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Die Organisation des Konzentrationslagers Mauthausen

Als im August 1938 mit dem Aufbau des Konzentrationslagers Mauthausen begonnen wurde, waren die den Konzentrations- und Vernichtungslagern übergeordneten politischen Zuständigkeiten weitgehend etabliert. Ab 1934 unterstanden alle Konzentrations- und späteren Vernichtungslager (KZ) ausschließlich der SS (Schutzstaffel, Gliederung der NSDAP). Sie waren von der Außenwelt abgeschlossene rechtsfeie Räume. Der SS-Obergruppenführer Theodor Eicke war „Inspekteur der Konzentrationslager und der SS-Wachverbände“. Als SS-Angehöriger unterstand er dem SS-Hauptamt und dem Reichsführer SS und „Chef der Deutschen Polizei“ Heinrich Himmler. Eicke leitete die bis August 1938 in der Berliner Prinz-Albrecht-Straße und anschließend in Oranienburg unweit des Konzentrationslagers Sachsenhausen ansässige „Inspektion der Konzentrationslager“ (IKL). Er war maßgeblich für den Aufbau des KZ-Systems verantwortlich. Die Bauweise der Lager und die fast überall gleichlautende Lagerordnung tragen seine Handschrift. Auf Eicke folgte im November 1939 der SS-Gruppenführer Richard Glücks an die Spitze der IKL, die im März 1942 als „Amtsgruppe D“ in das SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt (WVHA) eingegliedert wurde. Die IKL war die zentrale Verwaltungs- und Leitungsinstanz des KZ-Systems. Sie entschied über die Haftbedingungen und damit über Leben und Tod der Häftlinge. Lediglich über die Einweisung der Häftlinge in ein KZ entschied nicht die IKL, sondern die Politische Polizei (Gestapo) und auch die Kriminalpolizei.
Die IKL war bis zur Befreiung im Mai 1945 oberste Befehlsinstanz für insgesamt 24 KZ-Stammlager, davon sieben Vernichtungslager, und weit über 1.000 Außenlager.

Der Kommandanturstab
Auch das KZ Mauthausen unterstand der IKL und war nach dem etablierten einheitlichen Modell aufgebaut. Der Kommandanturstab stand unter ständiger Leitung und Kontrolle der IKL und war ihr rechenschaftspflichtig. Dennoch hatten die jeweiligen Lagerkommandanten in der Umsetzung der ausgegebenen Richtlinien, Anordnungen und Befehle große Handlungsspielräume.
Bis zum Jahr 1941 bestand der Kommandanturstab aus den von Theodor Eicke im April 1934 konzipierten Abteilungen, die 1941 um eine sechste Abteilung ergänzt wurden:
    I. Kommandantur und Adjutantur
    II. Politische Abteilung (Gestapo)
    III. Schutzhaftlager (die größte Abteilung)
    IV. Verwaltung
    V. Lagerarzt, Sanitätswesen
    VI. Truppenfürsorge und weltanschauliche Schulung (seit 1941)

Die Angehörigen des Kommandanturstabs lebten oft über Jahre an ihrem Einsatzort. Anders als die Wachmannschaften waren sie nicht kaserniert. Wer mit Frau und Kindern umgezogen war, wohnte Tür an Tür mit der örtlichen Bevölkerung und war mit der Zeit in das lokale Umfeld der Ortschaften rund um die Lager integriert. In Mauthausen und Gusen gab es zwar auch SS-eigene Siedlungen, sie wurden jedoch nie zur Gänze fertiggestellt.

An der Spitze der Lager-SS stand der Lagerkommandant. Er befehligte das KZ, in seiner Hand lag die disziplinarische und die fachliche Zuständigkeit für das gesamte KZ. Davon ausgenommen waren jedoch die „Politische Abteilung“ und die „Medizinische Abteilung“. Die Adjutanten des Kommandanten waren für den gesamten Lagertrieb und die Weiterleitung und Durchführung der Kommandanturbefehle verantwortlich. In ihre Zuständigkeit fielen die Kommunikation mit anderen Lagern, mit übergeordneten Instanzen, die Zusammenarbeit mit verschiedenen Behörden und die personellen Angelegenheiten der SS und die Ausstattung der Truppe mit Waffen. Darüber hinaus unterstanden ihnen das lagerinterne Gefängnis (Bunker oder Zellenbau), die Lagerfeuerwehr und der Lageringenieur. Die Lagerkommandanten waren für die katastrophalen Lebensbedingungen und für den Tod von mehr als 90.000 Häftlingen in Mauthausen und den Nebenlagern verantwortlich.

