Otto Wisst (1912 - 1986)
„... schwer damit abgefunden, dass der Kommunismus nicht mehr zum Ziel kam“
02.08.1935 Festnahme
02.02.1937 Verurteilung wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“
02.11.1938 Gestapogefängnis Welzheim
18.01.1939 KZ Dachau
29.09.1939 KZ Mauthausen
Otto Wisst wurde am 23. September 1912 in Köngen/Neckar (Oberamt Esslingen) geboren. Die Eltern waren der Schlosser Friedrich August Wisst (geb. 1886) und seine als Hausfrau tätige Ehepartnerin Anna Katharina (geb. 1888). Otto hatte sechs Geschwister. Er besuchte die Volksschule in Köngen, ab 1926 die Gewerbeschule in Esslingen und ließ sich zum Bauschlosser ausbilden. Vor dem Jahr 1934 war er ein halbes Jahr lang arbeitslos. Seit März 1934 arbeitete er als Bauschlosser und Schweißer beim Glasdachwerk der Firma Eberspächer in Oberesslingen. Er wohnte ab 1931 zeitweilig in Wendlingen in der Bismarckstraße 42, anschließend im Nachbarort Köngen in der Eulenbergstraße 5.
1929 wurde er Mitglied des Arbeiter-Turn- und Sportvereins „Eintracht“ in Köngen und betätigte sich dort auch als Unterkassier des Vereins. Er war 1929 ein halbes Jahr Mitglied bei der Sozialistischen Arbeiter-Jugend (SAJ) und trat dann im März 1930 zur Kommunistischen Jugend (KJ) in Köngen über. Im selben Jahr schloss er sich mit der Kampfsportabteilung des Vereins „Eintracht“ der Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit an. Dem roten Sportverein in Köngen gehörten u.a. Josef Luger und Willi Zimmermann an. Im Sommer 1932 wurde Otto Wisst Mitglied des Kampfbundes gegen den Faschismus und der Roten Hilfe. Er nahm an Versammlungen und Demonstrationen teil, verteilte Schriften und klebte kommunistische Plakate. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 traf er sich bei Ausflügen und klandestinen Zusammenkünften mit Gleichgesinnten. Gegenüber einem von der illegalen Kommunistischen Partei (KPD) an ihn herangetragenen Ansinnen, bei seiner Firma eine kommunistische Zelle zu bilden, verhielt er sich wegen der damit verbundenen Gefahren reserviert. Überhaupt scheint er sich – abgesehen von Kurierdiensten zur Verteilung von Propagandamaterial und der Zahlung von Parteibeiträgen – aus der illegalen politischen Arbeit eher etwas zurückgezogen zu haben. Er versprach aber, nach außen Stillschweigen zu bewahren.
Am 2. August 1935 wurde Otto Wisst vorläufig festgenommen; im Oktober erging Haftbefehl wegen der Beschuldigung der Vorbereitung zum Hochverrat in Tateinheit mit gemeinschaftlichen Verbrechens gegen das Gesetz gegen die Neubildung von Parteien. In der Anklageschrift hieß es: „Er hat sich, wie er selbst angibt, schwer damit abgefunden, dass der Kommunismus nicht mehr zum Ziel kam.“ Am 2. Februar 1937 verurteilte ihn das Oberlandesgericht Stuttgart wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu drei Jahren und drei Monaten Zuchthaus, abzüglich der Untersuchungshaft. Außerdem wurde er zu drei Jahren Ehrverlust verurteilt. Insgesamt 17 der illegalen KPD zuzurechnende Personen aus der Region, darunter Werner Groß, Josef Luger, Willi Zimmermann und Theodor Schönleber wurden bei dem Verfahren wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" verurteilt.
In der Haft schilderte Otto Wisst sein inkriminiertes Tun wie folgt: „Im Januar 1935 schickte mich Pfeiffer [Ernst Wilhelm Pfeiffer, geb. 1909] nach Kirchheim, wo ich von einem Unbekannten illegales Material für Pfeiffer erhielt. Später bekam ich das Material von Müller [Eugen Müller, geb. 1917] und Zimmermann [Willi Zimmermann, geb. 1912], brachte aber alles Pfeiffer, welcher dann auch mir davon abgab, zum Teil für mich, zum Teil für Geßmann [Werner Geßmann, geb. 1912]. Außerdem war ich mit Zimmermann, Bächtle [Robert Bächtle, geb. 1911] und Eisele W. [Wilhelm Eisele, geb. 1907] am Oetlinger Wald, wo wir von einem Mann [Theodor Schönleber, geb. 1909] aufgefordert wurden, in Köngen illegal zu arbeiten, lehnte aber ab sowie auch die andern. Außerdem bezahlte ich 1,40 RM Beitrag. Grund: alles waren frühere Kameraden, und wollte deshalb nicht als Feigling bei ihnen gelten. Ich habe nie daran gedacht, die Regierung zu stürzen.“ Sämtliche von Wisst genannte Personen waren den NS-Verfolgungsbehörden bereits bekannt gewesen und zusammen mit ihm verurteilt worden.
