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Werner Groß (1907 - 1950)

„Jahre und Gesundheit nutzlos einer Sache geopfert“

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Groß_Werner Portrait
Werner Groß, Foto: Stadtarchiv Nürtingen (Schlör S. 8)

11.03.1933 bis 13.07.1933 KZ Heuberg
25.07.1933 bis 31.07.1933 Inhaftierung in Mädchenschule Nürtingen
28.02.1934 bis 04.03.1934 Amtsgerichtsgefängnis Nürtingen
23.05.1935 bis 02.02.1937 Polizeipräsidium und U-Haft Stuttgart, Zuchthaus Ludwigsburg
02.02.1938 bis 25.03.1938 Polizeigefängnis Stuttgart und Welzheim
25.03.1938 bis 27.09.1939 KZ Dachau
27.09.1939 bis 18.02.1940 KZ Mauthausen
18.02.1940 bis 04.06.1945 KZ Dachau

Werner Groß wurde am 19. Juni 1907 in Lorch im heutigen Ostalbkreis geboren. Der Vater Emil Groß (1876-1950) war als Kaufmann in Lorch tätig, musste aber wider Willen die elterliche Gastwirtschaft übernehmen bis er schließlich eine Anstellung bei den Portland-Zementwerken in Nürtingen fand. Die Mutter Berta (1883-1937), geborene Friedel, stammte aus Dessau. Die Familie mit vier Kindern lebte in einer Werkswohnung beim Zementwerk.

Sohn Werner Groß begann nach Abschluss der Realschule Nürtingen eine Mechanikerlehre, die er 1923 mit der Gesellenprüfung abschloss. Als Mechaniker arbeitete er bei verschiedenen Firmen, bis er 1930 infolge der Wirtschaftskrise erwerbslos wurde. Bildungsbeflissen und politisch interessiert wie er war, nutzte er die erzwungene Phase der Arbeitslosigkeit, um Fortbildungskurse des reformpädagogischen Volkshochschulvereins Comburg (Schwäbisch Hall) sowie der Leipziger Heimvolkshochschule zu besuchen. Letztere stand der marxistischen Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) nahe, und hier fand er politisch und weltanschaulich Gleichgesinnte. Vorübergehend öffnete er sich auch den von den Nationalsozialisten propagierten Ideen, wandte sich dann aber dem Kommunismus zu und trat im März 1932 in die KPD ein.

Wie viele andere Gegner der Nationalsozialisten wurde Werner Groß nach der NS-Machtübernahme festgesetzt: "So wurde auch ich als Angehöriger der KPD, ohne Funktionen zu haben, am 11. März 1933 morgens früh um 5 Uhr durch Nürtinger Polizisten in meiner Wohnung verhaftet. Mit drei anderen Nürtinger Kameraden zusammen festgenommen wurden wir nach 10-tägiger Verwahrung im Landesgefängnis Rottenburg in das tags zuvor eröffnete KZ Heuberg überführt" (Werner Groß 1946). Vor der Entlassung aus der Schutzhaft musste er sich verpflichten, sich künftig staatsfeindlicher Betätigung zu enthalten.

Wenige Tage nach seiner Entlassung vom Lager Heuberg wurde Groß erneut in Gewahrsam genommen: während des vom 21. bis zum 31. Juli 1933 in Stuttgart als NS-Propagandashow ausgetragenen Deutschen Turnfests wurde er in der Nürtinger Mädchenschule festgesetzt. Schließlich fand er wieder eine Stelle als Schlosser. In seiner Freizeit las er viel, schrieb Gedichte, unternahm Wanderungen mit Gleichgesinnten und besuchte den Künstler HAP Grieshaber in seiner "Hütte" auf der Achalm. Gleichzeitig engagierte er sich durch die Verbreitung von Schriften und Flugblättern in der illegalen Parteiarbeit. Bei einer am 8. Juli 1934 erfolgten Durchsuchung seiner Wohnung wurden "10 marxistische Schallplatten, einige marxistische Bücher, 1 Schlagring und 2 kommunistische Abzeichen" gefunden.

