Eugen Lenz (1916 - 1944)
ein forensischer Patient
20.01.1941 Anordnung der Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt
23.03.1944 KZ Mauthausen
24.10.1944 Tod im KZ-Außenlager Melk
Eugen Lenz wurde am 15. April 1916 in Schnait (heute ein Stadtteil von Weinstadt im Rems-Murr-Kreis) geboren. Zu der Weingärtnerfamilie, die in der Silcherstraße 28 in Schnait wohnte, gehörte noch seine zwei Jahre ältere Schwester. Nach seiner Schulentlassung arbeitete er fast ausschließlich im elterlichen Anwesen als Weingärtner.
Eltern und Lehrer gaben bei späteren Befragungen durch begutachtende Ärzte an, dass Eugen schon als Kind "absonderlich" gewesen sei, "scheu, wenig lenksam und ohne besondere Interessen". Von Schulkameraden habe er sich ferngehalten und keine Schulfreundschaften gepflegt. Besonders auffällig sei er nach seiner Geschlechtsreife geworden.
1936 wurde Eugen Lenz zum Reichsarbeitsdienst (RAD) einberufen, aber nach ein paar wenigen Wochen wegen "Untauglichkeit" wieder entlassen. Am 9. Februar 1940 erfolgte eine Musterung für den Wehrdienst, bei der er als "untauglich für den Waffendienst" befunden wurde. Zu einer erneuten Musterung am 14. Juli 1940 erschien er in größter Aufregung und mit einer Dauererrektion seines Penis. Die Musterungskommission hielt seinen Geisteszustand deswegen für bedenklich, und bereits nach einer Woche wurde er aufgrund seiner "charakterlichen Eigenarten" wieder aus dem Militärdienst entlassen.
Mitte Juli 1940 wurde Eugen Lenz festgenommen. Er wurde des Exhibitionismus beschuldigt (er hatte sein Geschlechtsteil vor drei Kindern entblößt), der Sodomie (sexuelle Handlungen mit Tieren), des vermuteten Inzests (Geschlechtsverkehr mit eng blutsverwandten Personen bzw. mit seiner Schwester) und außerdem schweren Diebstahls. Ein gerichtsärztliches Gutachten des Staatlichen Gesundheitsamtes Waiblingen kam zu dem Urteil: "Es handelt sich bei Lenz um eine zum mindesten psychopathische durchschnittlich begabte Persönlichkeit, die an einem gesteigerten anormalen Geschlechtsgefühl in Form des Exhibitionismus und der Sodomie leidet und auch Anzeichen von Geistesstörungen schizoider Form aufweist." Eine definitive Beurteilung sei aufgrund der einmaligen Untersuchung aber nicht möglich, Lenz solle deshalb zur weiteren Untersuchung in die Heil- und Pflegeanstalt Winnental gebracht werden. Vom 25. September bis 5. November 1940 verbrachte er dort die vorgeschriebenen sechs Wochen zur Beobachtung und Untersuchung und wurde danach als ungeheilt entlassen. Als Resultat wurde seine Schuldunfähigkeit festgestellt: "Zur Zeit der Begehung der Sittlichkeitsverbrechen war Lenz infolge von krankhafter Störung der Geistestätigkeit unfähig, das Unerlaubte der Tat einzusehen und nach dieser Hinsicht zu handeln. Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Strafgesetzbuch sind somit gegeben."
Das Landgericht Stuttgart folgte in der Verhandlung am 20. Januar 1941 dem Gutachten und ordnete die Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt nach § 42 b Strafgesetzbuch an. Eugen Lenz wurde erneut in Winnental eingeliefert. Er unternahm Mitte Mai und Ende August 1941 zwei Fluchtversuche, wurde aber nach kurzer Zeit aufgegriffen und wieder in die Anstalt zurückgebracht.
