Wilhelm Buchmüller
(1901-1991?)
NS-kritischer Mechaniker bei der Firma Robert Bosch in Feuerbach
25.03.1933 bis Ende April 1933 Schutzhaft Heuberg
11.11.1936 Untersuchungshaft
25.05.1937 bis 25.05.1938 Strafhaft
26.05.1937 Gestapohaft
02.07.1938 KZ Dachau
09.05.1939 KZ Mauthausen
18.02.1940 KZ Dachau
10.11.1944 Brigade Dirlewanger
Wilhelm Buchmüller wurde am 23. November 1901 als Sohn eines Gerbers in Friedrichshafen geboren. Er war römisch-katholisch getauft und besuchte die Volks- und Gewerbeschule in Friedrichshafen. Aus seiner Ehe mit Anna Buchmüller gingen keine Kinder hervor. Er hatte jedoch einen 1930 geborenen unehelichen Sohn, für den er 1933 per Amtsgerichtsbeschluss zu Unterhaltszahlungen verpflichtet wurde.
Seine berufliche Ausbildung begann Buchmüller bei der Firma Maybach-Motorenbau GmbH in Friedrichshafen als Mechaniker in der Motorenprüfstelle. Nach seiner Gesellenprüfung 1921 war er zwei weitere Jahre bei dieser Firma tätig. Nach einem Intermezzo bei der Zahnradfabrik „ZF“ Friedrichshafen kam er zur Maschinenfabrik Doppelmayr in Wolfurt (Vorarlberg). Danach wechselte er zur Firma Optima nach Sindelfingen, wo er in der Spitzholzstraße 147 wohnte. Ab 1927 arbeitete er bei der Firma Robert Bosch. In der Weltwirtschaftkrise folgten Jahre der Arbeitslosigkeit, unterbrochen von einer Tätigkeit als Reisevertreter. In der Zeit ab 12. Juni 1933 bis zu seiner verhaftungsbedingten Entlassung am 17. November 1936 war er wieder bei Bosch beschäftigt, nun in der Untersuchungsabteilung des Isolitwerks. Er wohnte (1933) in Feuerbach in der Stuttgarter Straße 39, später (1936) direkt neben dem Bosch-Werk in Feuerbach im 2. Stock über der Gaststätte „Rebstöckle“.
Die Nationalsozialisten sahen in Buchmüller einen politischen Gegner. Nach seiner späteren Darstellung aus dem Jahr 1955 war Buchmüller bereits vor der NS-Zeit politisch interessiert gewesen. Er habe auch Versammlungen der Nazis besucht, sich aber keiner politischen Partei angeschlossen. Auch habe er Hitlers „Mein Kampf“ gelesen, die NS-Ideologie jedoch abgelehnt. Buchmüller: „Politisch stand ich dem linken Flügel des Zentrums nahe“.
„Im März 1933 hat man mich nachts aus dem Bett heraus verhaftet. Vernommen hat man mich nicht, aber ich nehme an, dass meine Anti-NS-Gesinnung bekannt geworden ist. [...] Ich wurde auf dem Heuberg als Funktionär angesehen, obwohl ich in keiner Partei war. Es wurde mir zur Last gelegt, dass ich der geistige Führer sei. Bei meiner Entlassung musste ich bei Buck einen Revers unterschreiben, dass ich mich nicht mehr politisch betätigen würde“ (Karl Buck (1893-1977) war Kommandant des der Württembergischen Politischen Polizei unterstehenden Schutzhaftlagers auf dem Heuberg bei Stetten am kalten Markt).
Doch Buchmüller engagierte sich trotzdem weiterhin politisch. „Nach meiner Haft auf dem Heuberg habe ich die Verbindung mit anderen Nazigegnern aufrecht erhalten und habe auch Lektüre gegen den NS bekommen und weitergegeben. Bei Bosch sollte ich wiederholt entlassen werden wegen staatsfeindlicher Gesinnung, weil ich auch im Betrieb auf die Widersprüche des NS hingewiesen habe. Ich habe eine Broschüre weitergegeben, in der Hitler als Verbrecher hingestellt und aufgedeckt wurde, was für Morde vollbracht worden sind und wo die Nazi das Geld her haben. Diese Broschüre wurde bei einem Anderen gefunden und der hatte zugegeben, dass er sie von mir hat. Ich war als Hetzer und Gegner des NS bei Bosch bekannt“ (Buchmüller 1955).