Die Württembergische Politische Polizei verhaftete Groß und weitere Mitglieder seiner illegalen Gruppe nach längerer Observation am 23. Mai 1935 ("in seinem Besitz befanden sich Bruchteile von marxistischen Schallplatten") . Am 2. Februar 1937 verurteilte ihn das Oberlandesgericht Stuttgart wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und acht Monaten, die er – abzüglich der Untersuchungshaft – im Zuchthaus Ludwigsburg verbüßte. Groß: "meine Strafzeit ging am 2. Februar 1938 zu Ende. Bei der Entlassungsvorführung beim Zuchthausdirektor sagte er mir, dass ich trotz meiner guten Führung und Arbeitsleistung zur Prüfung der Schutzhaftfrage noch für einige Tage in das Polizeigefängnis Stuttgart überstellt würde. Am Zuchthaustor wurde ich bereits von 2 Gestapobeamten empfangen." Über das Polizeigefängnis Welzheim wurde Groß per Schub mit 15 weiteren Gefangenen am 25. Mai 1938 in das Konzentrationslager Dachau verbracht (Häftling Nummer 13695 "2xKL"). Er kam als zweitmaliger Schutzhäftling in die "Isolierung", d.h. in den Strafblock, Block 19, "ein KZ im KZ" (Werner Groß).

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Groß_Werner Thumm
Schreiben der Stuttgarter Gestapo-Schutzhaftdienststelle vom 29.7.1939, gez. Kriminalobersekretär Ludwig Thumm,
Staatsarchiv Ludwigsburg (Schlör)

Nach Kriegsbeginn wurde das Lager Dachau für Ausbildungszwecke der SS vorübergehend geräumt. Werner Groß wurde am 27. September 1939 mit einem 1600 Dachau-Häftlinge umfassenden Transport in das KZ Mauthausen verlegt. In einem im Zusammenhang mit dem späteren Entschädigungsverfahren erbrachten innerfachärztlichen Gutachten vom 18. April 1950 heißt es: "Er habe in Mauthausen sehr schwer in einem Steinbruch arbeiten müssen. Die Verpflegung sei bei der verlangten Arbeitsleistung sehr schlecht und vor allem unzureichend gewesen. Damals erstmals Unterernährungserscheinungen mit starker Abmagerung, Schwächezuständen und Schwindelgefühlen. Bei der Rückverlegung nach Dachau am 18.2.1940 habe er nur noch 97 oder 98 Pfd., bei einer Körpergröße von 182 cm, gewogen."

Zurück in Dachau wurde Werner Groß, nun mit der Häftlingsnummer 84, zu einem der "Stubenältesten" von Block 21 bestimmt. Dieser Block wurde dann als "Invalidenblock" für neu angekommene, nicht arbeitsfähige Häftlinge eingerichtet. Nach späterer eigener Angabe war er auch Stubenältester der Stube 1 in Block 11.

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Groß_Werner Gedenkfeier
Gedenkfeier am 14. September 1946 in Nürtingen mit Werner Groß‘ Bericht über seine KZ-Erlebnisse,
Stadtarchiv Nürtingen (Schlör S. 164)

Beim Herannahen der alliierten Truppen begann man das Lager Dachau zu evakuieren. Häftlinge wurden in Richtung Ötztaler Alpen in Marsch gesetzt. Werner Groß verließ am 26. April mit einem "Todesmarsch" das Lager. In der Nähe von Königsdorf bei Bad Tölz gelang ihm die Flucht und er konnte sich einige Wochen auf einem Bauernhof von den Strapazen erholen. Dann begab er sich zurück nach Dachau, um sich dort vom "International Information Office" Papiere ausstellen zu lassen, mit denen er in die Heimat zurückkehrte. Am 4. Juni in Nürtingen angekommen, wohnte er in der elterlichen Wohnung, Metzingerstraße 45. In den ersten beiden Monaten nach der Rückkehr aus Dachau erhielt er 118.- RM Unterstützung. Auch versuchte er über die "Centrale Sanitaire Suisse", das "Schweizerische Arbeiterhilfswerk" und die "Arbeitsgemeinschaft freiheitlicher Sozialisten" Hilfe zu erhalten. Seine Schwester, früher als Blockfrau der NS-Frauenschaft (NSF) aktiv, musste er mit ernähren. Sie führte ihm dafür den Haushalt. Er nahm eine Stelle beim Nürtinger Arbeitsamt an und engagierte sich wieder politisch. Der Kreisarbeitsausschuss Nürtingen veröffentlichte im August 1945 seinen Bericht "Todesmarsch in die Berge!" Bei der Wahl zum Nürtinger Gemeinderat am 27. Januar 1946 stand sein Name auf dem Stimmzettel der KPD. Am Vorabend des deutschlandweit und auch international am zweiten Sonntag im September begangenen offiziellen „Tags der Opfer des Faschismus“ sprach er im Hellersaal in Nürtingen über seine KZ-Erlebnisse. In der Zeit vom 1. Februar bis 31. Mai 1946 war er für die Militärregierung als "Investigator" in der "Evaluation Unit" der "Special Branch" tätig. Dabei hatte er im Rahmen der Entnazifizierung Personen, Fragebögen und Denunziationen zu prüfen und Empfehlungen für die weitere Verwendung der Betroffenen auszusprechen.