Seine Strafe verbüßte Otto Wisst im Zuchthaus Ludwigsburg und ab Mitte April 1937 im Justiz-Strafgefangenenlager II Aschendorf an der Ems. Danach kam er nicht frei, sondern wurde der Stuttgarter Gestapo auf deren Verlangen hin übergeben, die ihn am 2. November 1938 in ihr Gefängnis in Welzheim brachte. Als der Schutzhaftbefehl vom Berliner Reichssicherheitshauptamt eingetroffen war, kam er von dort am 18. Januar 1939 in das Konzentrationslager Dachau (Schutzhäftling Nummer 32170).
Im Zusammenhang mit der temporären Umnutzung des Lagers Dachau für Ausbildungszwecke der SS wurde er im September 1939 in das Konzentrationslager Mauthausen überstellt (Schutzhäftling Nummer 1434). Wisst: "Ich kam am 29. September 1939 mit einem Transport von 1600 Häftlingen von Dachau nach Mauthausen. Wir kamen in der Nacht gegen 11 oder halb 12 Uhr an und wurden dann auf die leeren Blöcke verlegt [...] Der Bruder meines Kameraden Otto Wahl [Paul Wahl] war schon hier Blockältester, er hatte uns abends in Empfang genommen, resp. in der Nacht und hat uns gesagt, dass hier Schweißer gesucht werden. Am anderen Morgen trat Oberscharführer Streitwieser [Anton Streitwieser 1916-1972] als Arbeitsdienstführer vor die Häftlinge und hat aufgerufen, wer Autogenschweißer ist, soll sich melden. Daraufhin haben sich 18 beim Jourhaus gemeldet. Er erklärte sofort, wenn sich ein Häftling meldet der sich als Schweißer ausgibt und kein Schweißer ist der bekommt 25 Stockhiebe. Wir mussten dann drunten im Heizraum eine Schweißprobe machen, die von 2 Zivilisten der Firma Bost [Boos?] aus Köln abgenommen wurde [...]. Ich kam als letzter an und wurde dann als erster Schweißer aufgenommen. Dafür musste aber mein Kamerad Otto Wahl ausscheiden. Es bestand Gefahr, dass er in den Steinbruch musste. Aber dann brauchten die Installateure noch einen Schweißer und so hatte er das Glück hier im Lager unterzukommen.“
In Mauthausen wurde Wisst zusammen mit seinem Genossen Otto Wahl in Block 9 untergebracht und wie dieser als Bauschlosser-Facharbeiter im Kommando Heizungsbau eingesetzt. Hier hatte er u.a. Rohrleitungen in den SS-Garagen zu verlegen. Im KZ Mauthausen war er dauerhaft als Schweißer bei der Kölner Installationsfirma beschäftigt. Unterbrochen wurde diese Tätigkeit durch Aufenthalte im Krankenrevier. Im August 1941 wurde er zusammen mit weiteren deutschen Häftlingen auf Wehrtüchtigkeit gemustert.
Am 15. März 1945 wurde er vom Heizungsbau abgezogen. Der Grund hierfür dürfte gewesen sein, dass er für den militärischen Einsatz in der Kriegsendphase auserkoren worden war, denn zehn Tage später, am 25. März 1945, wurde er mit einer Gruppe von zwanzig als „Lagerpolizisten“ deklarierten deutschen Häftlingen in das Außenkommando Wels überstellt. Nach neuntägiger militärischer Ausbildung dort wurde diese zwanzigköpfige „Lagerpolizei“-Gruppe am 4. April 1945 vom Außenkommando Wels in das Stammlager Mauthausen rücküberstellt. Am 8. April 1945 wurde Wisst schließlich zusammen mit 109 weiteren deutschen Häftlingen, die sämtlich dazu bestimmt waren, in der Kriegsendphase als Kombattanten in einer SS-Kampfeinheit eingesetzt zu werden, formell aus dem KZ Mauthausen entlassen. Diese SS-Einheit wurde von Otto Wisst später als „Marschbataillon Ziereis“ (nach dem KZ-Kommandanten Franz Xaver Ziereis) bezeichnet. Zu einem Kampfeinsatz kamen die Angehörigen dieser Formation, zu welcher u.a. auch Otto Wahl zählte, aufgrund des raschen Vorrückens der US-Truppen nicht mehr.

