Karl Stoll
(geb. 1917)
01.09.1944 KZ Natzweiler
06.09.1944 KZ Dachau
14./16.09.1944 KZ Mauthausen
05.11.1944 KZ Gusen II
05.05.1945 im KZ Gusen II befreit
Karl Stoll wurde am 5. Mai 1917 in Ravensburg geboren. Über sein Leben ist nur wenig bekannt. Er war katholisch getauft, unverheiratet und wohnte an seinem Geburtsort in der Rechenwiesenstraße 28. In der Inhaftierungsbescheinigung des Internationalen Suchdiensts Arolsen (ITS) vom 30. Dezember 1954 ist als Beruf Arbeiter und Landwirt angegeben.
Irgendwann scheint er, vermutlich auch wegen seiner Homosexualität, mit dem Gesetz in Konflikt gekommen zu sein. Auf seiner Häftlingspersonalkarte des KZ Mauthausen steht bei der Rubrik Wohnort "zuletzt Strafgefängnis Kislau".
Am 1. September 1944 wurde er in das Konzentrationslager Natzweiler im Elsass eingewiesen. Die Kripo Stuttgart, die die Einweisung veranlasst hatte, begründete sie mit "Diebstahl und § 175". Im Juni 1935 war der Straftatbestand des § 175 beträchtlich erweitert und das Strafmaß deutlich erhöht worden. Sämtliche sexuellen Handlungen zwischen Männern waren nun unter Strafe gestellt. In den KZ wurde der § 175 als Häftlingskategorisierung übernommen. So auch im Fall von Karl Stoll, der zu der Häftlingsnummer 26899 die Kategorie "§ 175" erhielt.
Als das Hauptlager Natzweiler wenig später angesichts der näherrückenden Front aufgelöst wurde, kam er per Sammeltransport vom 4./6. September 1944 in das KZ Dachau. Hier wurde er mit der Häftlingsnummer 101853 und der, eher ungewöhnlichen Doppelkategorie „Sch.“ (Schutzhäftling, eine Häftlingskategorie, die ansonsten in der Regel auf eine Einweisung durch die Gestapo hinwies) und "Polizeiliche Sicherungsverwahrung" (PSV)1 registriert. Bereits am 14./16. September 1944 erfolgte jedoch, ebenfalls per Sammeltransport, die Überstellung in das Konzentrationslager Mauthausen (Häftlingsnummer 99228, Kategorie "§ 175" und "BV" [Berufsverbrecher]).
Am 5. November 1944 wurde Karl Stoll aus dem Quarantänelager des KZ Mauthausen entlassen und noch am selben Tag ins nahegelegene KZ Gusen bzw. Gusen II verlegt. Hier musste er beim mörderischen Stollenbau beim Projekt "Bergkristall"2 Zwangsarbeit leisten. Am 5. Mai 1945 erlebte er die Befreiung im Lager Gusen II.
Wieder in Freiheit wohnte Karl Stoll in Egelsee im Kreis Biberach. Die auch nach 1945 fortgesetzte Kriminalisierung Homosexueller bewirkte, dass Männer, die wegen ihrer Homosexualität im KZ waren, weitgehend von Entschädigung ausgeschlossen waren. Karl Stoll scheint trotzdem einen Versuch unternommen zu haben, Entschädigungsleistungen zu erlangen. Anfang November 1954 jedenfalls erbat der öffentliche Anwalt für die Wiedergutmachung beim Amtsgericht Tübingen beim International Tracing Service (ITS) Arolsen eine Inhaftierungsbescheinigung für Karl Stoll. Diese Bescheinigung wurde dem Anwalt zugeschickt. Ob die Bemühungen um eine Entschädigung erfolgreich waren, ist leider nicht bekannt.
Am 24. Oktober 1963 erging an Karl Stoll ein Schreiben des ITS Arolsen, dass dem Suchdienst ein Teil der im KZ abgenommenen Privatsachen zugegangen wäre und dass Stoll nun sein Eigentum zugestellt werden könne. Es handelte sich dabei um ein Arbeitsbuch und ein Schreiben des Gefängnisses Kislau.
Die Markierung auf der Übersichtskarte zeigt die letzte Wohnadresse Karl Stolls vor seiner KZ-Einweisung, Rechenwiesenstraße 28 in Ravensburg.