Am 11. November 1936 wurde Buchmüller verhaftet. Die Anklage lautete auf Vorbereitung zum Hochverrat. „Es wurde mir in der Verhandlung vor dem OLG auch noch vorgeworfen, dass ich zersetzende Gespräche führen würde. Derjenige, dem ich die Broschüre gegeben habe, war auch mitangeklagt, ist aber freigesprochen worden. Soviel ich mich erinnere, war der damalige Senatspräsident Cuhorst der Vorsitzende meines Verfahrens“. Der Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart verurteilte Buchmüller im Mai 1937 zu 18 Monaten Gefängnis. Nach Verbüßung dieser Strafe nahm ihn die Gestapo, Stapoleitstelle Stuttgart, in Schutzhaft und wies ihn über das Polizeigefängnis Welzheim am 2. Juli 1938 in das Konzentrationslager Dachau ein (Häftlingsnummer 17988, Kategorie „Schutz 2 x KL“). Der ehemalige Mithäftling Werner Groß erinnerte sich, wie Buchmüller aus dem Gefängnis nach Dachau „auf unsere Stube im Block 19“ kam. „Diese Stube war für die zweitmaligen Schutzhäftlinge bestimmt. Wir waren im gleichen Arbeitskommando zusammen, bis er im Mai 1939 auf Transport in das KZ Mauthausen ging“. Mit diesem Transport vom 8. auf den 9. Mai 1939 wurden mehrere hundert Häftlinge aus Dachau in das Konzentrationslager Mauthausen überstellt.1 Über Buchmüllers Zeit in Mauthausen sind keine Einzelheiten bekannt. Vermutlich musste er im Steinbruch und beim Ausbau des Lagers arbeiten. Die Bedingungen waren hart. Buchmüller: „Krank bin ich eigentlich erst im Straflager Mauthausen geworden“.
Am 18. Februar 1940 kam Buchmüller mit einem 390 Dachauer Häftlinge umfassenden Transport aus Mauthausen zurück in das Konzentrationslager Dachau. Die Häftlinge bekamen bei der Rückkehr nach Dachau in der Regel neue Nummern zugeteilt, Buchmüller erhielt die Nummer 33.
Am 10. November 1944 kam Buchmüller aus der KZ-Haft zur berüchtigten „SS-Sturmbrigade Dirlewanger“ (wie zur selben Zeit beispielsweise auch seine Mitgefangenen Otto Morgenstern aus Schopfheim und Josef E. aus Heilbronn) und wurde als „Schütze Buchmüller“ in SS-Uniform gesteckt. Die Sondereinheit Dirlewanger hatte sich zuvor bereits bei der „Partisanenbekämpfung“ im Osten, bei der Dorfbewohner, auch Frauen und Kinder, erschossen oder in ihren Behausungen verbrannt wurden, einen Schreckensnamen gemacht. Danach betätigte sich die Einheit bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstands und demonstrierte dabei bis Mitte Oktober 1944 bei Massenmorden, Folterungen und vielerlei weiteren Verbrechen ihre selbst für SS-Truppen außerordentliche Grausamkeit und Brutalität. Bereits im Sommer 1942 waren der Einheit erste KZ-Häftlinge zugewiesen worden. Es folgten weitere Aushebungen in den Konzentrationslagern aus den Reihen der „Berufsverbrecher“ und „Asozialen“. Ab Herbst 1944 wurden auch politische KZ-Häftlinge für Dirlewanger ausgemustert. Kommandeur Oskar Dirlewanger selbst rechtfertigte dieses Vorgehen paradoxerweise gerade mit der erwiesenen Widerstandskraft der „Politischen“ gegen den Nationalsozialismus: „Es sind in den Lagern Männer, die [...] nicht sofort sich äußerlich als Nationalsozialisten tarnten, sondern ihrer Weltanschauung zunächst treu blieben und somit Charakter zeigten, im Gegensatz zu den vielen Hunderttausenden, die es mit den Stärkeren hielten“.
