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Arthur Dieterich

(geb. 1913)

Homosexueller SS-Angehöriger

04.05.1940 KZ Dachau
16.08.1940 KZ Mauthausen
28.06.1942 KZ Dachau
06.01.1945 Entlassung aus KZ Dachau

Arthur Dieterich kam am 1. Dezember 1913 in Biberach an der Riß zur Welt und wurde evangelisch getauft. 1931 bis 1933 ließ er sich bei der Vollmer Werke Maschinenfabrik in Biberach zum Mechaniker ausbilden. Er wohnte in der Schlageterstraße 9 (der heutigen Keplerstraße).

Am 1. Dezember 1931 trat er der SS bei. Ein Jahr später wurde er Mitglied der NSDAP, der er bis 1938 angehörte. Am 1. Juli 1933 wechselte er von der allgemeinen zur Waffen-SS und kam daraufhin zur SS-Bereitschaft Reutlingen und im Februar 1934 nach Ellwangen, wo er in der früheren Unteroffiziersschule kaserniert war. Hier wurde er ein Jahr später zum SS-Scharführer befördert.

Seine Karriere im NS-System endete jäh, als ihn ihm untergebene SS-Männer der Homosexualität bezichtigten. In der Vernehmung durch die SS Ellwangen im September 1938 gab er zu, einen Kameraden in die Beine gekniffen zu haben, woraus sich dann eine Balgerei ergeben hätte. Dies sei aber alkoholisiert und aus Spaß geschehen. Er sei völlig normal und unterhalte Beziehungen zu mehreren jungen Frauen, mit denen er auch geschlechtlich verkehre.

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Dieterich, Arthur, Stapol Stgt.
Schreiben der Staatspolizeileitstelle Stuttgart / Außendienststelle Ellwangen, StAL E 343 Bü 12

Sehr glaubhaft scheinen seine Einlassungen indessen nicht gewirkt zu haben, denn auf Ersuchen des Oberstaatsanwalts beim Landgericht Ellwangen wurde Dieterich am 17. November 1938 durch Beamte der Stapoleitstelle Stuttgart wegen Vergehen gegen § 175 (homosexuelle "Unzucht") und § 175 a ("Unzucht" mit Abhängigen) Reichsstrafgesetzbuch erneut verhört. Das Landgericht Ellwangen verurteilte Dieterich schließlich am 25. Januar 1939 wegen "4 Verbrechen der versuchten Bestimmung eines Abhängigen zur Unzucht, je in Tateinheit mit 1 Vergehen der Unzucht zwischen Männern und wegen 3 weiterer solcher Vergehen" zu anderthalb Jahren Haft, die er im Landesgefängnis Ulm verbüßte.

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Dieterich, Arthur, Gnadengesuch
Schreiben des Oberstaatsanwalts beim Landgericht Ellwangen, StAL E 343 Bü 12

Nach Strafende wurde er an der Torwache des Gefängnisses von Staatspolizeibeamten in Schutzhaft genommen und in das Gestapogefängnis Welzheim verbracht. Nachdem der Schutzhaftbefehl aus Berlin eingetroffen war, kam er am 4. Mai 1940 in das KZ Dachau, wo er als homosexueller Schutzhäftling registriert wurde und die Häftlingsnummer 30710 erhielt. Am 16. August 1940 wurde er in das Konzentrationslager Mauthausen (Häftlingsnummer 503, Kategorie § 175 "Schutz") überstellt. Am 28. Juni 1942 wurde er nach Dachau rücküberstellt. Am 6. Januar 1945 wurde er aus dem KZ Dachau entlassen. Von Dachau kam er an die Front, wurde verwundet und geriet am 18. April 1945 in Kriegsgefangenschaft. Nach seiner Entlassung kehrte er nach Biberach zurück und arbeitete wieder in seinem Beruf.

In seinem Entnazifizierungsverfahren erklärte ihn die Spruchkammer in Riedlingen (Landkreis Biberach) am 31. August 1948 für "entlastet". Dieterich hatte im Verfahren angegeben, er sei zwar wegen eines Deliktes "im Sinne des § 175" in Haft gekommen, er habe aber noch während seiner Zugehörigkeit zur Waffen-SS und mehr noch während der Strafhaft über die NSDAP geschimpft. Die Spruchkammer glaubte seinen Ausführungen und begründete ihren Spruch damit, dass er wohl kein eifriges und ergebenes SS-Mitglied  gewesen sein könne, da andernfalls das Strafverfahren wegen § 175 nicht oder milder durchgeführt worden wäre, da die SS ihre "Sünder" weitgehend gedeckt hätte.

Auch in der Nachkriegszeit stand Dieterich wegen des Vorwurfs homosexueller Handlungen mehrfach vor Gericht. Im Oktober 1950 verurteilte ihn das Schöffengericht Biberach wegen "12 Verbrechen der versuchten und 2 Verbrechen der vollendeten Verführung zu gleichgeschlechtlicher Unzucht, begangen in der Zeit von Sommer 1946 bis April 1950", zu einer Gesamtstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten Gefängnis, und ordnete seine Unterbringung in einer Heilanstalt an. Sieben Monate verbrachte er aufgrund des Richterspruchs im Psychiatrischen Landeskrankenhaus Schussenried. Im Juni 1956 erfolgte eine Verurteilung zu sechs Monaten Haft durch das Biberacher Schöffengericht wegen versuchter Verführung eines Minderjährigen zur "Unzucht". Am 7. Dezember 1958 wurde er aus dem Landesgefängnis Ulm, wo er wegen gleichgeschlechtlicher "Unzucht" einsaß, entlassen. Auch danach geriet er immer wieder mit dem damals geltenden Sexualstrafrecht in Konflikt; Es finden sich entsprechende Strafprozessakten mit der Laufzeit von 1959 bis 1967.

Die Markierung auf der Übersichtskarte zeigt die Wohnadresse von Arthur Dieterich, Keplerstraße 9 in Biberach an der Riß.

 
Quellen und Literatur

ITS Digital Archive, Arolsen Archives
1.1.26.3 Individuelle Unterlagen Männer Mauthausen, Arthur Dieterich
1.1.6.2. Individuelle Häftlingsunterlagen Männer KL Dachau, Arthur Dieterich
1.1.6.7 Schreibstubenkarten Dachau/Arthur Dieterich
1.1.6.1 Listenmaterial Dachau / Zugangsbücher des KZ Dachau, DocID: 130430191

Searching Dachau Concentration Camp Records in One Step (https://stevemorse.org/dachau/dachau.html)

Staatsarchiv Ludwigsburg (StAL)
E 343 Bü 12
EL 336 I Bü 2674

Staatsarchiv Sigmaringen
Wü 29/1 T 1-11 Nr. 1409
Wü 13 T 2 Nr. 2635/243
Wü 120 T 3 Nr. 720

https://www.der-liebe-wegen.org/Arthur Dieterich (Biografie von Werner Biggel/Ralf Bogen)

 


© Text und Recherche:
Sigrid Brüggemann, Stuttgart
Stand: Dezember 2022
www.kz-mauthausen-bw.de