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Ziereis
Franz Ziereis (Mitte) mit zwei SS-Männern vor dem Kommandanturgebäude

Vom 1. August 1938 bis Februar 1939 war Albert Sauer Lagerkommandant des KZ Mauthausen. Auf ihn folgte bis zur Befreiung Anfang Mai 1945 Franz Ziereis. Als Adjutanten des Lagerkommandaten handelten von August 1938 bis Mai 1940 Josef Kramer, von Mai 1940 bis Mai 1942 Josef Zoller und von Mai 1942 bis zur Befreiung im Mai 1945 Adolf Zutter.

Die Politische Abteilung gehörte organisatorisch zum KZ, war jedoch formal nicht der IKL, sondern der Gestapo (Politische Polizei) bzw. dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA) zugeordnet. Sie war für die politische Überwachung zuständig und übernahm vor allem polizeiliche Aufgaben: Erkennungsdienst; Registrierung neuer Häftlinge und ihre Kategorisierung; Führung der Häftlingsakten (Zu- und Abgänge, auch bei Todesfällen) sowie die Aufsicht über die Krematorien und die Einleitung der Fahndung bei Fluchtversuchen. Diese Abteilung war ein Ort brutaler Verhöre, Misshandlungen und Folter waren an der Tagesordnung. Die Mitarbeiter waren häufig Beamte der Staats- und Kriminalpolizei und mussten nicht zwingend auch Mitglied in der SS sein. Leiter der Politischen Abteilung war von Oktober 1938 bis September 1939 Wilhelm Eschweiler und anschließend bis Mai 1945 Karl Schulz.

Die Abteilung Schutzhaftlager war für das Häftlingslager verantwortlich. Dort wurde über die Lagerordnung, den Tagesablauf und die Arbeitseinteilung bestimmt. Der Schutzhaftlagerführer bestimmte den Tagesablauf der KZ-Häftlinge maßgeblich. Er war für die Durchsetzung der Lagerordnung verantwortlich und in die Durchführung von Exekutionen involviert. Nach dem Kommandanten war er der wichtigste SS-Führer mit mehreren Stellvertretern: dem Rapportführer, dem Block- und Arbeitskommandoführer und dem Arbeitseinsatzführer. Der Schutzhaftlagerführer und seine Stellvertreter übten direkte Gewalt am Appellplatz, in den Baracken und bei der Arbeit aus und sie führten Kollektiv- und Einzelstrafen wie die Prügelstrafe durch. Alle in den Außenlagern eingesetzten Schutzhaftlagerführer waren dem Schutzhaftlagerführer des KZ Mauthausen unterstellt. Eine Sonderstellung hatten lediglich die Schutzhaftlagerführer des KZ Gusen.
Wilhelm Scheungraber war von August 1938 bis Anfang 1939 Schutzhaftlagerführer des KZ Mauthausen. Auf ihn folgte mit kurzen Unterbrechungen bis Mai 1945 Georg Bachmayer. Schutzhaftlagerführer des KZ Gusen war ab dem Aufbau des Lagers Anfang 1940 bis Oktober 1942 Karl Chmielewski und von Oktober 1942 bis Mai 1945 Fritz Seidler.

In der Abteilung Verwaltung war viel Personal im Einsatz, darunter auch eine größere Zahl weiblicher Bürokräfte. Sie war für alle Verwaltungsangelegenheiten zuständig: Haushalts-, Kassen- und Besoldungswesen (Lagerfinanzen); Zahlungsverkehr einschließlich der Einnahmen aus der Zwangsarbeit; Einkauf (Beschaffung von Verpflegung und Zuteilung der Lebensmittel); Verfügungsgewalt über alle technischen Gerätschaften, über Häftlingskleidung, Uniformen und Ausrüstung der SS; Effektenkammer (Raum, in dem die bewegliche Habe der Häftlinge aufbewahrt wurde); Kontrolle der Wäscherei, Schuhmacher- und Schneiderwerkstätten; Beheizung; Bestellung von Zyklon B. Sie hatte großen Einfluss auf die Existenzbedingungen der Häftlinge und verfügte über erhebliche Handlungsspielräume, zum Beispiel darüber, wie hoch der von der SS illegal angeeignete Anteil an Lebensmitteln und Bedarfsgütern war.
Von August 1938 bis Ende 1940 leitete Otto Barnewald die Abteilung. Er wurde von Xaver Strauß abgelöst, der der Abteilung bis Mai 1945 vorstand. Während seines wenige Monate dauernden Fronteinsatzes wurde er von Michael Sand vertreten.