Bis zum 10. November 1944 wurden weitere 1910 politische Häftlinge für Dirlewanger rekrutiert, die aus Dachau und anderen großen Lagern kamen. Die Ausmusterungen sollten durch die Lagerkommandanten vorgenommen werden und nur solche ehemaligen politischen Gegner einbeziehen, „die nach eigener fester Überzeugung der Lagerkommandanten sich innerlich gewandelt und denWunsch haben, dies durch Teilnahme am Kampf des Großdeutschen Reiches unter Beweis zu stellen.“ In Dachau wurden die politischen Häftlinge durch die Blockältesten im Auftrag der Lagerleitung aufgefordert, sich freiwillig zum Militärdienst zu melden. Die Lagerleitung selbst ließ die Häftlinge über ihr weiteres Schicksal zwar im Ungewissen, scheint aber direkt keinen Druck auf die „freiwillige“ Entscheidung ausgeübt zu haben. Das von Kommunisten beherrschte illegale Lagerkomitee wies die politischen Häftlinge an, sich zum Militär zu melden, um dann möglichst rasch zu den Alliierten überzulaufen. Den Häftlingen war dabei zunächst nicht klar, dass sie sich nicht zur Wehrmacht, sondern zu einer SS-Einheit verpflichteten.
Anfang Dezember 1944 kam die Dirlewanger-Truppe im nordungarischen Frontabschnitt zum Kampfeinsatz. Ab 18. Februar 1945 wurde die Einheit – nun als 36. Waffen-Grenadier-Division der SS – im Abschnitt Guben (Brandenburg) eingesetzt. Nach dem Durchbruch der Roten Armee durch die Oderlinie im April 1945 wurde die Einheit in die Kämpfe südöstlich von Berlin verwickelt und zersprengt. Das Gros der Brigade geriet bei der Kesselschlacht von Halbe 60 Kilometer südlich von Berlin am 29. April in sowjetische Gefangenschaft.
Wilhelm Buchmüller wurde auf dem Lazarettstützpunkt Münchehofe (Brandenburg) als verwundeter Gefangener eingeliefert. Ein Mitgefangener berichtete später: „Ich erinnere mich daran, dass mir Buchmüller mitteilte, tags zuvor bei Märkisch Buchholz in russische Gefangenschaft gekommen zu sein“. Das Behelfslazarett wurde nach dessen Angaben in den ersten Maitagen in das Kriegsgefangenenlazarett am Küchensee bei Storkow (Mark) im heutigen Landkreis Oder-Spree in Brandenburg verlegt. Buchmüller habe sich als Kriegsgefangener „kameradschaftlich geführt und sich selbst gegenüber der russischen Kommandantur für Recht und menschliche Behandlung seiner Mitgefangenen voll eingesetzt“. Alle Ärzte in diesem unter sowjetischer Bewachung stehenden Lazarett waren deutsche Gefangene. Viele Verwundete und Kranke seien im Lazarett verstorben.
Am 4. September 1945 stellte der Bürgermeister der Stadt Storkow die Entlassungsbescheinigung aus: „Nach Übergabe des Lazaretts am Küchensee an die Stadt Storkow/Mark wird Willy Buchmüller nach Maßgabe des ärztlichen Befundes entlassen und nach Stuttgart-Feuerbach in Marsch gesetzt. Alle Behörden werden gebeten, ihn ungehindert reisen zu lassen und ihm nötigenfalls Schutz und Hilfe zu gewähren“.
Wilhelm Buchmüller bezog später Wiedergutmachungsleistungen für die erlittenen Schäden an Freiheit, beruflichem Fortkommen und Gesundheit. 1949 bestätigte das Gesundheitsamt der Stadt Stuttgart ihm eine hundertprozentige Erwerbsunfähigkeit, bedingt durch eine offene Tuberkulose und ein chronisches Magengeschwür. Beide Leiden galten als wahrscheinliche Folgen der KZ-Haft. Der Fall Buchmüller war für die Behörden noch lange nicht abgeschlossen. Noch am 18. Dezember 1970 übersandte der Internationale Suchdienst in Arolsen (ITS) der Staatsanwaltschaft beim Landgericht München II auf deren Anforderung wegen eines nicht näher bezeichneten Vorgangs einen Dokumentenauszug über den Aufenthalt in ehemaligen Konzentrationslagern und weitere Dokumente.
