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Georg Gaiser (1914 - 1944)

konnte "das Anschreien nicht vertragen"

25.01.1937 Zuchthaus Ludwigsburg
19.01.1939 Heil- und Pflegeanstalt Zwiefalten
23.03.1944 KZ Mauthausen
29.05.1944 Tod im KZ Ebensee

Georg Kaiser wurde am 8. Februar 1914 in Mitteltal (heute ein Teilort der Gemeinde Baiersbronn) im Schwarzwald geboren. Nach Auskunft des damaligen Baiersbronner Bürgermeisters waren die Eltern ehrenwerte Leute, die Mutter allerdings hatte wegen einer psychischen Erkrankung mehrere Jahre in der Heil- und Pflegeanstalt Zwiefalten verbracht. Georg sei einige Zeit in Fürsorgeerziehung und in den schulischen Leistungen  etwas schwach gewesen. Nach seiner Schulentlassung war er noch einige Zeit in der "Werner'schen Anstalt" in Göttelfingen (eine Jugendhilfeeinrichtung der Diakonie). Danach arbeitete er überwiegend in der Landwirtschaft und in einer Dampfziegelei. Er sei wanderlustig gewesen und hätte sich sein Essen großenteils durch Raub besorgt. Der Bürgermeister: "Ein richtiger Tunichtgut. Am besten wäre es, wenn er nach Verbüßung seiner Strafe in einer Anstalt untergebracht werden könnte, denn sonst hat das Gericht sofort wieder mit ihm zu tun."

Zwischen 1932 und 1937 wurde er in sechs Gerichtsverfahren zu insgesamt zwei Jahren Gefängnis verurteilt wegen schweren Diebstahls (auch im Rückfall), Hausfriedensbruchs, Körperverletzung, Bedrohung, Bettelns und "Nichtgestellung zur Musterung".

Am 3. August 1937 wurde Georg Gaiser zur Ableistung einer achtwöchigen militärischen Übung bei der Sonderabteilung Münsingen auf der Schwäbischen Alb eingezogen. Solche Sonderabteilungen waren 1936 im Zuge der Aufrüstung der deutschen Wehrmacht als sogenannte "Erziehungseinheiten" gebildet worden. Bereits nach zwei Wochen sollte er mit fünf Tagen verschärftem Arrest bestraft werden, weil er einen Befehl nicht ausführte, "sich im Dienst auffällig vernachlässigte und zu einem Gefreiten sagte, er könne ihn am Arsch lecken". Seine Vorgesetzten beurteilten ihn als "körperlich schlecht veranlagt", "geistig weit unter Durchschnitt", "mit seinen Leistungen weit hinter den anderen zurückgeblieben, "ein vollkommen verkommener, seelisch unempfindlich verstockter Mensch."

Am 18. August 1937, kurz vor Antritt seiner Arreststrafe, flüchtete Georg Gaiser aus dem Militärlager Münsingen und wanderte in den folgenden Tagen über die Schwäbische Alb bis in die Nähe von Freudenstadt. Nachts brach er in Bauernhöfen ein und versorgte sich mit Nahrungsmitteln und Kleidung. Ende August kam er zum Hof eines Bauern, bei dem er früher einmal beschäftigt war. Dort brach er gleich an zwei aufeinanderfolgenden Tagen ein und entwendete zum Schluss 225 Reichsmark. Er kaufte sich einen neuen Anzug und gab den Rest des Geldes auf dem Jahrmarkt und in Wirtshäusern aus. In Lombach, Kreis Freudenstadt, wurde er erkannt und festgenommen.

Vor dem Kriegsgericht der 5. Division Ulm gestand Georg Gaiser seine Taten, wurde aber nur wegen des schweren Diebstahls im Rückfall und wegen Fahnenflucht verurteilt. Die Lebensmitteldiebstähle und die damit verbundenen Hausfriedensbrüche fanden keine Berücksichtigung. Beim Strafmaß wurden ihm jedoch keine mildernden Umstände zugebilligt, da seine neuerlichen Straftaten gezeigt hätten, dass er unverbesserlich sei. Das Kriegsgericht befand: "Der Angeklagte ist ganz erheblich vorbestraft, er hat bereits einmal einen schweren Diebstahl im Rückfall begangen. Es musste diesmal daher Zuchthausstrafe zur Anwendung kommen. Ebensowenig war ein minder schwerer Fall der Fahnenflucht anzunehmen. Es ergaben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte vorschriftswidrig behandelt oder misshandelt worden war. Eine straffe militärische Behandlung im zulässigen Rahmen ist gerade bei den Angehörigen der Sonder-Abteilung notwendig."
Am 13. November 1937 wurde er vom Kriegsgericht zu 1 Jahr 3 Monaten Zuchthaus verurteilt und für wehrunwürdig erklärt. Gleichzeitig wurde seine Unterbringung nach Strafende in einer Heil- und Pflegeanstalt angeordnet. In der Urteilsbegründung hieß es:
"Der Angeklagte war äußerst ungern Soldat. Er konnte sich in Anbetracht seiner Veranlagung und seiner Vergangenheit nur schwer in eine Gemeinschaft, noch dazu in eine militärische, einordnen. Schon als Kind schwänzte er die Schule, war der schlechteste Schüler und kam nicht recht mit. Als er nun disziplinar bestraft werden musste, lief der Angeklagte in dem festen Entschluss, vom Militär nichts mehr wissen zu wollen, davon. Er erklärte kurz vorher noch, er sitze lieber im Gefängnis, als dass er weiter den Dienst bei der Sonder-Abteilung mitmache. Er könne das Anschreien nicht vertragen."

