Befreiung: Das Ende des KZ-Lagersystems Mauthausen
Von den von uns betrachteten Mauthausen-Häftlingen aus dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Baden-Württemberg erlebte nur ein kleiner Teil die Befreiung aus dem Lagerkomplex Mauthausen. Viele waren in der Haft verstorben, andere nach Dachau oder in andere Lager verlegt oder zum Militäreinsatz herangezogen worden. Einige wenige waren vor dem Einmarsch der alliierten Truppen aus der KZ-Haft entlassen worden.
Die Auflösung der Lager durch die SS
Die Alliierten Streitkräfte eroberten Österreich, das ab März 1938 "Ostmark" und "Ober- und Niederösterreich" genannt und dem Deutschen Reich einverleibt worden war, aus verschiedenen Himmelsrichtungen. Die amerikanische Armee kam über Salzburg, die britische aus Italien, die französische über Vorarlberg und die sowjetische Rote Armee aus dem Osten über Wien. Viele der nicht bereits wieder aufgelösten Außenlager des KZ Mauthausen wurden vor dem Heranrücken der Alliierten von der SS geräumt und die Häftlinge auf Todesmärsche meist Richtung Stammlager Mauthausen getrieben. Die im Osten im Raum Wien gelegenen Außenlager wurden bereits Ende März und Anfang April 1945 aufgelöst, um der heranrückenden Roten Armee zuvorzukommen. Die Häftlinge dieser Lager wurden auf einen anstrengenden Fußmarsch Richtung KZ Mauthausen gezwungen. In manchen Lagern wurden Marschunfähige erschossen. Erschossen wurde auch, wer während des Gewaltmarsches zusammenbrach und nicht mehr weitergehen konnte. Einigen Häftlingen war es während der sich häufig über viele Tage hinziehenden Fußmärsche gelungen, sich davonzustehlen und zu fliehen. Die Häftlinge des Außenlagers Leibnitz wurden bereits Anfang April zu Fuß Richtung Außenlager Ebensee getrieben. Dorthin kamen Anfang Mai auch alle noch Gehfähigen aus dem Außenlager Redl-Zipf. Die Häftlinge des Außenlagers Loibl (Nord) wurden am 15. April 1945 und die des Außenlagers Klagenfurt am 7. Mai zum Außenlager Loibl (Süd) verbracht. Am 7. Mai wurde das Lager Loibl (Süd) bis auf die Kranken geräumt. Die jugoslawischen Häftlinge wurden entlassen und die Gehfähigen Richtung Westen getrieben. Sie wurden einen Tag später von Partisanen befreit.
Die Befreiung der Lager durch Alliierte Streitkräfte
Britische Armeeeinheiten befreiten am 11. Mai das Außenlager St. Lamprecht. Die sowjetische Rote Armee befreite das Außenlager Mittersill am 8. Mai 1945 und einen Tag später Schloß Lannach. Amerikanische Armeeeinheiten befreiten am 2. Mai 1945 das Außenlager Passau I, am 5. Mai 1945 die Lager Gunskirchen, Lenzing, Linz III (Linz I und Linz II waren bereits geräumt), Steyr-Münichholz, das Mauthausener Zwillingslager Gusen (I, II und III), am 6. Mai, das Außenlager Ebensee und am 8. Mai das Schloss Mittersill.
