Direkt zum Inhalt
« Zurück

Ernst Bauche

(1895-1966)

Als Alkoholiker stigmatisiert

 

März/April 1933 KZ Heuberg
15.10.1937 Verhaftung, Polizeigefängnis Welzheim
15.11.1937 KZ Dachau
27.09.1939 KZ Mauthausen
18.02.1940 KZ Dachau
20.10.1941 KZ Dachau-Außenlager Heidenheim
04.06.1942 KZ Dachau
Ende 1943 KZ Dachau-Außenlager Ottobrunn
01.05.1945 Flucht

Ernst Karl Bauche wurde am 21. November 1895 als Sohn des Schlossers Albert Bauche und seiner Ehefrau Maria, geborene Schmid, in Stuttgart geboren. Als erlernten Beruf gab Ernst Bauche den des Fräsers an, beschäftigt aber war er, soweit erkennbar, als Hilfsarbeiter in wechselnden Branchen. Verheiratet war er mit Kristine Bauche, geborene Hermann, und hatte vier Kinder. Er lebte mit seiner Familie im Erdgeschoss des städtischen Wohnhauses in der Römerstraße (heute: Am Römerkastell) 6 D im Stadtteil Hallschlag in Stuttgart-Bad Cannstatt.

Ernst Bauche war stark alkoholabhängig, weshalb er in den Jahren 1921, 1925 und 1927 im Stuttgarter Bürgerhospital in Behandlung war. Im Zusammenhang mit seiner Trunksucht hatte er bis 1929 über zwei Dutzend Strafen zu verzeichnen. Seine Delikte waren dabei eher geringfügig: Diebstahl, Beleidigung, grober Unfug und Ähnliches. 1929 war er einige Zeit wieder im Bürgerhospital. Danach kam er in die Trinkerheilanstalt Brauweiler bei Köln (ein Teil der Abtei Brauweiler diente übrigens ab 1933 ein Jahr lang als Konzentrationslager, danach bis 1945 als Gefängnis der Kölner Gestapo). Es folgten sechs Wochen in der Heil- und Pflegeanstalt Bonn. Am 10. Dezember 1929 wurde er aufgrund seiner notorischen Trunksucht vom Amtsgericht Stuttgart entmündigt.

Offenbar verzweifelt entschlossen, seiner ruinösen Suchterkrankung Herr zu werden, schloss er sich den "Blaukreuzlern", einer christlichen Selbsthilfeorganisation, an und suchte Hilfe bei der freikirchlichen Heilsarmee. Politisch fand er sich aber bei der Linken besser aufgehoben und wurde Mitglied der antifaschistischen Arbeiterwehr. Bis 1933 betätigte er sich kommunistisch: im Spielmannszug, beim Saalschutz, als Zettelkleber und Flugzettelverteiler. Letzteres trug ihm am 13. April 1932 eine weitere Vorstrafe ein, diesmal wegen illegalen Flugblattverteilens. Allerdings soll er nach späteren Erkenntnissen der Stuttgarter Kriminalpolizei vom Juni 1947 bei den Kommunisten "nach wenigen Wochen wegen Trunkenheit und asozialem Verhalten ausgeschlossen" worden sein.

Im März 1933 kam er für etwa sechs Wochen in Schutzhaft in das Lager auf dem Heuberg in Stetten am kalten Markt. Nach eigenen Angaben war er im Jahr 1933 auch in Vaihingen an der Enz in Schutzhaft, vermutlich im Arbeitshaus Schloss Kaltenstein, das zu jener Zeit als Krankenstation des Heuberglagers fungierte. Im Herbst dieses Jahres wurden von der Württembergischen Politischen Polizei dort auch "Asoziale" eingeliefert.

Nach seiner Entlassung aus der Schutzhaft kam er wegen seiner Suchterkrankung wieder ins Stuttgarter Bürgerhospital, anschließend vier Monate in die Trinkerheilanstalt Hutschdorf in Bayern. 1934 folgten weitere Aufenthalte im Bürgerhospital, in Brauweiler, danach sieben Monate in der Heil- und Pflegeanstalt in Bonn. Dort wurde er nach eigenen Angaben im Oktober 1934 zwangssterilisiert. Eine Entlassung aus der dortigen Anstalt sei an die Einwilligung in die Unfruchtbarmachung gebunden gewesen. Einen Nachweis über die Sterilisation konnte oder wollte Bauche später allerdings nicht erbringen. Anschließend war er noch sechs Wochen in der Heil- und Pflegeanstalt Winnental, die er 1935 eigenmächtig verließ.

