Hans Artmann
27.06.1938 KZ Dachau
09.05.1939 KZ Mauthausen
30.06.1942 KZ Dachau
11.06.1943 KZ Sachsenhausen
Sept. 1943 SS-Sondereinheit Dirlewanger
Hans (Johann) Artmann wurde am 4. April 1907 in Ulm an der Donau geboren und katholisch getauft. Im Anschluss an die Schule erlernte er ab 1921 bei der Ulmer Eisengießerei Hopff das Schlosserhandwerk. Vier Jahre später musste er die Firma verlassen. Den Grund für die Entlassung lieferte das Gerücht, er habe mit dem Chef während einer gemeinsamen Italienreise „widernatürliche Unzucht“ getrieben. Er arbeitete weitere drei Jahre als Schlosser und ab 1931 gelegentlich als Kraftfahrer bei wechselnden Firmen.
Mitte Januar 1937 wurde Artmann von der Kriminalpolizei festgenommen und seine Wohnung ohne nennenswertes Ergebnis durchsucht. Am 22. Februar 1938 verurteilte ihn das Amtsgericht Ulm wegen „widernatürlicher Unzucht“ (§ 175) zu einer Geldstraße in Höhe von 40 Reichsmark. Während des Prozesses hatte er „homosexuelle Handlungen“ eingeräumt und angegeben, „mit dem Homosexuellen K. in Ulm in den Anlagen am Alten Friedhof des öfteren spazieren gegangen zu sein“. Im August 1937 erreichte die Gestapo in Ulm die in denunziatorischer Absicht verfasste Mitteilung, Artmann ginge keiner geregelten Arbeit nach und verfüge dennoch über Geld. Daraufhin lud die Gestapo mehrere Personen zur Vernehmung vor und erhielt von dem Zeugen K. den Hinweis, Artmann sei „auf sittlichem Gebiet nicht einwandfrei“.
Am 9. Juni 1938 wurde Hans Artmann auf Anweisung der Kriminalpolizei-Leitstelle Stuttgart festgenommen und bis zu seiner Einweisung ins KZ Dachau am 27. Juni 1938 im Polizeigefängnis in Ulm festgehalten. Im KZ Dachau war er Häftling Nummer 30727 der Kategorie „AZR“ („Arbeitszwang Reich“) und wurde mit dem schwarzen Winkel der sogenannten „Asozialen“ gekennzeichnet. Am 9. Mai 1939 erfolgte zusammen mit Hunterten weiterer Häftlinge seine Überführung ins KZ Mauthausen. Als gelernter Schlosser waren seine Überlebenschancen im KZ nicht die schlechtesten, allerdings ist bislang nicht bekannt, welchem Arbeitskommando er zugeteilt war. Wie andere Häftlinge auch, wurde Artmann im KZ Mauthausen für den Wehrdienst erfasst, jedoch nicht unmittelbar danach an die Front befohlen, sondern am 30. Juni 1942 ins KZ Dachau zurück verbracht. Am 11. Juni 1943 erfolgte seine Verlegung ins KZ Sachsenhausen. Im September des selben Jahres wurde er zur SS-Sondereinheit Dirlewanger an die russische Front abkommandiert. Erstmals waren 1942 KZ-Häftlinge der SS-Sondereinheit (der späteren „SS-Sturmbrigade Dirlewanger“) zugewiesen worden. Es folgten später weitere Häftlinge aus den Reihen der sogenannten „Asozialen“ und „Berufsverbrecher“ in großer Zahl und ab Herbst 1944 auch der politisch Verfolgten. Die SS-Einheit Dirlewanger war berüchtigt für ihre im Zuge der „Partisanenbekämpfung“ massenhaft begangenen Kriegsverbrechen.
Hans Artmann hat seine KZ-Haft und den Krieg überlebt und war nach Ulm zurückgekehrt. Dort hat er im 10. Juli 1948 beim Amt für Wiedergutmachung Entschädigung beantragt. Der bei der Landesbezirksstelle dafür zuständige Regierungsrat Frühschütz bemühte sich um eine Überprüfung des Falles durch die Kriminalabteilung D11, da ihm über Artmann Nachteiliges zugetragen worden sei. Gegenüber dem Amt für Wiedergutmachung nahm der Kreisstellenleiter der VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) W. Sauter Stellung und bestätigte, dass die VVN den Fall Artmann „als Sonderfall behandelt und bejaht“. Er sei zwar als Häftling der Kategorie „AZR“ ins Konzentrationslager eingewiesen worden und habe den schwarzen Winkel getragen. Bei den anderen Häftlingen galt er jedoch nicht „als zu den Schwarzen zählend“. Von einer Inhaftierung wegen Paragraph 175 sei im Lager nichts bekannt gewesen. Wäre seine Einweisung deshalb erfolgt, hätte er einen blauvioletten Winkel tragen müssen.