Die Markierung auf der Übersichtskarte verweist auf Wilhelm Buchmüllers letzte Wohnadresse vor seiner Verhaftung im Jahr 1936: Stuttgart-Feuerbach Bregenzerstraße 16. Hier in der vormaligen Breite Straße 16 befand sich die Gaststätte Rebstöckle.
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1 Transportliste vom KZ Dachau nach Mauthausen am 8.5.1939, Arolsen Archives 1.1.6.1 / 9913067
Quellen und Literatur
ITS Digital Archive, Arolsen Archives
Korrespondenzakte T/D - 996 361
Hinweiskarte auf Krankenunterlagen Dachau, Dok. 80258306
Staatsarchiv Ludwigsburg
EL 350 I Bü 212
FL 300/33 I Bü 14548 (Schlichter)
Bundesarchiv
R 58/7006 „Informationen des Geheimen Staatspolizeiamt“ Bd. 25 (enth. Einzelfälle)
VVN-Archiv Stuttgart D 725, D 765 (mit Dank an Volger Kucher)
Hellmuth Auerbach: Die Einheit Dirlewanger, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 10/1962, 3. Heft/Juli, S. 250-263.
Hans-Peter Klausch: Antifaschisten in SS-Uniform. Schicksal und Widerstand der deutschen politischen KZ-Häftlinge, Zuchthaus- und Wehrmachtsgefangenen in der SS-Sonderformation Dirlewanger. Bremen 1993. Zur Rekrutierung im KZ Dachau S. 164 ff.
Hans Maršálek: KZ-Häftlinge und die SS-Sondereinheit Dirlewanger, Folge 1-4, in: Der neue Mahnruf, Wien 1984, Nr. 4-7/8.
„Protokoll über die Verhältnisse der Dachauer Schutzhäftlinge, die am 10.11.1944 zum SS-Sonderregiment 'Dirlewanger' eingezogen wurden“ ohne Verfasser- und Ortsangabe [Stuttgart? 1945], Privatarchiv Karl Gerber.
© Text und Recherche:
Roland Maier, Stuttgart
Stand: Mai 2024
www.kz-mauthausen-bw.de
NS-kritischer Mechaniker bei der Firma Robert Bosch in Feuerbach
25.03.1933 bis Ende April 1933 Schutzhaft Heuberg
11.11.1936 Untersuchungshaft
25.05.1937 bis 25.05.1938 Strafhaft
26.05.1937 Gestapohaft
02.07.1938 KZ Dachau
09.05.1939 KZ Mauthausen
18.02.1940 KZ Dachau
10.11.1944 Brigade Dirlewanger
Wilhelm Buchmüller wurde am 23. November 1901 als Sohn eines Gerbers in Friedrichshafen geboren. Er war römisch-katholisch getauft und besuchte die Volks- und Gewerbeschule in Friedrichshafen. Aus seiner Ehe mit Anna Buchmüller gingen keine Kinder hervor. Er hatte jedoch einen 1930 geborenen unehelichen Sohn, für den er 1933 per Amtsgerichtsbeschluss zu Unterhaltszahlungen verpflichtet wurde.
Seine berufliche Ausbildung begann Buchmüller bei der Firma Maybach-Motorenbau GmbH in Friedrichshafen als Mechaniker in der Motorenprüfstelle. Nach seiner Gesellenprüfung 1921 war er zwei weitere Jahre bei dieser Firma tätig. Nach einem Intermezzo bei der Zahnradfabrik „ZF“ Friedrichshafen kam er zur Maschinenfabrik Doppelmayr in Wolfurt (Vorarlberg). Danach wechselte er zur Firma Optima nach Sindelfingen, wo er in der Spitzholzstraße 147 wohnte. Ab 1927 arbeitete er bei der Firma Robert Bosch. In der Weltwirtschaftkrise folgten Jahre der Arbeitslosigkeit, unterbrochen von einer Tätigkeit als Reisevertreter. In der Zeit ab 12. Juni 1933 bis zu seiner verhaftungsbedingten Entlassung am 17. November 1936 war er wieder bei Bosch beschäftigt, nun in der Untersuchungsabteilung des Isolitwerks. Er wohnte (1933) in Feuerbach in der Stuttgarter Straße 39, später (1936) direkt neben dem Bosch-Werk in Feuerbach im 2. Stock über der Gaststätte „Rebstöckle“.