An der Spitze der Abteilung Lagerarzt stand der Standortarzt. Ihm unterstanden die für die Häftlinge zuständigen SS-Lagerärzte sowie die für die SS-Angehörigen und ihre Familien zuständigen Truppenärzte. In dieser Abteilung wurde über die Bedingungen in den Kranken-Revieren entschieden. Lagerärzte beteiligten sich in großem Unfang an der Ermordung von Häftlingen, unter anderem bei medizinischen Menschenversuchen (siehe Abschnitt: Häftlinge/Lebensbedingungen im Lager/Der Umgang mit den Kranken) und an den systematischen Fälschungen von Todesursachen. Sie waren bei Exekutionen anwesend und hatten die Ausbreitung von Seuchen zu verhindern.
In den Krankenrevieren war darüberhinaus eine große Anzahl Häftlingsärzte tätig.
Als Standortärzte waren im KZ Mauthausen acht verschiedene Ärzte im Einsatz:
1938: SS-Untersturmführer Dr. Karl Knapp
1939 bis Frühjahr 1940: Dr. Karl Becker und Dr. Karl Matz
1940 bis Winter 1940/1941: Dr. Richard Krieger
März bis Oktober 1941: Dr. Gerhard Schiedlausky
Oktober 1941 bis Herbst 1943: Dr. Eduard Krebsbach
Oktober 1943 bis Juli 1944: Dr. Friedrich Entress
August 1944 bis Mai 1945: Dr. Waldemar Wolter

Die relativ kleine Abteilung Fürsorge und weltanschauliche Führung betrieb insbesondere die Integration der „volksdeutschen“ und „fremdvölkischen“ Wachmannschaften hinsichtlich Weltanschauung, Dienstauffassung und Disziplin. In ihre Zuständigkeit fiel auch die Freizeitgestaltung der Truppe (Kameradschaftsabende, Kultur- und Sportveranstaltungen). Die Beschäftigten waren sogenannte SS-Erziehungsführer. Bis zum Frühjahr 1944 leitete Gustab Seifert die Abteilung. Auf ihn folgte bis Mai 1945 Karl Herchen.

Die Wachmannschaften
Die Konzentrations- und Vernichtungslager wurden von SS-Totenkopfstandarten (TKS) bewacht. Nach einem Hitler-Erlass vom August 1938 wurden diese bei Mobilmachungen für militärische Zwecke eingesetzt. War dies der Fall, waren sie von älterem, nicht mehr an der Front einsatzfähigem, jedoch militärisch ausgebildetem Personal aus der Allgemeinen SS zu ersetzen.
Im KZ Mauthausen war die 4. SS-Totenkopfstandarte „Ostmark“ für die Bewachung eingeteilt. Ihr Sitz befand sich zuerst in Steyr und ab Herbst 1938 in Linz. Ihr Aufgabengebiet umfasste die militärische Schulung der in den KZ stationierten SS-Männer, die Ausbildung der SS-Rekruten und die Bewachung der KZ-Häftlinge. Die Bewachung der Lager war in einen sogenannten „inneren“ und „äußeren“ Zuständkeitsbereich geteilt. Die SS-Totenkopfstandarte erledigte die Außenbewachung: Besetzung der Wachtürme; große Postenkette tagsüber um den gesamten Lagerbereich, einschließlich der Werkstätten und SS-Lager sowie die Bewachung der Häftlinge bei allen Transporten und Arbeitskommandos außerhalb des Lagers. Sie misshandelten, folterten und ermordeten. Das Betreten des Häftlingslagers war den Angehörigen der Wachtruppe ohne Genehmigung untersagt.