Am 15. Oktober 1937 wurde Bauche in seiner Wohnung in Cannstatt durch die Gestapo abgeholt und in der Stuttgarter Gestapozentrale "Hotel Silber" vernommen. Bauche: es "wurde mir illegale Tätigkeit unterschoben". Danach wurde er in das Polizeigefängnis in Welzheim verbracht. Von dort kam er am 13. November 1937 zusammen mit 13 Schicksalsgenossen in das Konzentrationslager Dachau. Die konkreten Gründe für die Inhaftierung Bauches sind aus den vorliegenden Quellen zwar nicht ersichtlich, bei den gleichzeitig mit ihm nach Dachau überstellten Häftlingen handelte es sich jedoch mindestens zum Teil um Kommunisten aus dem Stuttgarter Raum - wie Karl Hauff und Albert Klemm. Mit diesen dürfte er in der Wahrnehmung der Gestapo in persönlichem Kontakt gestanden haben. Auch die Tatsache, dass es die Staatspolizei und nicht etwa die Kripo war, die gegen Bauche vorging, spricht dafür, dass es kaum um suchtbedingte soziale Auffälligkeiten und eventuelle Trunkenheitsdelikte gegangen sein dürfte, sondern dass es sich um eine gezielte politische Maßnahme zur (präventiven) Zerschlagung von lokalen potentiellen Widerstandszusammenhängen handelte.

Im KZ Dachau erhielt Bauche die Häftlingsnummer 13028 und wurde, da er bereits im KZ Heuberg gewesen war, als "rückfälliger" Schutzhäftling klassifiziert ("Sch 2x KL") und kam in die "Isolierung". Wegen der zeitweiligen Umnutzung des Lagers Dachau nach Kriegsbeginn wurde Bauche zusammen mit zahlreichen weiteren "Rückfälligen" von Dachau in das Konzentrationslager Mauthausen verlegt. Als Kameraden, die mit ihm aus der Dachauer Isolierung nach Mauthausen überstellt wurden, erwähnte Bauche neben anderen Wilhelm Hilsenbeck, Karl Wagner (geb. 1909), Julius Schätzle, Richard Heim, Fritz Alle, Willi Buchmüller und Heinrich Gottschalk. Bauches Dachau-Blockältester Hilsenbeck aus Münster bei Cannstatt war auch in Mauthausen sein Blockältester. In Anbetracht dieses genannten Personenkreises ist anzunehmen, dass Bauche in eine hinsichtlich der regionalen Herkunft und politischen Orientierung relativ homogene informelle Häftlingsgruppe integriert war, was sich unter den extremen Haftbedingungen sicherlich als ein unschätzbarer Vorteil erwies.

Bis auf Albert Klemm, der in Mauthausen verstarb, kam Ernst Bauche mit seinen genannten Kameraden sowie zahlreichen weiteren Häftlingen am 18. Februar 1940 zurück nach Dachau. Den Häftlingen wurden bei dieser Gelegenheit neue Nummern zugeteilt, Bauche erhielt die Nummer 13 und trug weiter den "roten Winkel" der politischen Häftlinge mit der Zusatzkennzeichnung als "Rückfälliger". Die "zweimaligen" politischen Häftlinge wie Bauche wurden geschlossen in eigenen Blöcken (Baracken) untergebracht. Bauche war in Dachau ab 1940 bis zuletzt Kapo (Funktionshäftling). Seine damit verbundene relative Machtstellung scheint er nicht missbraucht zu haben. Mithäftlinge attestierten ihm später korrektes Verhalten.