Die Nationalsozialisten sahen in Buchmüller einen politischen Gegner. Nach seiner späteren Darstellung aus dem Jahr 1955 war Buchmüller bereits vor der NS-Zeit politisch interessiert gewesen. Er habe auch Versammlungen der Nazis besucht, sich aber keiner politischen Partei angeschlossen. Auch habe er Hitlers „Mein Kampf“ gelesen, die NS-Ideologie jedoch abgelehnt. Buchmüller: „Politisch stand ich dem linken Flügel des Zentrums nahe“.
„Im März 1933 hat man mich nachts aus dem Bett heraus verhaftet. Vernommen hat man mich nicht, aber ich nehme an, dass meine Anti-NS-Gesinnung bekannt geworden ist. [...] Ich wurde auf dem Heuberg als Funktionär angesehen, obwohl ich in keiner Partei war. Es wurde mir zur Last gelegt, dass ich der geistige Führer sei. Bei meiner Entlassung musste ich bei Buck einen Revers unterschreiben, dass ich mich nicht mehr politisch betätigen würde“ (Karl Buck (1893-1977) war Kommandant des der Württembergischen Politischen Polizei unterstehenden Schutzhaftlagers auf dem Heuberg bei Stetten am kalten Markt).
Doch Buchmüller engagierte sich trotzdem weiterhin politisch. „Nach meiner Haft auf dem Heuberg habe ich die Verbindung mit anderen Nazigegnern aufrecht erhalten und habe auch Lektüre gegen den NS bekommen und weitergegeben. Bei Bosch sollte ich wiederholt entlassen werden wegen staatsfeindlicher Gesinnung, weil ich auch im Betrieb auf die Widersprüche des NS hingewiesen habe. Ich habe eine Broschüre weitergegeben, in der Hitler als Verbrecher hingestellt und aufgedeckt wurde, was für Morde vollbracht worden sind und wo die Nazi das Geld her haben. Diese Broschüre wurde bei einem Anderen gefunden und der hatte zugegeben, dass er sie von mir hat. Ich war als Hetzer und Gegner des NS bei Bosch bekannt“ (Buchmüller 1955).
Am 11. November 1936 wurde Buchmüller verhaftet. Die Anklage lautete auf Vorbereitung zum Hochverrat. „Es wurde mir in der Verhandlung vor dem OLG auch noch vorgeworfen, dass ich zersetzende Gespräche führen würde. Derjenige, dem ich die Broschüre gegeben habe, war auch mitangeklagt, ist aber freigesprochen worden. Soviel ich mich erinnere, war der damalige Senatspräsident Cuhorst der Vorsitzende meines Verfahrens“. Der Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart verurteilte Buchmüller im Mai 1937 zu 18 Monaten Gefängnis. Nach Verbüßung dieser Strafe nahm ihn die Gestapo, Stapoleitstelle Stuttgart, in Schutzhaft und wies ihn über das Polizeigefängnis Welzheim am 2. Juli 1938 in das Konzentrationslager Dachau ein (Häftlingsnummer 17988, Kategorie „Schutz 2 x KL“). Der ehemalige Mithäftling Werner Groß erinnerte sich, wie Buchmüller aus dem Gefängnis nach Dachau „auf unsere Stube im Block 19“ kam. „Diese Stube war für die zweitmaligen Schutzhäftlinge bestimmt. Wir waren im gleichen Arbeitskommando zusammen, bis er im Mai 1939 auf Transport in das KZ Mauthausen ging“. Mit diesem Transport vom 8. auf den 9. Mai 1939 wurden mehrere hundert Häftlinge aus Dachau in das Konzentrationslager Mauthausen überstellt.1 Über Buchmüllers Zeit in Mauthausen sind keine Einzelheiten bekannt. Vermutlich musste er im Steinbruch und beim Ausbau des Lagers arbeiten. Die Bedingungen waren hart. Buchmüller: „Krank bin ich eigentlich erst im Straflager Mauthausen geworden“.
