciens Prisonniers Politiques Luxembourgois du camp de concentration de Mauthausen et des camps qui en dépendaient“ war eine selbständige Organisation der Überlebenden des KZ Mauthausen und seiner Außenlager und überparteilich tätig. In Italien hatte man sich für eine andere Form entschieden. In der seit September 1945 bestehenden ANED ("Associatione Nationale Ex Deportati nei Campi nazisti“) arbeiteten ehemalige politische Häftlinge aller Konzentrationslager und alle Widerstandskämpfer:innen auf kommunaler Ebene zusammen.
Die „Österreichische Lagergemeinschaft Mauthausen“ besteht seit 1945, jedoch bis 1964 als Teil des KZ-Verbandes, eines Zusammenschlusses von Überlebenden aus verschiedenen Konzentrationslagern. 1964 wurde sie ein selbständiger und überparteilich handelnder Verein. Die Lagergemeinschaft Mauthausen in der DDR mit Sitz in Ostberlin war bis 1953 Mitglied in der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN) und schloß sich nach deren Auflösung in der DDR dem „Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer“ an, das eng mit der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschland) verbunden war und staatlicherseits unterstützt wurde. Auch in vielen anderen osteuropäischen Ländern gab es Zusammenschlüsse ehemaliger KZ-Häftlinge. Vermutlich standen sie, ähnlich wie in der DDR, in enger Verbindung mit den jeweiligen Regierungen.
Die Arbeit der verschiedenen Organisationen bestand in den ersten Jahren vor allem in der persönlichen Unterstützung der Überlebenden und der Hinterbliebenen sowie in dem Bemühen, bei der juristischen Verfolgung der Täterinnen und Täter mitzuwirken und Zeugnis abzulegen. Die Gedenkarbeit, wie wir sie heute kennen, wurde erst später zu einem zentralen Tätigkeitsfeld. Diese Arbeit wird inzwischen von Jüngeren weitergeführt.
Das Comité International de Mauthausen (CIM) besteht seit den 1950er Jahren als Verein, der in Wien als internationale Organisation eingetragen ist und dort seinen Sitz hat. Das CIM begreift sich als überparteiliche Struktur, in der keine Einzelpersonen sondern nur Delegierte der nationalen Gruppierungen Mitglied werden können. Aktuell sind im CIM Delegierte aus 21 Ländern vertreten. Sie kommen zweimal im Jahr zu Sitzungen zusammen, nehmen an den jährlichen Gedenk- und Befreiungsfeiern in Österreich teil, organisieren Fahrten zu Gedenkorten in Österreich und sie vertreten die Interessen der Überlebenden gegenüber der österreichischen Bundes- und den Landesregierungen.
Die Lagergemeinschaft Mauthausen in der BRD
Fast neun Jahre waren nach der Befreiung vergangen, als sich mehrere Überlebende des KZ Mauthausen, darunter Otto Wahl und Otto Wisst (Biografie), am 13. März 1954 in Stuttgart trafen, um die Lagergemeinschaft Mauthausen im westlichen Teil Deutschlands zu gründen. Zu diesem Anlass war der Überlebende Emil Valley eigens aus Frankreich angereist, der seine hiesigen Kameraden „in aller Deutlichkeit auf ihre Pflichten und Aufgaben aufmerksam“ gemacht hatte. Weitere aktive Mitstreiter waren unter anderem die Überlebenden Alfred Haag, Bruno Lindner und Richard Nuber. Die westdeutsche Lagergemeinschaft Mauthausen hatte ihren Sitz in Stuttgart, war Mitglied in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) und im Comité International de Mauthausen (CIM).
Im Unterschied zur französischen Amicale und auch zur Lagergemeinschaft Mauthausen in der DDR, konnte die kommunistisch dominierte westdeutsche Vereinigung nicht mit staatlicher Anerkennung und Unterstützung rechnen. Der in den 1950er Jahren erneut forcierte Antikommunismus vereitelte eine parteiübergreifende Zusammenarbeit in der Lagergemeinschaft. Zum Zeitpunkt ihrer Gründung war der „Kalte Krieg“ bereits in vollem Gange und die damit einhergehende Systemkonfrontation zwischen Kapitalismus und Kommunismus wurde in den auf den Nazifaschismus folgenden Staaten BRD und DDR jeweils auf spezfische Weise ausgefochten. Dies wirkte, wie im Übringen auch spätere weltpolitische Umbrüche, auf die gesellschaftlichen und politischen Möglichkeiten der Vereinigungen ehemaliger KZ-Häftlinge zurück. So wurde zum Beispiel in der BRD am 9. Mai 1953 auf Vorschlag des damaligen SPD-Parteivorstands ein Unvereinbarkeitsbeschluss erlassen, der es SPD-Mitgliedern verbot, gleichzeitig Mitglied in der VVN zu sein. Damit war sozialdemokratischen KZ-Überlebenden die Mitarbeit in der Lagergemeinschaft verboten, da diese Mitglied in der VVN war. Und spätestens mit dem im August 1956 vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochenen Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) war