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Otto Schöffel (1891 - 1944)

"Das sind große Dackel auf der Gestapo!"

20.02.1941 Anordnung der Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt
21.03.1944 KZ Mauthausen
13.05.1944 Tod im KZ-Außenlager Schwechat

Otto Schöffel wurde am 18. September 1891 in Renningen im heutigen Landkreis Böblingen geboren.
 
Während seiner Militärdienstzeit war er als Militärkrankenwärter eingesetzt. Im August 1913 wurde er wegen angeblicher "plötzlich auftretender Streitsucht" für drei Wochen in der Heilanstalt Winnental untergebracht und anschließend als "dienstunfähig" aus dem Militär entlassen. Diagnostiziert wurde vom zuständigen Arzt damals "leichte Reizbarkeit und hochgradiger krankhafter Erregungszustand". Es dürfte sich bei Schöffel "um jugendliches Irresein" handeln.

Während des Ersten Weltkrieges wurde Otto Schöffel im Juni 1915 jedoch erneut als Krankenwärter eingezogen und 1917 als Kanonier ins Oberelsass versetzt. Dort bekam er am 14. Dezember 1917 einen Tobsuchtsanfall, gab mit dem Gewehr scharfe Schüsse ab, zertrümmerte Fensterscheiben in der Schreibstube und wurde daraufhin in die Nervenklinik Freiburg eingeliefert. Mehrmonatige Aufenthalte in den Heilanstalten Emmendingen und Weissenau folgten. Hier lautete die Diagnose "manisch-depressives Irresein". Wieder wurde er als dienstunfähig entlassen.

Die nächsten 19 Jahre scheinen für Otto Schöffel in ruhigeren Bahnen verlaufen zu sein. Am 12. Februar 1927 heiratete er Luise, geborene Bues. Das Ehepaar wohnte in der Silberburgstraße 133 in Stuttgart. Nach späteren Angaben seiner Ehefrau ging er regelmäßig seiner Arbeit als Elektromonteur nach. In ihrem Bekanntenkreis sei ihr Ehemann nicht als irgendwie psychisch beeinträchtigt wahrgenommen worden.

Die Zeit von September bis Oktober 1936 musste er jedoch mit dem Krankheitsbild "degenerativer Psychopath" im Stuttgarter Bürgerhospital verbringen. Am 30. Oktober 1937 wurde er wegen "manisch depressivem Irresein" erneut ins Bürgerhospital und von dort bis Frühjahr 1938 in die Heilanstalt Zwiefalten eingewiesen.

Im Herbst 1940 arbeitete Otto Schöffel im Auftrag der Firma Siemens bei der Firma Knorr in Heilbronn. Am 17. September des Jahres wurde er dort verhaftet, weil er auf der Straße laut vor sich hin über Hitler geschimpft hatte. Bei seiner Festnahme schlug er dem Polizisten mit der Faust ins Gesicht und schrie: "Was, Geheime Staatspolizei, Arschpolizei, ich bin Reserveoffizier, mir hat niemand etwas zu sagen!"

Trotz solcher an den Tag gelegter Renitenz, die damals in vergleichbaren Fällen durchaus zu folgenreichen Verurteilungen wegen Querulantentums führen konnten, wurde Otto Schöffel bereits nach vier Tagen wieder auf freien Fuß gesetzt. Kaum zurück, ließ er sich gegenüber einer Bekannten aus: "Das sind große Dackel auf der Gestapo; das sind Lumpen und Seckel." Er hätte zuhause noch ein Mausergewehr und eine Armeepistole, "auf die werde ich noch das Schnellfeuer eröffnen." Auf die Ermahnung der Frau, warum er immer so "dummes Zeug" rede, er werde noch erschossen deswegen, antwortete er: "Das ist mir gerade recht, (...) wenn ich dann droben bin beim Petrus, dann werde ich auf die Lumpen herunterscheissen." Dazu äußerte er noch eine Reihe "defaitistischer" Sprüche den Krieg betreffend.

Vermutlich wurde er denunziert. Otto Schöffel wurde jedenfalls erneut verhaftet und vor dem Sondergericht Stuttgart angeklagt. Am 20. Februar 1941 ordnete das Gericht die Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt an. Die Zeit vom 6. März 1941 bis 21. März 1944 verbrachte er als forensischer Patient in der Heilanstalt Winnental in Winnenden.