Am 18. Februar 1940 kam Buchmüller mit einem 390 Dachauer Häftlinge umfassenden Transport aus Mauthausen zurück in das Konzentrationslager Dachau. Die Häftlinge bekamen bei der Rückkehr nach Dachau in der Regel neue Nummern zugeteilt, Buchmüller erhielt die Nummer 33.
Am 10. November 1944 kam Buchmüller aus der KZ-Haft zur berüchtigten „SS-Sturmbrigade Dirlewanger“ (wie zur selben Zeit beispielsweise auch seine Mitgefangenen Otto Morgenstern aus Schopfheim und Josef E. aus Heilbronn) und wurde als „Schütze Buchmüller“ in SS-Uniform gesteckt. Die Sondereinheit Dirlewanger hatte sich zuvor bereits bei der „Partisanenbekämpfung“ im Osten, bei der Dorfbewohner, auch Frauen und Kinder, erschossen oder in ihren Behausungen verbrannt wurden, einen Schreckensnamen gemacht. Danach betätigte sich die Einheit bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstands und demonstrierte dabei bis Mitte Oktober 1944 bei Massenmorden, Folterungen und vielerlei weiteren Verbrechen ihre selbst für SS-Truppen außerordentliche Grausamkeit und Brutalität. Bereits im Sommer 1942 waren der Einheit erste KZ-Häftlinge zugewiesen worden. Es folgten weitere Aushebungen in den Konzentrationslagern aus den Reihen der „Berufsverbrecher“ und „Asozialen“. Ab Herbst 1944 wurden auch politische KZ-Häftlinge für Dirlewanger ausgemustert. Kommandeur Oskar Dirlewanger selbst rechtfertigte dieses Vorgehen paradoxerweise gerade mit der erwiesenen Widerstandskraft der „Politischen“ gegen den Nationalsozialismus: „Es sind in den Lagern Männer, die [...] nicht sofort sich äußerlich als Nationalsozialisten tarnten, sondern ihrer Weltanschauung zunächst treu blieben und somit Charakter zeigten, im Gegensatz zu den vielen Hunderttausenden, die es mit den Stärkeren hielten“.
Bis zum 10. November 1944 wurden weitere 1910 politische Häftlinge für Dirlewanger rekrutiert, die aus Dachau und anderen großen Lagern kamen. Die Ausmusterungen sollten durch die Lagerkommandanten vorgenommen werden und nur solche ehemaligen politischen Gegner einbeziehen, „die nach eigener fester Überzeugung der Lagerkommandanten sich innerlich gewandelt und denWunsch haben, dies durch Teilnahme am Kampf des Großdeutschen Reiches unter Beweis zu stellen.“ In Dachau wurden die politischen Häftlinge durch die Blockältesten im Auftrag der Lagerleitung aufgefordert, sich freiwillig zum Militärdienst zu melden. Die Lagerleitung selbst ließ die Häftlinge über ihr weiteres Schicksal zwar im Ungewissen, scheint aber direkt keinen Druck auf die „freiwillige“ Entscheidung ausgeübt zu haben. Das von Kommunisten beherrschte illegale Lagerkomitee wies die politischen Häftlinge an, sich zum Militär zu melden, um dann möglichst rasch zu den Alliierten überzulaufen. Den Häftlingen war dabei zunächst nicht klar, dass sie sich nicht zur Wehrmacht, sondern zu einer SS-Einheit verpflichteten.
Anfang Dezember 1944 kam die Dirlewanger-Truppe im nordungarischen Frontabschnitt zum Kampfeinsatz. Ab 18. Februar 1945 wurde die Einheit – nun als 36. Waffen-Grenadier-Division der SS – im Abschnitt Guben (Brandenburg) eingesetzt. Nach dem Durchbruch der Roten Armee durch die Oderlinie im April 1945 wurde die Einheit in die Kämpfe südöstlich von Berlin verwickelt und zersprengt. Das Gros der Brigade geriet bei der Kesselschlacht von Halbe 60 Kilometer südlich von Berlin am 29. April in sowjetische Gefangenschaft.