____________________
1 Die von der Kriminalpolizei als Vorbeugehäftlinge eingewiesenen sogenannten "Berufsverbrecher" (BV) wurden in den Politischen Abteilungen der KZ oft unter dem Titel "polizeiliche Sicherungsverwahrung (PSV)" kategorisiert. Die "PSV" ist nicht zu verwechseln mit der von Gerichten angeordneten Sicherungsverwahrung, bei der die Gefangenen in der Obhut der Justiz blieben - bis auch sie Ende 1942 nach einer Vereinbarung mit Heinrich Himmler en bloc an die SS und damit in die KZ ausgeliefert wurden.
2 "Bergkristall" war die Tarnbezeichnung für ein ab Jahresbeginn 1944 in St. Georgen an der Gusen unter strengster Geheimhaltung eingerichtetes unterirdisches Flugzeugwerk für die Großserienproduktion von Düsenjagdflugzeugen des Typs Messerschmitt Me 262. In nur 13 Monaten Bauzeit schufen Häftlinge des KZ Gusen II einen der größten und modernsten unterirdischen Produktionskomplexe Nazi-Deutschlands. Um für den Stollenbau genug Häftlinge zur Verfügung zu haben, errichtete die SS den Lagerbereich Gusen II neben dem ursprünglichen Lager Gusen I. Beim Stollenbau für "Bergkristall" waren zeitweise über 6.000 Häftlinge eingesetzt.
Quellen
ITS Digital Archive, Arolsen Archives
1.1.26.3 Individuelle Unterlagen Männer Mauthausen / Karl Stoll
1.1.6.7 Schreibstubenkarten Dachau/Karl Stoll
DocID: 130432304 (Zugangsbücher Dachau)
DocID: 128452121 (Dachau, Transportliste ins KZ Mauthausen)
Korrespondenzakte T/D 390133
Searching Dachau Concentration Camp Records in One Step (https://stevemorse.org/dachau/dachau.html)
© Text und Recherche:
Sigrid Brüggemann, Stuttgart
Stand: Februar 2023
www.kz-mauthausen-bw.de
01.09.1944 KZ Natzweiler
06.09.1944 KZ Dachau
14./16.09.1944 KZ Mauthausen
05.11.1944 KZ Gusen II
05.05.1945 im KZ Gusen II befreit
Karl Stoll wurde am 5. Mai 1917 in Ravensburg geboren. Über sein Leben ist nur wenig bekannt. Er war katholisch getauft, unverheiratet und wohnte an seinem Geburtsort in der Rechenwiesenstraße 28. In der Inhaftierungsbescheinigung des Internationalen Suchdiensts Arolsen (ITS) vom 30. Dezember 1954 ist als Beruf Arbeiter und Landwirt angegeben.
Irgendwann scheint er, vermutlich auch wegen seiner Homosexualität, mit dem Gesetz in Konflikt gekommen zu sein. Auf seiner Häftlingspersonalkarte des KZ Mauthausen steht bei der Rubrik Wohnort "zuletzt Strafgefängnis Kislau".
Am 1. September 1944 wurde er in das Konzentrationslager Natzweiler im Elsass eingewiesen. Die Kripo Stuttgart, die die Einweisung veranlasst hatte, begründete sie mit "Diebstahl und § 175". Im Juni 1935 war der Straftatbestand des § 175 beträchtlich erweitert und das Strafmaß deutlich erhöht worden. Sämtliche sexuellen Handlungen zwischen Männern waren nun unter Strafe gestellt. In den KZ wurde der § 175 als Häftlingskategorisierung übernommen. So auch im Fall von Karl Stoll, der zu der Häftlingsnummer 26899 die Kategorie "§ 175" erhielt.
Als das Hauptlager Natzweiler wenig später angesichts der näherrückenden Front aufgelöst wurde, kam er per Sammeltransport vom 4./6. September 1944 in das KZ Dachau. Hier wurde er mit der Häftlingsnummer 101853 und der, eher ungewöhnlichen Doppelkategorie „Sch.“ (Schutzhäftling, eine Häftlingskategorie, die ansonsten in der Regel auf eine Einweisung durch die Gestapo hinwies) und "Polizeiliche Sicherungsverwahrung" (PSV)1 registriert. Bereits am 14./16. September 1944 erfolgte jedoch, ebenfalls per Sammeltransport, die Überstellung in das Konzentrationslager Mauthausen (Häftlingsnummer 99228, Kategorie "§ 175" und "BV" [Berufsverbrecher]).