Die Befreiung des Stammlagers Mauthausen
Das KZ Mauthausen war eines der am spätesten befreiten großen Konzentrationslagerkomplexe. Es war Anfang Mai weit über seine Kapazitäten hinaus belegt, nicht nur mit den aus den Außenlagern hierher Verbrachten, sondern auch mit vielen tausend Häftlingen aus den Konzentrationslagern auf polnischem Gebiet und aus dem deutschen Reich. Für sie alle begann das Ende ihrer KZ-Haft in der Nacht vom 2. auf den 3. Mai 1945, als einige SS-Männer sich in Zivilkleidung aus dem Hauptlager davonmachten. Am Morgen des 3. Mai wurde der letzte Häftlingsappell abgenommen. Anschließend verließen auch die restlichen SS-Mannschaften das Lager und die Bewachung wurde von einer Einheit der Wiener Feuerschutzpolizei übernommen. Der Abmarsch der SS-Angehörigen blieb den Häftlingen nicht verborgen und änderte ihre Stimmung und ihre Lage. Zwei Beauftragte des Internationalen Lagerkomitees, das seit dem Frühjahr 1944 den illegalen Widerstand im Lager angeführt hatte, verlangten am 4. Mai vom Hauptmann der Wiener Feuerschutzpolizei die verwaltungsmäßige Übergabe des Lagers. Mitglieder des Komitees bemühten sich daraufhin, die innere Verwaltung zu leiten und mit Hilfe einer größeren Anzahl von Häftlingsfunktionären Plünderungen zu unterbinden. Es wurden Komitees gebildet, die eine notdürftige Versorgung organisierten und die Ankunft der Befreier vorbereiteten. „Der 5. Mai 1945 war ein sonniger Frühlingstag (...) die Hügel rund um das Lager glänzten im Frühlingsgrün“ (Maršálek, Hans: Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, Wien-Linz 1995, S. 334). An diesem sonnigen Frühlingstag erreichte ein Spähtrupp der US-Army die Konzentrationslager Gusen und Mauthausen. Der griechische Häftling Iakovos Kampanellis erinnert sich: „Die Soldaten blickten uns an, stolz, fassungslos und tief betrübt. Sie taten gut daran, dort oben zu bleiben, dort oben auf dem Panzer. Sie hatten sich aus so vielen Schlachten gerettet. Unserer Freude aber wären sie nicht entkommen. Wir brüllten, zerrissen unsere Kleidung, gebärdeten uns wie Verrückte. Wir drängten, stiegen einander auf die Füße, nur um nahe an den Panzer heranzukommen. Viele ließen sich auf ihn fallen und küssten das verrußte Eisen, während andere ihre Köpfe auf ihn schlugen und weinten“ (Kambanellis, Iakovos: Die Freiheit kam im Mai, Wien 2010, S. 17). Die Soldaten des Spähtrupps entwaffneten die Wiener Feuerschutzpolizisten, übertrugen den Häftlingen die Verwaltung des Lagers und zogen, trotz heftigen Bittens der Häftlinge zu bleiben, wieder ab. Daraufhin bildeten vor allem spanische und sowjetische Häftlinge bewaffnete Einheiten, die das Lager absicherten und in der Gemeinde Mauthausen das Gemeindeamt, den Gendarmerieposten und die Post besetzen.
Erst am 7. Mai 1945 besetzen Einheiten der 11. Panzerdivision der 3. US-Armee den Ort Mauthausen und das Lager. Die Soldaten bauten Lazarette auf, um die mehr als 20.000 schwer kranken Häftlinge schnell notdürftig medizinisch zu versorgen und sie organisierten die Versorgung mit Lebensmitteln. Schwerkranke wurden in Krankenhäuser der Umgebung verlegt. Ebenfalls am 7. Mai wurde das Internationale Häftlingskomitee, gegen den anfänglichen Widerstand des Kommandanten der US-Armee R.R. Seibel, als alleinige offizielle Vertretung der befreiten Häftlinge im KZ Mauthausen anerkannt. Von da an nannte es sich Internationales Mauthausen Komitee. Am 8. Mai 1945 endete mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht der Krieg in Europa, die Nazidiktatur war besiegt und eine neue politische Epoche war angebrochen. Dennoch sollten personelle und ideologische Kontinuitäten gerade auch in Deutschland, wohin die allermeisten der von uns thematisierten Überlebenden zurückkehrten, noch lange fortwirken.
Im KZ-Lagersystem Mauthausen waren mindestens 196.000 Menschen aus 40 Nationen geschunden worden. Davon waren 95 Prozent Männer. Etwa 97.000 haben überlebt. Die Bedrohung durch die SS hatte ein Ende, die Gefahr für Leib und Leben jedoch nicht. Mehrere hundert Häftlinge waren in den Tagen vor der Befreiung verstorben und mehrere tausend in den darauffolgenden Wochen und Monaten. Ihr Leben konnte selbst von der medizinischen Versorgung durch die Sanitätseinheiten der Armee nicht gerettet werden. Wer konnte, begab sich einzeln oder in Gruppen möglichst schnell auf den Heimweg, und da nicht ausreichend Transportmittel zur Verfügung standen, gingen viele zu Fuß. Allerdings konnten oder wollten nicht alle Überlebenden zurück in das Land, das bis zur Deportation ins Konzentrationslager ihre Heimat gewesen war.