Image
Nach der Rückkehr vom KZ Mauthausen in Dachau ausgefüllter Häftlingsbogen, Arolsen Archives 1.1.6.2, Dok. 9973417
Nach der Rückkehr vom KZ Mauthausen in Dachau ausgefüllter Häftlingsbogen, Arolsen Archives 1.1.6.2, Dok. 9973417

Am 20. Oktober 1941 wurde Bauche dem damals neu errichteten Dachau-Außenlager in Heidenheim an der Brenz zugewiesen. Im Juni 1942 kam er wieder zurück nach Dachau. Offenbar zählte er zu den privilegierten Häftlingen, was auch äußerlich erkennbar war. Bauches Name erscheint nämlich auf einer Liste vom August 1943 mit Häftlingen, die langes Haar tragen durften. Später wurde Bauche auch auf einer Liste der Vorzugshäftlinge geführt. Noch im Jahre 1943 soll Bauche in das Dachau Außenlager Ottobrunn bei München versetzt worden sein. Da dieses Lager erst im Mai 1944 eröffnet wurde, ist zu vermuten, dass Bauche zu dem Trupp von etwa 40 Häftlingen gehörte, die die Lagerinfrastruktur aufbauen mussten. In Ottobrunn sollte dann die Luftfahrtforschungsanstalt München (LFM) physikalische Grundlagen zur Optimierung der Luftkriegsführung untersuchen. Bauche gelang es nach eigenen Angaben, bei einem Evakuierungsmarsch am 1. Mai 1945 zu entkommen.

Insgesamt hat Bauche mehr als sieben Jahre in KZ-Lagern verbracht. Nach seiner Flucht beziehungsweise Haftentlassung habe er an persönlichem Eigentum nichts mehr vorgefunden. Er bekam als Soforthilfe aus dem Fonds des Finanzministeriums 500.- RM zugestanden.

Nach der Scheidung von seiner ersten Frau war Bauche seit November 1945 wieder verheiratet. Er wohnte wieder im Bad Cannstatter Stadtteil Hallschlag, nun Auf der Steig (Spielvereinigungsplatz). Als Beruf gab Bauche jetzt „Hilfsarbeiter bei der Zuckerfabrik“, dann „Schachtmeister“ an. Er war aber seit Juli 1946 ohne Arbeit, da die betreffenden Arbeiten (Kabellegen) auf Anordnung der Militärregierung eingestellt wurden. Er hatte Mühe, sich in der Notzeit nach dem Krieg wirtschaftlich über Wasser zu halten und kämpfte um Unterstützungs- und Entschädigungszahlungen.

Da Bauche offensichtlich nicht so ganz dem Idealbild eines makellosen Antifaschisten entsprach, gestaltete sich dieser Kampf zäh. So war es als ein erster Etappensieg zu werten, als am 30. September 1946 die in der Wagenburgstraße 26 ansässige „Betreuungsstelle Stuttgart der vom Naziregime politisch Verfolgten“ dem Amt für die Wiedergutmachung mitteilte: Bauche, “wird nach 1½ - jähriger Bewährung von uns als Opfer des Faschismus unter IB geführt“. Worin die „Bewährung“ bestanden haben sollte, wurde in dem Schreiben nicht angegeben.

Kurz darauf, im Oktober, wandte Bauche sich selbst ans Wiedergutmachungsamt. Er könne aus gesundheitlichen Gründen keine körperliche Arbeit mehr verrichten. “Könnte mich und meine Familie durch eine von ihnen Geld Betrag von 3 bis 4000 Mark ein Pferd und Wagen anschaffen. Und ich hätte für mein Leben mein Auskommen. Stallung für mein Pferd hätte ich bei der Wohnung“ [Orth. orig.]. Das im Oktober 1946 gegründete „selbständige Fuhrgeschäft“ erwies sich freilich als Misserfolg, weshalb Bauche im Februar 1947 erneut eine Notlage melden musste. Er habe keine Einnahmen aus dem Pferdefuhrbetrieb infolge der kalten Jahreszeit, außerdem müsse er noch im Zusammenhang mit dem Kauf des Zugtiers aufgenommene Schulden tilgen. Zu allem Unglück erkrankte das Pferd bald und starb, so dass Bauche im Juni 1947 über große finanzielle Einbußen durch den Verlust des Rosses klagte. Er habe keine Einnahmen, da das Ersatzpferd noch nicht arbeitsfähig sei. Schließlich machte er in seiner Wohnung eine Scherenschleiferei auf, ebenfalls mit wenig geschäftlichem Erfolg wie er mitteilte: „Dieses Geschäft geht fast nicht“.