Image
Gaiser, Georg, FP, ED-Foto
Erkennungsdienstliches Foto v. Georg Gaiser, Staatsarchiv Ludwigsburg E 356 d V Bü 1944

Das Kriegsgericht habe trotzdem eine verhältnismässig geringe Zuchthausstrafe ausgesprochen, da Georg Gaiser nach dem ärztlichen Gutachten als geistesschwach anzusehen sei. Er sei zwar geistig nicht so eingeschränkt , dass er das Strafbare seines Verhaltens nicht einsehen könne, sei immerhin bis zu einem gewissen Grade intelligent, habe aber derart erhebliche Charaktermängel, dass er als erblich schwachsinnig anzusehen sei. Er sei haltlos, handele völlig triebhaft und besitze nahezu kein ethisches Vorstellungsvermögen. Er lächele nur, wenn er vor Gericht stehe.

"Das Kriegsgericht hat ihm daher den § 51 Abs. 2 RStGB [Reichsstrafgesetzbuch, S.B.] zugebilligt und eine gemilderte Strafe ausgesprochen. Aus den gleichen Gründen hielt es aber daneben die Einweisung des Angeklagten in eine Heil- und Pflegeanstalt als Maßregel der Sicherung und Besserung nach § 42 b RStGB für erforderlich. Die öffentliche Sicherheit verlangt dies. [...] Vom Standpunkt des Psychiaters aus ist er als antisozialer krimineller Typ anzusprechen, der keine Bindungen und keine Einfügung in eine Gemeinschaft kennt."
Von einer Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte wurde abgesehen, weil Gaiser "ohnehin nicht als vollwertig in seiner sozialen Ehre angesehen werden" könne. Außerdem sei die mit der Zuchthausstrafe automatisch verbundene Wehrunwürdigkeit schon eine "ausreichende Ehrenstrafe".
Nach dem Verbüßen seiner Zuchthausstrafe wurde Georg Gaiser am 19. Januar 1939 in die Heil- und Pflegeanstalt Zwiefalten verbracht.

Um den Konzentrationslagern immer weitere Arbeitssklaven zuzuführen, griff  Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei Heinrich Himmler schließlich auch auf die arbeitsfähigen forensischen Anstaltspatienten zu. Die Leitungen verschiedener Anstalten in Baden und Württemberg listeten in diesem Zusammenhang im Laufe des Jahres 1943 „abgabefähige“ Patienten auf, die im Frühjahr 1944 ins Konzentrationslager Mauthausen deportiert wurden. Am 21. März 1944 wurde auch Georg Gaiser zusammen mit elf Leidensgenossen von Kripobeamten in Zwiefalten abgeholt und per Sammeltransport über Schwäbisch Hall in das KZ Mauthausen überführt. Bei der Ankunft am 23. März 1944 erhielt er die Häftlingsnummer 59294 und wurde, wie alle forensischen Patienten im KZ Mauthausen, als „Sicherungsverwahrter“ kategorisiert und registriert.
Zu einem uns unbekannten Zeitpunkt wurde er ins Mauthausen-Außenlager KZ Ebensee mit seinen verschiedenen Tarnnamen wie beispielsweise „Kalk“, „Solvay“, „Zement“, überstellt, wo die Häftlinge beim mörderischen Stollenbau für unterirdische Anlagen für die Raketenentwicklung, Kugellagerproduktion und Treibstofferzeugung eingesetzt wurden. Georg Gaiser starb hier im Krankenrevier am 29. Mai 1944 im Alter von 30 Jahren. Das Totenbuch, in dem in aller Regel fiktive Todesursachen eingetragen wurden, vermerkt als Todesursache "allgemeinen Körperverfall" und "Kreislaufschwäche".

Die Markierung auf der Übersichtskarte zeigt Georg Gaisers Geburtsort Mitteltal.


Quellen

ITS Digital Archive, Arolsen Archives
1.1.26.3 Individuelle Häftlingsunterlagen Männer KL Mauthausen, Georg Gaiser
1.1.26.1 / 1289682 (Totenbücher des KZ Mauthausen)  
ITS-Personenauskunft vom 11.08.2022

Hauptstaatsarchiv Stuttgart
E 151/53 Bü 500

Staatsarchiv Ludwigsburg
E 356 d V Bü 1944

Memorial Mauthausen
(https://raumdernamen.mauthausen-memorial.org/)

Archiv Memorial Mauthausen
Zugangsliste Mauthausen vom 23. März 1944

 

© Text und Recherche:
Sigrid Brüggemann, Stuttgart
Stand: Dezember 2024
www.kz-mauthausen-bw.de