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Heinrich Struckat (1884 - 1958)

Stockacher Sozialdemokrat und „Gewitter“-Häftling

23.08.1944 KZ Natzweiler
06.09.1944 KZ Dachau
16.09.1944 KZ Mauthausen
26.10.1944 Entlassung aus KZ Mauthausen

Heinrich Struckat wurde am 20. Februar 1884 in Lindicken (Kreis Pillkallen) geboren. Das kleine Dorfgut existiert nicht mehr, die Ortsstelle befindet sich heute inmitten eines Truppenübungsplatzes im Rajon Krasnosnamensk im russischen Gebiet Kaliningrad. Er besuchte acht Jahre die Volksschule und war von Beruf Former; es findet sich später allerdings auch die Berufsangabe „Advokat“. Er war verheiratet mit Helene Pohlhaus (geb. 30.5.1885 in Schwelm/Ostpr., verst. 18.7.1968 in Stockach) und hatte acht Kinder. Die Familie wohnte im südbadischen Stockach in der Hieronymus-Fahr-Straße 6 (heute: Berliner Straße 21). Beschäftigt war Heinrich Struckat beim ortsansässigen Zweigwerk der Gottmadinger Maschinenfabrik Fahr.

Heinrich Struckat engagierte sich an seinem Wohnort für die SPD, wie auch seine Ehefrau Helene, die in der Zeit der Weimarer Republik ab 1919 als Sozialdemokratin dem Bürgerausschuss von Stockach angehörte. In der Bodensee-Rundschau („Nationalsozialistisches Kampfblatt für das Deutsche Bodensee-Gebiet“) erschien am 25. Januar 1941 eine kurze ehrende redaktionelle Notiz: „Stockach. Der Soldat Struckat wurde zum Unterwachtmeister befördert. Er ist der Sohn des Formers Heinrich Struckat von hier“. Völlig der NS-Feme scheint die stadtbekannte sozialdemokratische Familie Struckat demnach nicht verfallen gewesen zu sein.

Am 22. August 1944 wurde Heinrich Struckat im Rahmen der nach dem Umsturzversuch des 20. Juli 1944 erfolgten reichsweiten Verhaftungsaktion „Aktion Gewitter“ (auch Aktion Gitter und Aktion Himmler genannt) verhaftet und vormittags um 11.45 Uhr zusammen mit weiteren Schicksalsgenossen in das Landgerichtsgefängnis Konstanz gebracht. Die Gestapoaktion „Gewitter“ betraf ehemalige Funktionäre und Mandatsträger der Sozialdemokraten, Kommunisten und der Zentrumspartei sowie weiterer Parteien der Weimarer Republik. Am folgenden Tag um 5 Uhr wurde Struckat zusammen mit den Mitbetroffenen von der Gestapo – Stapoleitstelle Karlsruhe – vom Gefängnis abgeholt und in das Konzentrationslager Natzweiler im Elsass eingewiesen (Häftlingsnumer 23332 „Pol. R.D.“ - politisch reichsdeutsch). Als das Lager Natzweiler angesichts der näherrückenden Front wenig später aufgelöst wurde, kam er per Sammeltransport vom 4./6. September 1944 in das KZ Dachau (Schutzhäftling Nummer 101796). Bereits am 14./16. September 1944 erfolgte jedoch, ebenfalls per Sammeltransport, die Überstellung in das Konzentrationslager Mauthausen (Häftlingsnummer 99233 „Polit“). Um diese Zeit, am 13. September, bat seine Frau Helene um dreiwöchigen Sonderurlaub für ihren Sohn Erich, mit der Begründung, „damit derselbe die Kartoffelernte einbringen und andere Gartenarbeiten machen kann, während mein Mann sich zur Zeit auswärts befindet [!] und nicht nach Haus kommen kann“. Der Bürgermeister befürwortete das Gesuch, ob mit Erfolg, ist leider nicht bekannt. Am 26. Oktober 1944 wurde Heinrich Struckat aus dem KZ Mauthausen entlassen und kehrte an seinen Wohnsitz in Stockach zurück.

Heinrich Struckat beteiligte sich nach der Befreiung sofort am Wiederaufbau der SPD in Stockach. Die ersten Versammlungen fanden mit Genehmigung der französischen Besatzungsbehörden statt. In einer Antwort auf eine umfassende Erhebung der französischen Besatzungsmacht erwähnte die SPD Struckat als Beirat. In der Nachkriegszeit war er auch zeitweilig Ortsvorsitzender der SPD in Stockach. Er verstarb am 1. Juni 1958 in Stockach. Sein Sohn Heinrich (junior) setzte sein politisches Werk als Betriebsratsvorsitzender und SPD-Stadtrat fort.

Für die Entschädigung der Inhaftierung war die Außenstelle Freiburg des Landesamts für die Wiedergutmachung zuständig. Am 18. Juni 1963 übersandte der Internationale Suchdienst in Arolsen (ITS) dem Oberstaatsanwalt in Köln eine Inhaftierungsbescheinigung.

Die Markierung auf der Übersichtskarte verweist auf die Wohnadresse der Familie Struckat: Berliner Straße 21 (ehemals Hieronymus-Fahr-Straße 6) in Stockach im Landkreis Konstanz. Mitte September 1952 zog Heinrich Struckat mit seiner Ehefrau in die benachbarte Radolfzeller Straße 20. Beide Häuser waren Eigentum von Struckats Arbeitgeber, der Firma Fahr.

 

Quellen und Literatur

ITS Digital Archive, Arolsen Archives
1.1.29.2 Individuelle Unterlagen Natzweiler - Heinrich Struckat
1.1.6.2 Individuelle Unterlagen Dachau - Heinrich Struckat
Auszüge aus Gefangenenbüchern des Landgerichtsgefängnisses Konstanz, DocID: 12058121
DocID: 124440656 (Heinrich Struckat)
Korrespondenzakte T/D 787968

Staatsarchiv Freiburg
D 180/2 Nr. 228587 (Spruchkammer)
F 196/1 Nr. 160 (Wiedergutmachung)

Stadtarchiv Stockach
A2, XIII. 1/40 (Verzeichnis polit. KZ-Häftlinge Stockach)
Auskunft v. 16.3.2023 mit Dank an Herrn Dominik Rimmele

Klaus Delisle: SPD Stockach begeht 75jähriges Jubiläum, in: Hegau. Zeitschrift für Geschichte, Volkskunde und Naturgeschichte des Gebietes zwischen Rhein, Donau und Bodensee. Hg. vom Verein für Geschichte des Hegaus 41/42, 1984/85, S. 293-294  (https://www.hegau-geschichtsverein.de/wp-content/uploads/hegau_4142_198485_delisle_spd_stockach_75jaehriges_jubilaeum.pdf)

Hartmut Rathke: Der 20. Juli 1944 und die Stockacher Opposition gegen den Nationalsozialismus, in: Hegau. Zeitschrift für Geschichte, Volkskunde und Naturgeschichte des Gebietes zwischen Rhein, Donau und Bodensee. Hg. vom Verein für Geschichte des Hegaus 53, 1996, S. 143-147.

Hartmut Rathke: Stockach im Zeitalter der Weltkriege. Konstanz 2004, S. 105, 261, 277, 302.

 

© Recherche und Text:
Roland Maier, Stuttgart
Stand: März 2023
www.kz-mauthausen-bw.de