Hermann Friedrich (1891 - 1945)
Ein schillernder Sigmaringer Revolutionär
14.03.1944 Verhaftung, Polizeigefängnis Welzheim
18.05.1944 KZ Dachau
17.08.1944 KZ Mauthausen/St. Valentin
02.01.1945 Sanitätslager Mauthausen
04.01.1945 gestorben im KZ Mauthausen
Hermann Friedrich wurde am 4. Mai 1891 in Esslingen als Sohn eines stadtbekannten Sozialdemokraten geboren. Als Konfession ist römisch-katholisch vermerkt. In Karlsruhe, wohin die Familie bald übersiedelte, wuchs er auf und machte nach dem Volksschulabschluss eine Metzgerlehre. 1908 trat Friedrich der SPD bei und arbeitete für die Partei in mehreren Städten sowie im Ausland. Als Soldat im Ersten Weltkrieg wurde er schwer verletzt. Noch während des Krieges heiratete er; aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor. Nach dem Krieg zog er zunächst nach Konstanz und dann nach Sigmaringen, wo er als Amtsbote und als Gemüsehändler seinen Lebensunterhalt bestritt.
Im Januar 1919 war er Mitbegründer des SPD-Ortsvereins Sigmaringen, dessen Leitung er übernahm. Als es auch in den Hohenzollerischen Landen in der Folge des Krieges zu revolutionären Unruhen kam, spielte Friedrich vor Ort ein zentrale Rolle. Am 1. Februar 1919 fand vor dem Sigmaringer Schloss eine Kundgebung mit rund 400 Kriegsteilnehmern und Kriegsversehrten statt. Zuvor hatte eine aus etwa 35 bewaffneten Soldaten des Soldatenrats Heuberg bestehende Sicherheitswache, die zum Schutz des Schlosses eingesetzt worden war, aus einem Fenster des Prinzenbaus – dem heutigen Sitz des Staatsarchivs Sigmaringen – eine rote Fahne gehisst. Die konservative Hohenzollerische Volkszeitung hatte wegen des Zeigens des roten Tuchs daraufhin den Abzug der Wache gefordert. Für Hermann Friedrich war dies der Anlass, bei der Demonstration vom 1. Februar im Saalbau an der Karlstraße gegen die Zeitung zu agitieren: mit dem Erfolg, dass das Redaktionsgebäude von den Demonstranten besetzt und ein Maschinengewehr der Sicherheitswache hineingeschafft wurde. Es wurden Fenster des Gebäudes zerschlagen, Setzkästen durcheinandergeworfen und das Telefon zerstört.
Im Juni 1919 verurteilte das Schwurgericht Hechingen Friedrich als Rädelsführer der gewalttätigen Demonstration zu einem Jahr Gefängnis wegen Landfriedensbruchs. Ein Haftbefehl wurde nicht ausgesprochen und das Gericht schloss sich dem Antrag auf Begnadigung an. Friedrich kommentierte die Gerichtsverhandlung: „Wenn heute in Sigmaringen eine Abstimmung über meine Verurteilung stattfinden würde, würden zwei Drittel der Einwohnerschaft gegen meine Verurteilung stimmen“.
Im August 1923 trat Friedrich zur KPD über. In den beiden folgenden Jahren wurde er wegen verschiedener weiterer politischer Aktivitäten vor Gericht zitiert. So wegen Verbreitung verbotener kommunistischer Flugschriften im Fürstlich Hohenzollernschen Hüttenwerk Laucherthal, aber auch wegen Beleidigung, Hausfriedensbruch und Ruhestörung. Der Bestrafung entging Friedrich, indem er sich öffentlich entschuldigte und sich selbst als »nervenleidend« und leicht erregbar bezeichnete. Der Hechinger Oberstaatsanwalt attestierte ihm eine psychische Erkrankung.
Bereits Ende 1924 jedoch verließ Friedrich die KPD. Sein Mandat als Abgeordneter des Hohenzollerischen Kommunallandtags, in den er als Vertreter der SPD gewählt worden war, legte er nieder. Er zog nach Karlsruhe, wo er, nachdem er Adolf Hitler persönlich kennengelernt hatte, der NSDAP beitrat. Innerhalb der NSDAP orientierte er sich an deren linkem Flügel um Gregor Strasser. Seinen politischen Wechsel von der KPD zur NSDAP begründete Friedrich in einer Broschüre mit dem Titel »Vom Sowjetstern zum Hakenkreuz«.