In Spanien war die Franco-Diktatur an der Macht. Den republikanischen spanischen Überlebenden war eine Rückkehr unmöglich. Sie hatten für die Republik und gegen den Franco-Faschismus gekämpft. Viele von ihnen ließen sich in Frankreich nieder, einige blieben zeitlebens in Österreich. Unter den jüdischen Überlebenden – nur etwa ein halbes Dutzend ursprünglich in Südwestdeutschland beheimatete jüdische Mauthausen-Häftlinge hatten das Glück, die Befreiung zu erleben – zog es viele an Orte, an denen sie sich sicherer fühlen konnten als in dem antisemitisch vergifteten Milieu ihrer früheren Heimatländer. Für viele waren Palästina und die USA eine Alternative. Die Wege aus den Konzentrationslagern hinaus in das neue und andere Leben, in die vom Krieg zerstörten Länder, waren oft lang und beschwerlich. Und die Erinnerungen an die KZ-Haft, die Bilder im Kopfkino, die Wunden und Narben, das schlechte Gewissen, selbst das alltägliche Sterben überlebt zu haben, wurden – ob zeitweise erfolgreich verdrängt oder nicht – zu den die Überlebenden prägenden Begleitern. Viele der nach Südwestdeutschland zurückgekehrten Häftlinge hatten neben den psychischen Haftfolgen auch Zumutungen amtlicher Stellen zu ertragen, welche die Wiedergutmachung sehr restriktiv handhabten, andere waren fortgesetzter oder erneuter Diskriminierung ausgesetzt. Ehemalige politische Häftlinge erlebten in ihrer Heimat neben der Würdigung als Opfer und Widerstandskämpfer auch politisch motivierte Diffamierungen. Manche zweifelten am Sinn ihres Martyriums, das sie für ihre früheren politischen Ideale erlitten hatten. „Die Spur des Lagers war sehr lang – bis in die letzten Jahre“ (Konstantin-Alexandrovitsch-Schilov aus Russland, Website Memorial Mauthausen).
Am 16. Mai 1945 wurden die sowjetischen Häftlinge auf dem Appellplatz des KZ Mauthausen feierlich verabschiedet. Die Vertreter des Internationalen Mauthausen Komitees verlasen den „Mauthausen-Schwur“ und riefen dazu auf, eine „Welt des freien Menschen“ zu errichten. Diesem Schwur sind etliche Überlebende Zeit ihres Lebens treu geblieben. Ehemalige politische Häftlinge engagierten sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit im Verwaltungsaufbau und der Entnazifizierung sowie auch in Gewerkschaften, Parteien, internationalen Organisationen und nahmen Einfluss auf die politische Gestaltung der Nachkriegsordnung. Dabei sollte allerdings nicht übersehen werden, dass dies nur für einen Teil der ehemaligen Mauthausen-Häftlinge zutraf. Angehörige „ignorierter“ Opfergruppen wurden teilweise bewusst an den Rand gedrängt und auch von Würdigungen ihres Leids und von Wiedergutmachungsleistungen ausgeschlossen. Etliche waren nach der „Befreiung“ weiterhin Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt.
Quellen und Literatur
Kambanellis, Iakovos: Die Freiheit kam im Mai, Wien 2010, S. 17.
Maršálek, Hans: Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, Wien-Linz 1995, S. 334.
Mernyi, Willi; Wenninger, Florian (Hg.): Die Befreiung des KZ Mauthausen, Wien 2006.
Mauthausen Memorial https://www.mauthausen-memorial.org
Bildnachweis
Bewaffnete Häftlinge unweit des KZ Mauthausen am 5. Mai 1945. In: Mernyi, Willi; Wenninger, Florian (Hg.): Die Befreiung des KZ Mauthausen, Wien 2006, S. 25.
Befreite Häftlinge verlassen das Lager Mauthausen zu Fuß, Mai 1945. Foto Francisco Boix. In: "das sichtbare unfassbare" – Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, Wien 2005, S. 159.
© Text und Recherche:
Ingrid Bauz, Stuttgart
Stand: Januar 2022
www.kz-mauthausen-bw.de