Um den Konzentrationslagern immer weitere zusätzliche Arbeitssklaven zuzuführen, griff Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei Heinrich Himmler schließlich auch auf die arbeitsfähigen forensischen Anstaltspatienten zu. Die Leitungen verschiedener Anstalten in Baden und Württemberg listeten in diesem Zusammenhang im Laufe des Jahres 1943 „abgabefähige“ Patienten auf, die dann im Frühjahr 1944 ins KZ Mauthausen deportiert wurden. Am 21. März 1944 wurde Otto Schöffel zusammen mit weiteren Leidensgenossen von Kripobeamten abgeholt und per Sammeltransport ins KZ Mauthausen überführt. Er wurde mit der Häftlingsnummer 59323, Kategorie Sicherungsverwahrter "SV" immatrikuliert.

Zu einem nicht bekannten Zeitpunkt wurde er in das Außenlager Schwechat bei Wien verlegt. 1942 hatten die Heinkel-Werke ihre Flugzeugfertigung hierher verlegt. Am 30. August 1943 wurde dort das KZ-Außenlager Schwechat in Betrieb genommen, in dem Häftlinge des KZ Mauthausen Zwangsarbeit beim Flugzeugbau leisten mussten. Otto Schöffel starb am 13. Mai 1944 im KZ Schwechat. Das Totenbuch des KZ Mauthausen, in dem in aller Regel fiktive Todesursachen eingetragen wurden, vermerkt Dickdarmentzündung als Todesursache.

Image
Schöffel, Otto, Todesmeldung
Todesmeldung für Otto Schöffel, DocID: 1748558

Nach Kriegsende meldete die Witwe Luise Schöffel Wiedergutmachungsansprüche an. Im Juni 1946 bestätigte die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), in deren Kartei die Witwe als Hinterbliebene geführt wurde, noch, dass Otto Schöffel aus politischen Gründen im KZ Mauthausen war (in einem späteren Ablehnungsbescheid des Amtes für die Wiedergutmachung hieß es dann allerdings, die VVN würde Schöffel nicht als NS-Verfolgten anerkennen). Die Witwe erhielt als Soforthilfe 800 Reichsmark und ab 1. Oktober 1947 eine laufende Beihilfe von monatlich 100 Reichsmark. Nach der Währungsumstellung im Juni 1948 wurde die Zahlung der Beihilfe vorläufig eingestellt und eine neuerliche Bewilligung nochmals geprüft. Mit Bescheid vom 21.7.1948 teilte die Landesbezirksstelle für die Wiedergutmachung Luise Schöffel mit, dass die Beihilfe endgültig eingestellt werde, da ihr Mann geisteskrank gewesen sei und deshalb nicht als Überzeugungstäter anerkannt werden könne.

Ein Widerspruch der Witwe gegen diesen Bescheid wurde am 5. September 1949 abgewiesen. In der Klageabweisung hieß es, dass sich zwar "die krankhaften Erscheinungen des Ehemanns der Klägerin nur in Zeiten besonderen Zwanges (...) gezeigt haben und dass er in den übrigen Zeiträumen, insbesondere von 1917-1936 seiner Arbeit nachgehen konnte. Selbst wenn er aber an keiner ausgesprochenen Geisteskrankheit gelitten hätte und die politischen Äußerungen nicht im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit getan hätte, so können diese Äußerungen doch nicht als der Ausdruck einer politischen Überzeugung gewertet werden. Er hat vielmehr jeweils ohne besonderen Anlass oder Zweck sinn- und hemmungslos geschimpft." Er sei auch nicht "irrtümlich als politischer Gegner des Naziregimes verfolgt" worden, vielmehr hätten ihn Polizei und Gerichte "stets nur als Kranken behandelt". Somit habe seine Witwe nach bestehender Rechtslage keinen Anspruch auf Entschädigungsleistungen: "es muss dem Gesetzgeber überlassen bleiben, ob und in welcher Weise er derartige Fälle nationalsozialistischen Unrechts wieder gutmachen will und kann".

Bis 1960 stellte Luise Schöffel weitere Anträge, die letztlich allesamt mit der Begründung, Geisteskranke bzw. ihre Angehörigen hätten keinen Anspruch auf Wiedergutmachung, abgewiesen wurden.

Die Markierung auf der Übersichtskarte zeigt Otto Schöffels Wohnadresse Silberburgstraße 133 in Stuttgart.


Quellen

ITS Digital Archive, Arolsen Archives
1.1.26.3 Individuelle Unterlagen Männer Mauthausen /Otto Schöffel
DocID: 1748558 (OTTO SCHÖFFEL), Todesmeldung

Hauptstaatsarchiv Stuttgart
E 151/53 Bü 500

Staatsarchiv Freiburg
E 120/1 Nr. 5450

Memorial Mauthausen
(https://raumdernamen.mauthausen-memorial.org/)

Memorial Mauthausen
Zugangsliste Mauthausen vom 23. März 1944


© Text und Recherche:
Sigrid Brüggemann, Stuttgart
Stand: November 2023
www.kz-mauthausen-bw.de