Als sein Antrag auf Entschädigung abgelehnt wurde, da er nicht aus politischen, „rassischen“ oder Glaubensgründen ins Konzentrationslager eingewiesen worden sei, hat er das Urteil beim Verwaltungsgericht Stuttgart erfolglos angefochten. In der Urteilsbegründung vom 25. Januar 1949 wurde unter anderem angeführt, Artmann sei bis zu seiner Inschutzhaftnahme im Juni 1938 keiner geregelten Arbeit nachgegangen, habe weder Arbeitslosen- noch Wohlfahrtsunterstützung bezogen und sei auch nicht beim Arbeitsamt Ulm vorstellig geworden. Entgegen seiner Behauptung sei er nicht aus politischen Gründen, sondern wegen „asozialen Verhaltens und Verdachts auf widernatürlicher Unzucht“ ins KZ gekommen. Offensichtlich wurden auch noch nach 1945 die nationalsozialistischen Motive, wegen derer Menschen wie Hans Artmann ins Konzentrationslager deportiert worden waren, als berechtigt betrachtet.
Auf der Homepage „Searching Dachau Concentration Camp Records in One Step“ wird Hans Artmann namentlich genannt. Dies ist vermutlich ein erster öffentlicher Hinweis auf sein Verfolgungsschicksal.
Die Markierung auf der Übersichtskarte weist auf die Wohnadresse vor der Verhaftung in der Bodenstraße 10 in Ulm.
Quellen und Literatur
Staatsarchiv Ludwigsburg EL 350 I Bü 25584
ITS Digital Archive, Arolsen Archives:
1.1.6 Inhaftierungsdokumente Dachau/ Hans Artmann
Kolata, Jens: Zwischen Sozialdisziplinierung und „Rassenhygiene“. Die Verfolgung von „Asozialen“, „Arbeitsscheuen“, „Swingjugend“ und Sinti, in: Ingrid Bauz u.a. (Hg.): Die Geheime Staatspolizei in Württemberg und Hohenhollern, Stuttgart, 2013, S. 329 f.
Klausch, Hans-Peter: Antifaschisten in SS-Uniform. Schicksal und Widerstand der deutschen politischen KZ-Häftlinge, Zuchthaus- und Wehrmachtsgefangenen in der SS-Sonderformation Dirlewanger. Bremen 1993.
Bildnachweis
ITS Digital Archive, Arolsen Archives: Karteikarte KZ Dachau/ Hans Artmann
© Text und Recherche:
Ingrid Bauz, Stuttgart
Stand: April 2022
www.kz-mauthausen-bw.de
27.06.1938 KZ Dachau
09.05.1939 KZ Mauthausen
30.06.1942 KZ Dachau
11.06.1943 KZ Sachsenhausen
Sept. 1943 SS-Sondereinheit Dirlewanger
Hans (Johann) Artmann wurde am 4. April 1907 in Ulm an der Donau geboren und katholisch getauft. Im Anschluss an die Schule erlernte er ab 1921 bei der Ulmer Eisengießerei Hopff das Schlosserhandwerk. Vier Jahre später musste er die Firma verlassen. Den Grund für die Entlassung lieferte das Gerücht, er habe mit dem Chef während einer gemeinsamen Italienreise „widernatürliche Unzucht“ getrieben. Er arbeitete weitere drei Jahre als Schlosser und ab 1931 gelegentlich als Kraftfahrer bei wechselnden Firmen.
Mitte Januar 1937 wurde Artmann von der Kriminalpolizei festgenommen und seine Wohnung ohne nennenswertes Ergebnis durchsucht. Am 22. Februar 1938 verurteilte ihn das Amtsgericht Ulm wegen „widernatürlicher Unzucht“ (§ 175) zu einer Geldstraße in Höhe von 40 Reichsmark. Während des Prozesses hatte er „homosexuelle Handlungen“ eingeräumt und angegeben, „mit dem Homosexuellen K. in Ulm in den Anlagen am Alten Friedhof des öfteren spazieren gegangen zu sein“. Im August 1937 erreichte die Gestapo in Ulm die in denunziatorischer Absicht verfasste Mitteilung, Artmann ginge keiner geregelten Arbeit nach und verfüge dennoch über Geld. Daraufhin lud die Gestapo mehrere Personen zur Vernehmung vor und erhielt von dem Zeugen K. den Hinweis, Artmann sei „auf sittlichem Gebiet nicht einwandfrei“.