Am 5. November 1944 wurde Karl Stoll aus dem Quarantänelager des KZ Mauthausen entlassen und noch am selben Tag ins nahegelegene KZ Gusen bzw. Gusen II verlegt. Hier musste er beim mörderischen Stollenbau beim Projekt "Bergkristall"2 Zwangsarbeit leisten. Am 5. Mai 1945 erlebte er die Befreiung im Lager Gusen II.
Wieder in Freiheit wohnte Karl Stoll in Egelsee im Kreis Biberach. Die auch nach 1945 fortgesetzte Kriminalisierung Homosexueller bewirkte, dass Männer, die wegen ihrer Homosexualität im KZ waren, weitgehend von Entschädigung ausgeschlossen waren. Karl Stoll scheint trotzdem einen Versuch unternommen zu haben, Entschädigungsleistungen zu erlangen. Anfang November 1954 jedenfalls erbat der öffentliche Anwalt für die Wiedergutmachung beim Amtsgericht Tübingen beim International Tracing Service (ITS) Arolsen eine Inhaftierungsbescheinigung für Karl Stoll. Diese Bescheinigung wurde dem Anwalt zugeschickt. Ob die Bemühungen um eine Entschädigung erfolgreich waren, ist leider nicht bekannt.
Am 24. Oktober 1963 erging an Karl Stoll ein Schreiben des ITS Arolsen, dass dem Suchdienst ein Teil der im KZ abgenommenen Privatsachen zugegangen wäre und dass Stoll nun sein Eigentum zugestellt werden könne. Es handelte sich dabei um ein Arbeitsbuch und ein Schreiben des Gefängnisses Kislau.
Die Markierung auf der Übersichtskarte zeigt die letzte Wohnadresse Karl Stolls vor seiner KZ-Einweisung, Rechenwiesenstraße 28 in Ravensburg.
____________________
1 Die von der Kriminalpolizei als Vorbeugehäftlinge eingewiesenen sogenannten "Berufsverbrecher" (BV) wurden in den Politischen Abteilungen der KZ oft unter dem Titel "polizeiliche Sicherungsverwahrung (PSV)" kategorisiert. Die "PSV" ist nicht zu verwechseln mit der von Gerichten angeordneten Sicherungsverwahrung, bei der die Gefangenen in der Obhut der Justiz blieben - bis auch sie Ende 1942 nach einer Vereinbarung mit Heinrich Himmler en bloc an die SS und damit in die KZ ausgeliefert wurden.
2 "Bergkristall" war die Tarnbezeichnung für ein ab Jahresbeginn 1944 in St. Georgen an der Gusen unter strengster Geheimhaltung eingerichtetes unterirdisches Flugzeugwerk für die Großserienproduktion von Düsenjagdflugzeugen des Typs Messerschmitt Me 262. In nur 13 Monaten Bauzeit schufen Häftlinge des KZ Gusen II einen der größten und modernsten unterirdischen Produktionskomplexe Nazi-Deutschlands. Um für den Stollenbau genug Häftlinge zur Verfügung zu haben, errichtete die SS den Lagerbereich Gusen II neben dem ursprünglichen Lager Gusen I. Beim Stollenbau für "Bergkristall" waren zeitweise über 6.000 Häftlinge eingesetzt.
Quellen
ITS Digital Archive, Arolsen Archives
1.1.26.3 Individuelle Unterlagen Männer Mauthausen / Karl Stoll
1.1.6.7 Schreibstubenkarten Dachau/Karl Stoll
DocID: 130432304 (Zugangsbücher Dachau)
DocID: 128452121 (Dachau, Transportliste ins KZ Mauthausen)
Korrespondenzakte T/D 390133
Searching Dachau Concentration Camp Records in One Step (https://stevemorse.org/dachau/dachau.html)
© Text und Recherche:
Sigrid Brüggemann, Stuttgart
Stand: Februar 2023
www.kz-mauthausen-bw.de