Schließlich zerstritt er sich mit seinen Parteigenossen und trat 1929 aus der NSDAP aus. Mit seiner Schrift »Unter dem Hakenkreuz« rechnete er mit den Nationalsozialisten ab. Morddrohungen gegen ihn waren die Folge. Er flüchtete nach Straßburg. Dort 1933 in Spionageverdacht geraten, zog er in das seit 1920 vom Deutschen Reich abgetrennte Saarland, wo er 1934 zusammen mit Anderen die »Nationalsozialistische Deutsche Freiheitspartei« gründete und die Zeitung »Treudeutsche Saarwacht« herausgab. Doch schon bald folgte das Zerwürfnis auch mit diesen neuen politischen Freunden. Zurückgekehrt nach Straßburg wurde er des Landes verwiesen. Nach einem Zwischenaufenthalt in Österreich wagte er sich wieder nach Deutschland nachdem er anscheinend eine mündliche Zusage erhalten hatte, dass ihm keine strafrechtliche Verfolgung drohe. Nichtsdestotrotz wurde er Mitte 1937 in Stuttgart wegen seiner Agitation im Saargebiet unter dem Vorwurf des Landesverrats verhaftet. Da aber ein Strafverfahren aus völkerrechtlichen Gründen nicht zustande kam, wurde er nach neun Monaten wieder auf freien Fuß gesetzt.
Friedrich zog von Friedrichshafen, wo er sich inzwischen niedergelassen hatte, nach Bingen im Landkreis Sigmaringen und machte in der Folgezeit seinem Ruf als renitenter Querulant alle Ehre. Seinen regelmäßigen Beschwerden und Eingaben bei Behörden und Parteistellen folgten ebenso regelmäßig polizeiliche Vorladungen und Zwangsvorführungen. Weil er 1943 seiner Dienstverpflichtung zu einem Schramberger Rüstungsbetrieb nicht Folge leistete, sperrte man ihm seine Lebensmittelkarten. Nach einer neuerlichen polizeilichen Vorladung tauchte er für einige Zeit unter und widmete sich der Abfassung seiner Polemik „Kampf dem Krampf“, mit der er erneut gegen den Nationalsozialismus Stellung bezog.
Am 14. März 1944 schließlich wurde Friedrich endgültig verhaftet und kam nicht wieder frei. Als er im Amtsgerichtsgefängnis Sigmaringen einsaß, verbarrikadierte er sich in seiner Zelle und hielt zum Fenster heraus eine zweistündige Rede wider Partei, Behörden und Politiker. Über die Gestapodienststelle Stuttgart kam er in das Polizeigefängnis Welzheim, von wo er Mitte Mai 1944 ins KZ Dachau (Häftling Nummer 68253 „Sch.DR“ (Schutzhaft Deutsches Reich)) verschleppt wurde.
Am 17./18. August 1944 wurde Friedrich mit einem 1735 Häftlinge umfassenden Sammeltransport mit der persönlichen Transportnummer 944 von Dachau nach Mauthausen überstellt. Im KZ-System Mauthausen trug er die Häftlingsnummer 89442. Eingesetzt wurde er in dem am 21. August 1944 gegründeten Mauthausen-Nebenlager St. Valentin, das etwa 10 Kilometer südlich von Mauthausen gelegen war. Hier wurden von den zur Steyr-Daimler-Puch AG gehörenden „Nibelungen-Werken“ Panzerfahrzeuge für die Front gefertigt. Das Nebenlager St. Valentin hatte einen Höchststand von 1480 Häftlingen und bestand bis zum 23. April 1945.
Als Friedrichs Arbeitskraft erschöpft war, kam er am 2. Januar 1945 ins Sanitätslager des Mauthausen-Stammlagers, wo er bereits zwei Tage darauf, am 4. Januar 1945, verstarb. Als Todesursache wurde Nephritis und Kreislaufschwäche angegeben. Gerüchte über eine gezielte Ermordung Friedrichs konnte der Internationale Suchdienst in Arolsen (ITS) in seiner Antwort vom 9. Juli 1982 auf eine Anfrage der Tochter nicht bestätigen. Jedenfalls fanden sich in den Unterlagen des ITS keine Hinweise auf einen gewaltsamen Tod. Unnatürliche Todesfälle seien, so die Auskunft, in Mauthausen in einem speziellen Register erfasst worden, in denen der Name Hermann Friedrich nicht erscheine.
Hermann Friedrichs Witwe Wilhelmine wurde zunächst als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt und erhielt auf dieser Basis nach dem Krieg eine kleine Witwenrente. Ihr Antrag auf Entschädigung für die Inhaftierungen ihres Mannes und seine Ermordung wurde 1951 vom Landesamt für Wiedergutmachung in Tübingen jedoch ebenso abgelehnt wie vom Ausschuss für Wiedergutmachung des Amtsgerichts Saulgau. Der Ausschuss begründete seine negative Entscheidung damit, dass Hermann Friedrich »keine einwandfreie politische Haltung gegen den Nationalsozialismus bewiesen habe. Sein Schicksal und politische Tätigkeit zeige vielmehr, dass er nur die Missstände innerhalb der NSDAP bekämpft habe und dass er offenbar zur Opposition innerhalb der NSDAP gehört habe«. Wilhelmine Friedrich wurde die Witwenrente gestrichen.