Als der Internationale Suchdienst (ITS) in Arolsen in seiner Inhaftierungsbescheinigung für Otto Wisst nach Auswertung der verfügbaren Dokumente vom 5. September 1951 schrieb, dass dieser bereits am 8. April 1945 aus dem KZ Mauthausen entlassen wurde, widersprach der Betroffene dieser Feststellung entschieden. Darauf Bezug nehmend schrieb Wisst: „... teile ich Ihnen mit, dass es für mich eine große Neuigkeit war zu erfahren, dass ich offiziell am 8.4.45 aus dem KZ Mauthausen entlassen worden sein soll. [...] Meiner Auffassung nach hätte ich dann mindestens einen Entlassungsschein und meine Zivilkleider erhalten müssen. Ich kann mir diese Terminangabe nur so erklären, dass meine Einziehung zum sogen. Marschbattl. Ziereis als Entlassung angesehen werden soll. Die amtl. Stelle, welche Ihnen die Auskunft gab, dürfte aber genau wissen, dass keiner der ehem. Häftlinge aus dem Lager entlassen wurde, sondern daselbst eine Ausbildung mitmachen musste. Dass die Einziehung unter Zwang erfolgte, ist jederzeit durch Zeugen nachzuweisen“ [Abk. i. Orig.]. Wisst beharrte auf seiner Sicht des fraglichen Vorgangs: „Ich wurde am 5. Mai 1945 von den alliierten Truppen befreit“. Sehr wahrscheinlich war er wie andere Mitglieder seiner SS-Sondereinheit vorübergehend in US-Kriegsgefangenschaft gekommen und aus dieser dann nach Hause entlassen worden.
Zurückgekehrt in die Heimat am 18. Mai 1945, erhielt er am 27. Juli eine Anstellung beim Arbeitsamt Esslingen am Neckar als Arbeitsvermittler. Im Mai 1946 heiratete er die 1923 in Kempten geborene Hildegard Viktoria Zöllinger. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor (1947, 1950 und 1958).
In seinem Wiedergutmachungsverfahren kämpfte Otto Wisst lange Jahre um die Anerkennung der durch die KZ-Haft zugezogenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen wie chronische Bronchitis, Herzinsuffizienz und Rheumatismus. Erholungskuraufenthalte in Bad Wildbad wurden ihm zwar zugestanden, doch noch im Jahr 1979 bemühte er sich – mit Erfolg – um die Ermittlung der Identität des ihn im KZ Mauthausen behandelnden SS-Arztes für ein noch immer anhängiges Entschädigungsverfahren.
Die durchgestandenen 116 Monate politischer Haft wurden schon früh anerkannt. Es wurden ihm als Entschädigung 14.400 DM zugestanden. Die Auszahlung des Betrags war allerdings an die Bedingung geknüpft, dass das Geld in einen Eigenheimbau investiert wurde. Wie auch in etlichen anderen Fällen wollte die Landesregierung auf diese Weise verhindern, dass die Mittel für gegnerische politische Zwecke verwendet wurden und gleichzeitig die stärkere bürgerliche Integration kommunistischer Oppositioneller fördern. In diesem Zusammenhang sah sich die Kreissparkasse Nürtingen genötigt, beim Amt für die Wiedergutmachung nachzufragen, ob es der Wahrheit entspreche, dass Otto Wisst mit dem Wiedergutmachungsgeld ein Zweifamilienhaus zu bauen beabsichtige. In diesem Falle, „könnte die Finanzierung des Vorhabens als gesichert angesehen werden“. Doch wurden die bürokratischen Vorgaben streng gehandhabt, wie aus der Antwort der Landesbezirksstelle für die Wiedergutmachung vom 3. Februar 1950 hervorgeht: „ [...] teilen wir Ihnen mit, dass auf Anordnung des Staatsministeriums die Auszahlung der 2. Rate der Haftentschädigung zum Zwecke des Wohnungsbaues ausschließlich durch die Vermittlung der Landeskreditanstalt zu erfolgen hat. Die Überweisung des Restbetrages an dieses Kreditinstitut, das auch die Verantwortung für die bestimmungsmäßige Verwendung des Betrages übernimmt, kann in jedem Fall erst dann erfolgen, wenn die erforderlichen Bauunterlagen vorgelegt werden.“
Dabei war es zunächst auch unkomplizierter gegangen. Im Sommer 1948 beispielsweise hatte die Landesbezirksstelle für die Wiedergutmachung Stuttgart Wisst die erfreuliche Mitteilung machen können: „Durch OMGUS [US-Militärregierung] erhielten wir aus dem Erlös von zwei Schweizer Filmen einen größeren Betrag, der zur Unterstützung ehemaliger KZ-Insassen bzw. hinterbliebener Kinder bis zum 21. Lebensjahr bestimmt ist.“ Wisst erhielt aus diesem Fonds für Anschaffungen einen Betrag von 500.- RM.