Wenigstens in seinem Wiedergutmachungsverfahren schien der von den Nazis und nun auch noch vom Pech Verfolgte das Glück ein wenig auf seiner Seite zu haben. Im Mai 1945 hatte er einen Antrag auf Anerkennung als politisch Verfolgter gestellt. Am 24. Januar 1947 wurde er vom Landesausschuss der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) unter der Kategorie „IIa“ als "Aktivist" anerkannt. Mithäftlinge hatten bezeugt, dass sein Verhalten während seiner Haft „einwandfrei“ gewesen war. Indes wollte das Polizeipräsidium Stuttgart, Kriminalabteilung D 11, dies so nicht gelten lassen und wandte sich deshalb am 24. Juli 1947 an das Justizministerium Abt. IV Wiedergutmachung. Daraufhin konstatierte das Wiedergutmachungsamt, dass es die Einstufung des Bauche durch die VVN für völlig verfehlt halte. Laut Erkenntnissen der Kriminalabteilung gehöre Bauche zu jenen Personen, „die unter jeder Staatsform mit den Behörden in Konflikt gekommen wären“. Das Wiedergutmachungsamt hielt also offenbar außerjustizielle KZ-Haft "unter jeder Staatsform" für gerechtfertigt, zumindest bei als schwierig angesehenen Alkoholkranken wie Bauche. Die VVN knickte ein und antwortete auf die Vorwürfe seitens der Wiedergutmachungsbehörde: Bauche sei dem anerkennenden Sachbearbeiter Hr. Rothmer [Eugen Rothmer war Häftling im KZ Dachau gewesen] in Dachau selbst bekannt gewesen. Er habe dort den roten Winkel mit der Kennzeichnung als Rückfälliger getragen. Sein Verhalten sei gut gewesen und so sei die Prüfungsstelle zu dem Ergebnis gekommen, dass Bauche aus politischen Gründen inhaftiert gewesen sein müsse. Seine Trunksucht sei bekannt gewesen, nicht aber seine Sterilisation. Bauche trinke heute nicht mehr und bemühe sich, einen ordentlichen Lebenswandel zu führen [der Lebensstil der Betroffenen nach der Befreiung galt offenbar als Kriterium für die Wiedergutmachung, Anm. RM]. Doch glaubte die VVN einräumen zu müssen: „Die Einstufung als Aktivist war natürlich falsch“. Offenbar habe Sachbearbeiter Rothmer seinem KZ-Kameraden Bauche mit dieser Einstufung, die ohne jede sachliche Grundlage erfolgt sei, einen Gefallen erweisen wollen.

In Sachen Zwangssterilisation erhielt Bauche am 3. November 1959 einen Ablehnungsbescheid: er habe es unterlassen, seinem Entschädigungsantrag wegen Schadens an Körper oder Gesundheit ("angebl. Sterilisation") zu substantiieren und entsprechende Beweismittel vorzulegen. Ernst Bauche verstarb 1966. Am 21. September 1966 erteilte Ernst Bauches Erbin Luise Bauche der VVN, in Person Alfred Hausser, eine Vollmacht zur Vertretung ihrer Entschädigungsansprüche.

Die Markierung auf der Karte zeigt Ernst Bauches Wohnadresse vor seiner Verhaftung: Römerstraße (heute: Am Römerkastell) 6 in Stuttgart-Bad Cannstatt (Hallschlag). Bauche hatte zeitlebens seinen Wohnsitz im Stadtteil Hallschlag.

 

Quellen und Literatur

Arolsen Archives
0.1 / 14156548 u. 14156547
1.1.6.2 Individuelle Unterlagen Dachau / Ernst Bauche
1.1.6 Hinweise auf Krankenunterlagen Dachau / 80255259 - Ernst Bauche
1.1.6.1 Listenmaterial Dachau / Nachweisbögen aus Gestapoakten von Häftlingen des KL Dachau / Ernst Bauche

Staatsarchiv Ludwigsburg
EL 350 I Bü 1191

Alfred Hoffmann: Von Tätern und Opfern. Beiträge zu einer anderen Heimatgeschichte II, Aufsätze 2011-2012. Heidenheim 2013, Tabelle S. 22.

 

© Text und Recherche:
Roland Maier, Stuttgart
Stand: Oktober 2021
www.kz-mauthausen-bw.de