Doch nicht nur in Sachen Entschädigung stellten sich die amtlichen Stellen quer. Wie schwierig es war, Informationen über die Verfolgungsmaßnahmen zu bekommen, zeigt der in französischer Sprache verfasste Brief der Tochter Hermann Friedrichs an den ITS mit der Bitte um Auskunft über das Schicksal ihres Vaters. Bei den deutschen Behörden sei sie auf eine „conjuration de silence“, eine Verschwörung des Schweigens, gestoßen.
Schreiben von Frau Ruth Eva B., geborene Friedrich, vom 29.3.1982 an den Internationalen Suchdienst in Arolsen (Übersetzung aus dem Französischen, R.M.):
Sehr geehrte Herren,
Vor kurzem habe ich mich an die „Amicale der Deportierten von Mauthausen“ in Paris gewandt, die mir die Anschrift Ihrer Dienststelle zukommen ließ und mir riet, Ihnen zu schreiben.
Die Person, um die es geht, ist mein Vater: Hermann Friedrich [...]. Er wurde im Juli 1944 durch die Gestapo in Sigmaringen verhaftet [...].
Der Bürgermeister von BINGEN-SIGMARINGEN hatte meine Mutter kommen lassen, um ihr den Tod meines Vaters, der von dem Vorsteher des Lagers Mauthausen übermittelt worden war, mitzuteilen, indem er ihr sagte, dass der Tod am 4. Januar 1945 durch einen „Herzstillstand“ eingetreten sei.
Ein Zeuge, ein ehemaliger Deportierter des selben Lagers, wohnhaft in Krauchenwies, der vor dem Gericht von Saulgau aussagte, hatte angegeben, dass mein Vater am selbigen Tag wegen „des Stehlens von Brot aus der Küche des Lagers“ gehängt worden sei.
Ich habe mehrmals versucht, mich mit den deutschen Behörden in Verbindung zu setzen, um die genauen Gründe der Verhaftung meines Vaters und seiner Hinrichtung zu erfahren.
Ein erstes Mal versuchte ich dies 1978, als ich mich an Dr. Guenter vom Landratsamt in Sigmaringen wandte, der mir im Laufe eines Telefongesprächs sagte, dass – da mein Vater zu der FEME [im frz. Orig.: VEHME] gehört habe – er mir diesbezüglich nichts weiter sagen könne und mir riet, mich an den Landrat zu wenden.
Dies tat ich bei meinem letzten Aufenthalt in Deutschland. Ich wandte mich an die Verwaltung in Sigmaringen, und es wurde mir geraten, mich an das Gericht in Saulgau zu wenden. Dort hörte ich zu meinem Erstaunen, dass keine Archive mehr vorhanden seien, da diese alle 30 Jahre vernichtet würden.
Ich finde diese Verschwörung des Stillschweigens nicht normal. Welches auch immer die politischen Aktivitäten meines Vaters gewesen sein mögen, glaube ich doch, ein Recht zu haben zu erfahren, wo er gestorben ist, wann er gestorben ist und warum er gestorben ist.
Ich zähle auf Sie, meine Herren, mich über seinen Fall aufzuklären.
Frau Friedrich-B.
Auf der Übersichtskarte ist Hermann Friedrichs Wohnort 72511 Bingen bei Sigmaringen markiert.
Quellen und Literatur
ITS Digital Archive, Arolsen Archives
6.3.3.2 Korrespondenzakte Hermann Friedrich T/D - 963 266
1.1.6.2 Individuelle Häftlings-Unterlagen KL Dachau - Hermann Friedrich
1.1.6.12 Dachau / Transportlisten 1284511760
Generallandesarchiv Karlsruhe
309 Nr. 1139 (Pressevergehen 1929)
Staatsarchiv Sigmaringen
Sigmaringen Wü 13 T 2 Nr. 1945/069
Markus Fiederer: „Genug geblutet für die großen Geldbeutel und Bluthunde“. Herbst 1918: Sigmaringen auf dem Weg zur Dolchstoßlegende, in: Landesarchiv Baden-Württemberg, Archivnachrichten 48 / 2014, S. 51 ff.
Hermann Friedrich: Vom Sowjetstern zum Hakenkreuz – warum?: den November-“Helden“; „Erstürmern“ der leeren Throne zum 10ten Jahrestag; 9. November 1928. H. Friedrich Selbstverlag.
Birgit Kirchmaier: Ein Leben in Extremen. Das KZ-Opfer Hermann Friedrich zwischen SPD, KPD und NSDAP, in: Hohenzollerische Heimat, März 2004, S. 42-44.
Birgit Meyenberg: „Fort mit den Preußen! Ra mit dem schwarzen Vogel!“ Die Revolution 1918/19 in Hohenzollern, in: Landesarchiv Baden-Württemberg, Archivnachrichten 37 / 2008, S. 6 f.
Jürgen Witt: 800 Demonstranten vor dem Schloss Sigmaringen. Südkurier-online, 31.8.2018.
Wikipedia-Personenartikel: Hermann Friedrich (Politiker, 1891).
© Text und Recherche:
Roland Maier, Stuttgart
Stand: Februar 2021
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