1956 beantragte Wisst eine „Soforthilfe für Rückwanderer“ in Höhe von 6000.- DM. Der Antrag wurde zunächst mit der Begründung zurückgewiesen, dass in diesem Fall keine „Deportation“ vorgelegen habe, da Mauthausen damals innerhalb der Reichsgrenzen lag. Die Rechtslage für ehemalige Mauthausen-Häftlinge verbesserte sich in dieser Hinsicht erst mit dem sogenannten BEG-Schlussgesetz vom 14. September 1965.
Politisch blieb Otto Wisst aktiv. 1948 gab er den Anstoß für die Neugründung der Wendlinger Ortsgruppe der Naturfreunde e.V. 1955 war er Gründungsmitglied der Lagergemeinschaft Mauthausen in der Bundesrepublik. Er nahm an Befreiungsfeiern in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen teil. U.a. gab er bei einer solchen Gelegenheit am 6. Mai 1965 in Form eines Interviews in der ehemaligen Lagerkommandantur Mauthausen als einer der frühen ehemaligen politischen Häftlinge Erinnerungen an die Anfangszeit des Lagers zu Protokoll.
Otto Wisst lebte nach dem Krieg in der Hindenburgstraße 5 in Wendlingen. Er starb am 16. Dezember 1986 in Nürtingen.
Am 28. August 2023 wurde in Wendlingen in der Bismarckstraße 42 ein Stolperstein für Otto Wisst verlegt.
Die Markierung auf der Übersichtskarte zeigt Otto Wissts Wohnadresse vor seiner Verhaftung: Eulenbergstraße 5 in Köngen (Landkreis Esslingen).
Quellen
ITS Digital Archive, Arolsen Archives
DocID: 1841746 (Otto WISST, Mauthausen)
DocID: 10782456 (Otto WISST, Dachau)
DocID: 130429816 (Zugangsbuch Dachau)
TD 626851
Bundesarchiv
R 3017/31072
R 3001/181834
Staatsarchiv Ludwigsburg
EL 350 I Bü 1012
E 356 d V Bü 1479
FL 300/33 I Bü 4292
K 50 Bü 4737
Hans Maršálek: Interview mit Otto Wisst, Transkription eines Tonbandinterviews, 6.5.1965, AMM V/03/02.
Hans Maršálek: Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen. Wien Linz 3. Aufl. 1995, S. 253, 323.
Amtsblatt der Stadt Wendlingen am Neckar v. 25.8.2023: Stolpersteine, Einladung zur Erstverlegung am 28. August.
Gaby Kiedaisch: Bewegende Schicksale in Wendlingen nach über 80 Jahren zutage gefördert. Die Arbeitsgruppe Stolpersteine des Bürgervereins Wendlingen machte sich auf Spurensuche: Über die NS-Opfer Charlotta Hammelehle, Otto Wisst und Emma Kanzleiter konnten sie vieles aus Archiven und Interviews von Angehörigen zusammentragen. NTZ v. 29.08.2023.
Bürgerverein Wendlingen am Neckar e.V.: Stolpersteine Wendlingen, Erstverlegung 28. August 2023, Flyer mit biografischen Angaben zu Otto Wisst.
© Text und Recherche:
Roland Maier, Stuttgart
Stand: Dezember 2024
www.kz-mauthausen-bw.de