ausgemacht, dass sich in der Lagergemeinschaft nur noch vorwiegend kommunistische oder parteilose Antifaschist:innen zu betätigen wagten. Dass dies jedoch nicht zwangsläufig dem antifaschistischen Selbstverständnis der in der Lagergemeinschaft Aktiven entsprach, belegt ein Schreiben an den Präsidenten des Comité International de Mauthausen (CIM) vom 27. Juli 1965. Dort wird die Frage, wer zukünftig im CIM vertreten sein sollte wie folgt beantwortet: „... Wenn man aber davon ausgeht, welche Aufgaben wir zu erfüllen haben, wäre es gut, wenn alle Richtungen verhältnismäßig wie sie im Lager vertreten waren, auch dem Komitee angehören würden. Das heißt also, daß nicht nur die verschiedenen parteipolitischen Richtungen, sondern auch die parteilosen vertreten sein müßten.“
Die Arbeit der Lagergemeinschaft in der BRD
Zu den ersten Aktivitäten zählte 1954 die Herausgabe eines "Mitteilungsblattes ehemaliger Häftlinge und der Hinterbliebenen“, das bis ins Jahr 1984 mehr oder weniger regelmäßig erschienen ist. In der ersten Ausgabe wurde die Gründung der Lagergemeinschaft bekanntgegeben und angekündigt, dass im nächsten Jahr, dem 10. Jahrestag der Befreiung, gemeinsam mit Lagergemeinschaften anderer Länder ein großes internationales Mauthausen-Treffen stattfinden wird. Zukünftig sollte das Mitteilungsblatt „... das Mittel sein, um unsere Mauthausen-Kameraden einander näherzubringen und sie mit unseren Aufgaben vertraut zu machen“. Über mehrere Ausgaben hinweg wiederholten sich Aufrufe an Ehemalige, sich zu melden und es wurden Adressen von Hinterbliebenen veröffentlicht. Obligatorisch waren die Aufrufe zur Teilnahme an den jährlichen Internationalen Befreiungsfeiern in Mauthausen und Berichte über die Treffen auf nationaler und internationaler Ebene. Bis 1997 vertrat Otto Wahl die Lagergemeinschaft im Comité International de Mauthausen.
Weitere Tätigkeitsfelder waren die gegenseitige Unterstützung bei Anträgen auf Entschädigung, das Sammeln von Erinnerungsberichten über die Zeit im Konzentrationslager, Hinweise auf Prozesse gegen namentlich genannte SS-Mitglieder und Capos sowie Aufrufe, sich bei den zuständigen Staatsanwaltschaften zu melden, wenn man konkrete Angaben zu den Angeklagten machen konnte.
Selbstverständlich war die gegenseitige Unterstützung. Wiederholt wurde beispielsweise zu Spenden für jene aufgerufen, die sich die von der Lagergemeinschaft durchgeführten Fahrten zur Befreiungsfeier nach Mauthausen nicht leisten konnten. Ausführlich berichtet wurde über den Aufbau der Gedenkstätte Mauthausen, das Memorial in Gusen, die Errichtung des Mahnmals der DDR in der Gedenkstätte sowie über die Konzeption und Erstellung der ersten Ausstellung über das Konzentrationslager Mauthausen, die am 3. Mai 1970 feierlich eröffnet wurde.
Als in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre eine Generation herangewachsen war, die, von der Student:innen-Bewegung inspiriert, das Schweigen der Eltern und Großeltern durchbrach und die ersten Geschichtswerkstätten ihre Arbeit aufnahmen, hat sich auch das Tätigkeitsfeld der Lagergemeinschaft erweitert. Die Überlebenden wurden nun zu gefragten Zeitzeug:innen auf Veranstaltungen und in Schulen. Sie erzählten auf antifaschistischen Stadtrundfahrten über all das, worüber damals noch immer ein Mantel des Schweigens gebreitet war. Sie waren der ermutigende Gegenpol für die Behauptung der bundesdeutschen Mehrheitsgesellschaft, man hätte ja nichts gegen die Nazis tun können und im Übrigen von nichts gewusst.
In Stuttgart folgte auf die Lagergemeinschaft Mauthausen im Jahr 1995 die „Antifaschistische Initiative gegen das Vergessen“, die 2007 in den Verein „Mauthausen Komitee Stuttgart“ überging. In Berlin führt das Deutsche Mauthausen Komitee/Ost die Arbeit der früheren Lagergemeinschaft der DDR weiter. Die Komitees aus Stuttgart und Berlin arbeiten in dem Dachverband „Mauthausen Komitee Deutschland“ eng zusammen. Auch die Mitarbeit der Überlebenden im Comité International de Mauthausen wird von den beiden Nachfolgeorganisationen weiter geführt.
Bildnachweise
Befreiungsfeier 2015, Foto: Sebastian Philipp. Die Überlebenden (von links nach rechts): Dušan Stefančič, Vasili Kononenko, Stanislaw Leszczynski, Evgeniy Hrol, Max Garcia.
Empfang von Emil Valley vor dem Bahnhof in Stuttgart, Archiv Otto Wahl.
Sonderausgabe des Mitteilungsblattes der Lagergemeinschaft vom Mai 1958, Archiv Otto Wahl.
© Text und Recherche:
Ingrid Bauz, Stuttgart
Stand: März 2022
www.kz-mauthausen-bw.de