Am 9. Juni 1938 wurde Hans Artmann auf Anweisung der Kriminalpolizei-Leitstelle Stuttgart festgenommen und bis zu seiner Einweisung ins KZ Dachau am 27. Juni 1938 im Polizeigefängnis in Ulm festgehalten. Im KZ Dachau war er Häftling Nummer 30727 der Kategorie „AZR“ („Arbeitszwang Reich“) und wurde mit dem schwarzen Winkel der sogenannten „Asozialen“ gekennzeichnet. Am 9. Mai 1939 erfolgte zusammen mit Hunterten weiterer Häftlinge seine Überführung ins KZ Mauthausen. Als gelernter Schlosser waren seine Überlebenschancen im KZ nicht die schlechtesten, allerdings ist bislang nicht bekannt, welchem Arbeitskommando er zugeteilt war. Wie andere Häftlinge auch, wurde Artmann im KZ Mauthausen für den Wehrdienst erfasst, jedoch nicht unmittelbar danach an die Front befohlen, sondern am 30. Juni 1942 ins KZ Dachau zurück verbracht. Am 11. Juni 1943 erfolgte seine Verlegung ins KZ Sachsenhausen. Im September des selben Jahres wurde er zur SS-Sondereinheit Dirlewanger an die russische Front abkommandiert. Erstmals waren 1942 KZ-Häftlinge der SS-Sondereinheit (der späteren „SS-Sturmbrigade Dirlewanger“) zugewiesen worden. Es folgten später weitere Häftlinge aus den Reihen der sogenannten „Asozialen“ und „Berufsverbrecher“ in großer Zahl und ab Herbst 1944 auch der politisch Verfolgten. Die SS-Einheit Dirlewanger war berüchtigt für ihre im Zuge der „Partisanenbekämpfung“ massenhaft begangenen Kriegsverbrechen.
Hans Artmann hat seine KZ-Haft und den Krieg überlebt und war nach Ulm zurückgekehrt. Dort hat er im 10. Juli 1948 beim Amt für Wiedergutmachung Entschädigung beantragt. Der bei der Landesbezirksstelle dafür zuständige Regierungsrat Frühschütz bemühte sich um eine Überprüfung des Falles durch die Kriminalabteilung D11, da ihm über Artmann Nachteiliges zugetragen worden sei. Gegenüber dem Amt für Wiedergutmachung nahm der Kreisstellenleiter der VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) W. Sauter Stellung und bestätigte, dass die VVN den Fall Artmann „als Sonderfall behandelt und bejaht“. Er sei zwar als Häftling der Kategorie „AZR“ ins Konzentrationslager eingewiesen worden und habe den schwarzen Winkel getragen. Bei den anderen Häftlingen galt er jedoch nicht „als zu den Schwarzen zählend“. Von einer Inhaftierung wegen Paragraph 175 sei im Lager nichts bekannt gewesen. Wäre seine Einweisung deshalb erfolgt, hätte er einen blauvioletten Winkel tragen müssen.
Als sein Antrag auf Entschädigung abgelehnt wurde, da er nicht aus politischen, „rassischen“ oder Glaubensgründen ins Konzentrationslager eingewiesen worden sei, hat er das Urteil beim Verwaltungsgericht Stuttgart erfolglos angefochten. In der Urteilsbegründung vom 25. Januar 1949 wurde unter anderem angeführt, Artmann sei bis zu seiner Inschutzhaftnahme im Juni 1938 keiner geregelten Arbeit nachgegangen, habe weder Arbeitslosen- noch Wohlfahrtsunterstützung bezogen und sei auch nicht beim Arbeitsamt Ulm vorstellig geworden. Entgegen seiner Behauptung sei er nicht aus politischen Gründen, sondern wegen „asozialen Verhaltens und Verdachts auf widernatürlicher Unzucht“ ins KZ gekommen. Offensichtlich wurden auch noch nach 1945 die nationalsozialistischen Motive, wegen derer Menschen wie Hans Artmann ins Konzentrationslager deportiert worden waren, als berechtigt betrachtet.
Auf der Homepage „Searching Dachau Concentration Camp Records in One Step“ wird Hans Artmann namentlich genannt. Dies ist vermutlich ein erster öffentlicher Hinweis auf sein Verfolgungsschicksal.
Die Markierung auf der Übersichtskarte weist auf die Wohnadresse vor der Verhaftung in der Bodenstraße 10 in Ulm.
Quellen und Literatur
Staatsarchiv Ludwigsburg EL 350 I Bü 25584
ITS Digital Archive, Arolsen Archives:
1.1.6 Inhaftierungsdokumente Dachau/ Hans Artmann
Kolata, Jens: Zwischen Sozialdisziplinierung und „Rassenhygiene“. Die Verfolgung von „Asozialen“, „Arbeitsscheuen“, „Swingjugend“ und Sinti, in: Ingrid Bauz u.a. (Hg.): Die Geheime Staatspolizei in Württemberg und Hohenhollern, Stuttgart, 2013, S. 329 f.
Klausch, Hans-Peter: Antifaschisten in SS-Uniform. Schicksal und Widerstand der deutschen politischen KZ-Häftlinge, Zuchthaus- und Wehrmachtsgefangenen in der SS-Sonderformation Dirlewanger. Bremen 1993.
Bildnachweis
ITS Digital Archive, Arolsen Archives: Karteikarte KZ Dachau/ Hans Artmann
© Text und Recherche:
Ingrid Bauz, Stuttgart
Stand: April 2022
www.kz-mauthausen-bw.de