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Wachmannschaft sitzend
SS-Wachmannschaft auf der Garagenhofmauer

Mit Beginn des Lageraufbaus kamen am 8. August 1938 die ersten 80 SS-Männer der SS-Totenkopfstandarte „Oberbayern“ aus dem KZ Dachau nach Mauthausen. Mit der wachsenden Anzahl von Menschen, die in die KZ Mauthausen, Gusen und die späteren Außenlager deportiert wurden, wuchs auch die Zahl der sie bewachenden SS-Männer. Sie war im Frühjahr 1945 auf über 9.000 angestiegen. Seit 1942 waren zusätzlich vermehrt Hunde im Einsatz. Und noch im selben Jahr begann die Rekrutierung von Angehörigen deutschsprachiger Minderheiten aus Südosteuropa. Dies geschah anfangs auf freiwilliger Basis, später warb die SS mit Druck zur "völkischen Wehrpflicht". Als 1943 der massive Ausbau der Lager begann, forderte die SS Soldaten der Wehrmacht zur Verstärkung der Bewachung an, und Anfang 1944 wurde das Wachpersonal mit Männern aus der Ukraine, die zum Beispiel in Kriegsgefangenenlagern rekrutiert wurden, aufgestockt.
Die ersten weiblichen Mauthausen-Häftlinge bewachten SS-Aufseherinnen aus dem KZ Ravensbrück, die im September 1944 dem KZ Mauthausen unterstellt wurden. Im Januar 1945 gab es 65 Aufseherinnen, von denen ein Teil auch aus der näheren Umgebung stammte.

Das System der Funktionshäftlinge
Um den Bewachungsaufwand und die Kosten möglichst gering zu halten, delegierte die Lager-SS Wach-, Kontroll- und Verwaltungsaufgaben an ausgewählte Häftlinge. Diese bildeten den sogenannten „inneren“ Zuständigkeitsbereich des Lagers und standen auf der untersten Hierarchieebene des Verwaltungs- und Bewachungssystems. Jedem Funktionshäftling war ein SS-Angehöriger übergeordnet. Sie hatten für die Durchsetzung der Anordnungen und Ordnungsvorstellungen der SS zu sorgen. Im Gegenzug erhielten sie relative Privilegien wie bessere Kleidung, Unterkünfte und Verpflegung, die Befreiung von körperlicher Schwerstarbeit, Lager-Bordellbesuche etc. und Macht über ihre Mithäftlinge. Sie waren jedoch stets in höchstem Maße von der SS abhängig.
An der Spitze der hierarchisch gegliederten „Häftlingsselbstverwaltung“ stand der Lagerschreiber I für Verwaltungsaufgaben wie z.B. das Registrieren der Häftlinge, danach kam der Lagerälteste. Er war der SS gegenüber für die Ordnung im gesamten Lager verantwortlich. Es folgten die Oberkapos im Steinbruch, beim Baukommando und beim Siedlungsbau, dann die Kapos in den Magazinen, Küchen, Apotheken, Werkstätten und das Bedienungspersonal der SS-Offiziere. Schließlich die Blockältesten, die jeweils eine Unterkunftsbaracke kontrollierten.
Die Häftlinge waren den Funktionshäftlingen zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet und jedes Nichterfüllen eines Auftrages wurde rücksichtslos bestraft.
Funktionshäftlinge konnten ihre Stellung zum Schutz der Mithäftlinge oder zur brutalen Durchsetzung ihrer eigenen Interessen oder jener ihrer persönlichen Günstlinge nutzen. Die Lebensbedingungen für die Masse der Häftlinge hingen zu einem bedeutenden Teil vom Verhalten der jeweiligen Funktionshäftlinge ab. Sie hatten die Kontrolle über die Verteilung von Lebensmitteln und Kleidung, bis zu einem gewissen Grad über die Zusammenstellung der Arbeitskommandos und über das alltägliche Leben in den Blocks.

Literatur
Holzinger, Gregor (Hg): Die zweite Reihe. Täterbiographien aus dem Konzentrationslager Mauthausen,
Mauthausen-Studien Band 10, Wien 2016.
Maršálek, Hans: Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, Wien-Linz 1995.
Orth, Karin: Die Konzentrationslager-SS, Göttingen 2000.

Bildnachweis
Foto Ziereis: das sichtbare unfassbare. Fotografien vom Konzentrationslager Mauthausen, S.112.
Foto SS-Wachmannschaft auf der Garagenhofmauer, ebenda S. 110.

 

© Text und Recherche:
Ingrid Bauz, Tübingen
Stand: Dezember 2023
www.kz-mauthausen-bw.de