Wilhelm Buchmüller wurde auf dem Lazarettstützpunkt Münchehofe (Brandenburg) als verwundeter Gefangener eingeliefert. Ein Mitgefangener berichtete später: „Ich erinnere mich daran, dass mir Buchmüller mitteilte, tags zuvor bei Märkisch Buchholz in russische Gefangenschaft gekommen zu sein“. Das Behelfslazarett wurde nach dessen Angaben in den ersten Maitagen in das Kriegsgefangenenlazarett am Küchensee bei Storkow (Mark) im heutigen Landkreis Oder-Spree in Brandenburg verlegt. Buchmüller habe sich als Kriegsgefangener „kameradschaftlich geführt und sich selbst gegenüber der russischen Kommandantur für Recht und menschliche Behandlung seiner Mitgefangenen voll eingesetzt“. Alle Ärzte in diesem unter sowjetischer Bewachung stehenden Lazarett waren deutsche Gefangene. Viele Verwundete und Kranke seien im Lazarett verstorben.
Am 4. September 1945 stellte der Bürgermeister der Stadt Storkow die Entlassungsbescheinigung aus: „Nach Übergabe des Lazaretts am Küchensee an die Stadt Storkow/Mark wird Willy Buchmüller nach Maßgabe des ärztlichen Befundes entlassen und nach Stuttgart-Feuerbach in Marsch gesetzt. Alle Behörden werden gebeten, ihn ungehindert reisen zu lassen und ihm nötigenfalls Schutz und Hilfe zu gewähren“.
Wilhelm Buchmüller bezog später Wiedergutmachungsleistungen für die erlittenen Schäden an Freiheit, beruflichem Fortkommen und Gesundheit. 1949 bestätigte das Gesundheitsamt der Stadt Stuttgart ihm eine hundertprozentige Erwerbsunfähigkeit, bedingt durch eine offene Tuberkulose und ein chronisches Magengeschwür. Beide Leiden galten als wahrscheinliche Folgen der KZ-Haft. Der Fall Buchmüller war für die Behörden noch lange nicht abgeschlossen. Noch am 18. Dezember 1970 übersandte der Internationale Suchdienst in Arolsen (ITS) der Staatsanwaltschaft beim Landgericht München II auf deren Anforderung wegen eines nicht näher bezeichneten Vorgangs einen Dokumentenauszug über den Aufenthalt in ehemaligen Konzentrationslagern und weitere Dokumente.
Die Markierung auf der Übersichtskarte verweist auf Wilhelm Buchmüllers letzte Wohnadresse vor seiner Verhaftung im Jahr 1936: Stuttgart-Feuerbach Bregenzerstraße 16. Hier in der vormaligen Breite Straße 16 befand sich die Gaststätte Rebstöckle.
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1 Transportliste vom KZ Dachau nach Mauthausen am 8.5.1939, Arolsen Archives 1.1.6.1 / 9913067
Quellen und Literatur
ITS Digital Archive, Arolsen Archives
Korrespondenzakte T/D - 996 361
Hinweiskarte auf Krankenunterlagen Dachau, Dok. 80258306
Staatsarchiv Ludwigsburg
EL 350 I Bü 212
FL 300/33 I Bü 14548 (Schlichter)
Bundesarchiv
R 58/7006 „Informationen des Geheimen Staatspolizeiamt“ Bd. 25 (enth. Einzelfälle)
VVN-Archiv Stuttgart D 725, D 765 (mit Dank an Volger Kucher)
Hellmuth Auerbach: Die Einheit Dirlewanger, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 10/1962, 3. Heft/Juli, S. 250-263.
Hans-Peter Klausch: Antifaschisten in SS-Uniform. Schicksal und Widerstand der deutschen politischen KZ-Häftlinge, Zuchthaus- und Wehrmachtsgefangenen in der SS-Sonderformation Dirlewanger. Bremen 1993. Zur Rekrutierung im KZ Dachau S. 164 ff.
Hans Maršálek: KZ-Häftlinge und die SS-Sondereinheit Dirlewanger, Folge 1-4, in: Der neue Mahnruf, Wien 1984, Nr. 4-7/8.
„Protokoll über die Verhältnisse der Dachauer Schutzhäftlinge, die am 10.11.1944 zum SS-Sonderregiment 'Dirlewanger' eingezogen wurden“ ohne Verfasser- und Ortsangabe [Stuttgart? 1945], Privatarchiv Karl Gerber.
© Text und Recherche:
Roland Maier, Stuttgart
Stand: Mai 2024
www.kz-mauthausen-bw.de