Johann Reinhardt (1900 - 1942)
27.06.1938 KZ Dachau
21.03.1939 KZ Mauthausen
08.05.1939 KZ Dachau
27.09.1939 KZ Buchenwald
22.05.1941 KZ Gusen
02.02.1942 Tod KZ Gusen
Der am 11. Oktober 1900 in Steinenkirch, einem heutigen Ortsteil von Böhmenkirch im Landkreis Göppingen, geborene Johann Reinhardt wohnte mit seiner Frau Emma und den vier Kindern in Sindelfingen bei Stuttgart. Er arbeitete als Händler und Bauhilfsarbeiter, Emma Reinhardt bis November 1942 zeitweise bei der ebenfalls in Sindelfingen ansässigen Firma Daimler-Benz. Im deutschen Südwesten lebten auch die Eltern von Emma und Johann sowie die Familien ihrer Geschwister.
Die Reinhardts waren Angehörige der Minderheit der Sinti, damals landläufig als „Zigeuner“ bezeichnet, denen die Mehrheitsgesellschaft, lange bevor die Nationalsozialisten die politische Macht inne hatten, mit Misstrauen und vielerlei Vorurteilen begegnete, die von den Polizeibehörden willkürlich schikaniert und in einer von der Kriminalpolizei geführten „Zigeunerdatei“ erfasst worden waren. Laut nationalsozialistischer Rassenideologie, die nach dem 30. Januar 1933 schrittweise zur alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringenden Staatsideologie wurde, waren die Sinti eine „fremdrassige“ Minderheit und galten als „geborene Asoziale“. Ähnlich wie die jüdische Bevölkerung wurden sie nach und nach entrechtet und schließlich mehrheitlich in die Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert oder zur Zwangsarbeit eingesetzt.
Johann Reinhardt wurde zusammen mit seinem Vater Franz Anton Reinhardt am 7. Juni 1938 von der Kriminalpolizei festgenommen. Sie waren zwei der mehr als 9.000 Männer, die als sogenannte „Asoziale“ im April und Juni 1938 im Rahmen der reichsweiten Verhaftungsaktion mit der Bezeichnung „Arbeitsscheu Reich“ in Konzentrationslager deportiert wurden. Vater und Sohn Reinhardt waren nicht die einzigen Sinti, die man damals trotz eines festen Wohnsitzes und Arbeitsplatzes festnahm, obwohl die systematische Verfolgung der Sinti und Roma und ihre Verschleppung in die Vernichtungslager erst später erfolgte.
Johann Reinhardt wurde am 27. Juni 1938 ins KZ Dachau deportiert, erhielt die Häftlingsnummer 33118 und die Kennzeichnung mit dem schwarzen Winkel der sogenannten „Asozialen“ mit dem Kürzel AZR (Arbeitszwang Reich). Von Dachau wurde er am 21. März 1939 ins KZ Mauthausen verbracht. Hier blieb er ein AZR-Häftling, nun jedoch mit der Nummer 1563. Am 8. Mai 1939 erfolgte seine Rückverlegung ins KZ Dachau und am 26. September 1939 der Transport zum KZ Buchenwald, wo er als AZR-Häftling mit der Nummer 4910 geführt wurde. Am 22. Mai 1941 ist seine Ankunft im KZ Gusen registriert, wo er am 2. Februar 1942 im Alter von 41 Jahren an den Folgen der jahrelangen systematischen Unterernährung und harten Arbeit verstorben ist.
Fast ein Jahr nach seinem Tod nahm die Kriminalpolizei den Kindern auch die Mutter. Emma Reinhardt wurde, wie viele Angehörige der Sinti, ins KZ Auschwitz deportiert und verstarb dort am 7. Februar 1943. Den Kindern Rosina, Sonja, Franz und Johann, im Jahr 1943 zwischen 10 und 17 Jahre alt, blieb die Deportation in ein Konzentrationslager erspart. Sie lebten fortan bei den Großeltern mütterlicherseits. Großvater Ferdinand verdiente den Lebensunterhalt für die auf sechs Personen angewachsene Familie, indem er aus gesammeltem Holz Kochlöffel schnitzte und sie bei Bauern gegen Lebensmittel eintauschte.