In einem weiteren amtsärztlichen Gutachten des Staatlichen Gesundheitsamtes Waiblingen vom 29. August 1941 wurde die Frage einer Kastration erörtert:
"Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass Lenz an einer Geisteskrankheit u. zwar an einer Schizophrenie leidet, die sich auf dem Boden eines bei ihm angeborenen intellektuellen Schwachsinns mittleren Grades u. zu einer weitgehenden Persönlichkeitsveränderung geführt hat. [...] Seine geistige Unzulänglichkeit äußert sich in dem Vorhandensein ethischer Mängel, in kurzschlussartigen Triebhandlungen vornehmlich auf sexuellem Gebiet u. in einer Urteilsschwäche, welche es ihm unmöglich macht, seine Handlungen in ihren Folgen zu übersehen. [...]
Da Lenz zu der Gruppe von Männern gehört, bei denen die Entmannung die besten Aussichten auf Erfolg bietet, halte ich die Entfernung der Keimdrüsen (Kastration) für erforderlich, um ihn von seinem entarteten Geschlechtstrieb zu befreien.
Mit dieser Maßnahme wird gleichzeitig dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses genügt, da Lenz an einer Erbkrankheit leidet, die seine Unfruchtbarmachung (Sterilisation) notwendig machen würde."
Ob dieser Eingriff durchgeführt wurde, entzieht sich unserer Kenntnis. In den Krankenberichten wird er jedoch als zunehmend teilnahmsloser und unzugänglicher geschildert, als jemand, der keine sozialen Kontakte sucht, zurückgezogen für sich bleibt, sich für das Geschehen in seinem persönlichen Umfeld nicht interessiert, und der auch nicht arbeiten will.
Im letzten der Berichte (März 1944) hieß es:
"Dämmert im allgemeinen stumpf u. interesselos dahin, kümmert sich nicht um die Vorgänge in seiner Umgebung u. die der Außenwelt. Sucht keine Beziehungen zu seiner Umgebung. Ist zu keiner Arbeit zu bewegen, hat aber immer wieder das Bestreben zu entweichen.
Wird heute auf Anordnung des Reichsministers der Justiz in das Arbeits- und Erziehungslager Mauthausen bei Linz (Oberdonau) überführt u. ungeheilt entlassen."
Im Frühjahr 1944 wurde ein Teil der arbeitsfähigen forensischen Patienten an die SS ausgeliefert und in Konzentrationslager verschleppt. Eugen Lenz wurde zusammen mit anderen Winnentaler Anstaltspatienten am 23. März 1944 in das KZ Mauthausen eingeliefert. Er erhielt die Häftlingsnummer 59311 und wurde, wie grundsätzlich alle in das Lager eingewiesenen forensischen Patienten, als Sicherungsverwahrter "SV" registriert.
Vermutlich noch im Frühjahr 1944 wurde er in das KZ-Außenlager Melk überstellt. Das im April 1944 in der niederösterreichischen Gemeinde Melk errichtete Lager diente unter der Tarnbezeichnung "Quarz" hauptsächlich der Rüstungsproduktion der Steyr-Daimler-Puch AG. Die Häftlinge mussten für die Untertagefabrik ausgedehnte Stollen in den Berg treiben. Hier starb Eugen Lenz am 24. Oktober 1944 im Alter von 28 Jahren.
Die Markierung auf der Übersichtskarte zeigt die letzte freigewählte Wohnadresse von Eugen Lenz: Silcherstraße 28 in Weinstadt-Schnait.
Quellen
ITS Digital Archive, Arolsen Archives
1.1.26.3 Individuelle Häftlingsunterlagen Männer KL Mauthausen, Eugen Lenz
DocID: 1586189 (Todesmeldung)
Staatsarchiv Ludwigsburg
F 235 II Bü 10387, FL 30/19 I Bü 1601
Memorial Mauthausen
(https://raumdernamen.mauthausen-memorial.org/)
Archiv Memorial Mauthausen
Zugangsliste Mauthausen vom 23. März 1944
© Text und Recherche:
Sigrid Brüggemann, Stuttgart
Stand: Dezember 2024
www.kz-mauthausen-bw.de