Werner Groß, im Besitz des vom "Chef der deutschen Polizei Stuttgart" ausgestellten "großen KZ-Ausweises", stellte am 1. Dezember 1947 einen Antrag auf Wiedergutmachung. Seine Haftzeit hatte mehr als zehn Jahre betragen. Als Haftfolgen machte er gesundheitliche Schäden wie Zahnverlust, Leistenbruch und Lungen-TBC geltend. Da im Wiedergutmachungsverfahren die Entschädigung für die Entziehung der Freiheit in voller Höhe nur ausbezahlt wurde, wenn die Mittel für den Hausbau verwendet wurden, entschloss sich Werner Groß, der noch in der Werkswohnung des Zementwerks wohnte und nach dem Tode seines Vaters die Kündigung zu befürchten hatte, zum Bau eines Eigenheims. Es war vom Typ 8,50 x 10 m und wurde im Nürtinger Stadtteil Oberensingen errichtet. Er sollte das Haus jedoch nie bewohnen.

Werner Groß plagten dauerhaft die gesundheitlichen Probleme, die er sich in der Lagerhaft zugezogen hatte, psychisch litt er unter den traumatischen Erlebnissen – und es nagten in ihm zunehmend grundsätzliche politische und weltanschauliche Zweifel. Enttäuscht von den politischen Entwicklungen der Nachkriegszeit trat er 1948 aus seiner Partei, der KPD, aus. Am 20. September 1950 gab er sein Mitgliedsbuch der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), deren politische Ausrichtung nicht mehr seinen Vorstellungen entsprach, an die Kreisstelle Nürtingen zurück. Seine politische Enttäuschung stürzte ihn in eine Sinnkrise. An die Redaktion des kommunistischen Zeitungsverlags "Freies Volk" schrieb er am 22. November: "Die Erkenntnis, die besten Jahre seines Lebens und seine Gesundheit nutzlos einer Sache geopfert zu haben, schmeckt bitter!" Eine Woche später, am 29. November 1950, starb Werner Groß bei einem Mopedunfall. Er hatte sich auf dem Rückweg vom Richtfest seines neuen Hauses in Oberensingen befunden.

Die Markierung auf der Übersichtskarte zeigt Werner Groß' Wohnadresse Metzingerstraße 45 in 72622 Nürtingen.


Quellen und Literatur

ITS Digital Archive, Arolsen Archives
1.1.6.2 Individuelle Unterlagen Dachau / Werner Groß
5.3.3 Todesmärsche / Rekonstruktion des Verlaufs und der Geschehnisse um Todesmärsche
Korrespondenzakte T/D 1144875

Bundesarchiv
R 3017/31072

Staatsarchiv Ludwigsburg
E 356 d V Bü 1478 (Gefangenenpersonalakten, Strafprozess 1937-1938)
EL 350 I Bü 1565
FL 300/33 I Bü 17471
EL 350 I Bü 4662

Angela Borgstedt: Groß, Werner, in: Württembergische Biografien, Band II, S. 84-86; auch online auf: leo-bw.de.

Gedenkinitiative für die Opfer und Leidtragenden des Nationalsozialismus in Nürtingen 2021: Werner Groß, ein Leben zwischen Widerstand und Hoffnung (https://www.gedenken-nt.de/dokumente/werner-gross).

Joachim Schlör: "In einer Nazi-Welt lässt sich nicht leben". Werner Gross – Lebensgeschichte eines Antifaschisten (LUI-Tübingen). Tübingen 1991.


© Text und Recherche:
Roland Maier, Stuttgart
Stand: November 2024
www.kz-mauthausen-bw.de