Die Kinder von Johannes und Emma Reinhardt haben die Nazidiktatur bei den Großeltern fern von Stacheldraht, medizinischen Versuchen und SS-Terror überlebt. Manche Verwandte kehrten nach der Befreiung im Mai 1945 zurück und mussten mit der Gewalterfahrung in den Konzentrations- und Vernichtungslagern weiterleben. Die Lager nicht überlebt haben neben Johann und Emma Reinhardt sechs ihrer Brüder, eine Schwester sowie drei Nichten und Neffen.
Die vier Kinder von Emma und Johann Reinhardt, Rosa, Sonja, Franz und Johann, haben von 1958 bis 1986 um Entschädigung für die Verfolgung ihrer Eltern und Großeltern gerungen. Der erste Antrag wurde 1959 mit der Begründung abgelehnt, der Vater Johann sei bereits 1938 verhaftet und deshalb nicht aus "rassischen" Gründen, sondern als "Asozialer" verfolgt worden. Eine Entschädigung für sogenannte "Asoziale" war im Bundesentschädigungsgesetz nicht vorgesehen. Mit anwaltlicher Unterstützung war es den Kindern 1968 gelungen, ihrem Recht auf Entschädigung Geltung zu verschaffen. Das Landesamt für Wiedergutmachtung hatte im selben Jahr entschieden, dass es sich bei Johann Reinhard „um einen redlichen, seßhaften und mit dem Land Württemberg verwurzelten Mann gehandelt habe. Da Johann Reinhardt zusammen mit seinem Vater Franz Anton Reinhardt verhaftet und deportiert wurde und der Strafregisterauszug des Johann Reinhardt keine Eintragungen aufwies, ist davon auszugehen, daß dieser in Wirklichkeit nicht als „Asozialer“ sondern aus Gründen der Rasse verfolgt wurde.“ Die Kinder erhielten 1968 eine erste Entschädigungszahlung wegen „Schadens an Freiheit", eine weitere im Jahr 1969 für die Verfolgung ihrer Großeltern väterlicherseits und eine dritte im Jahr 1986 wegen „Schaden am beruflichen Fortkommen".
An die Verfolgung von Johann und Emma Reinhardt erinnert in Sindelfingen eine Gedenktafel am Eingang des dortigen Rathauses. Im „Raum der Namen“ auf der Homepage der Gedenkstätte Mauthausen und auf der Homepage „Searching Dachau Concentration Camp Records in One Step“ finden sich Hinweise auf das Verfolgungsschicksal von Johann Reinhardt.
Die Markierung auf der Übersichtskarte weist auf das heutige Wohngebiet Stelle/Roter Berg in Sindelfingen. Laut Auskunft des Amtes für Kultur Sindelfingen vom 17.10.2022 befand sich dort das Grundstück, auf dem die Familie Reinhardt einige Wohnwagen und später ein kleines Häuschen bewohnte.
Quellen und Literatur
Staatsarchiv Ludwigsburg EL 350 I Bü 13699
ITS Digital Archive, Arolsen Archives
T/D 271898/ Johann Reinhardt
Mauthausen Memorial https://raumdernamen.mauthausen-memorial.org/
Searching Dachau Concentration Camp Records in One Step https://stevemorse.org/dachau/dachau.html
Bachmair, Angela: Wir sind stolz, Zigeuner zu sein, Augsburg 2014.
Kolata, Jens: Zwischen Sozialdisziplinierung und „Rassenhygiene“. Die Verfolgung von „Asozialen“, „Arbeitsscheuen“, „Swingjugend“ und Sinti. In: Ingrid Bauz u.a., Die Geheime Staatspolizei in Württemberg und Hohenzollern, Stuttgart, 2013, S. 329 f.
Bildnachweis
Ehepaar Reinhardt mit den Töchtern Rosina und Sonja, Privatbesitz Anna Reinhardt.
Gedenktafel Rathaus Sindelfingen. Foto: Andreas Drechsler.
© Text und Recherche:
Ingrid Bauz, Stuttgart
Stand: Juli 2022
www.kz-mauthausen-bw.de