Bruno Lindner (1899 - 1978)
Kommunist, Mitbegründer der Lagergemeinschaft Mauthausen
07.11.1940 Verhaftung in Frankreich
12.06.1941 KZ Buchenwald
12.06.1942 Hausgefängnis Gestapo München
22.10.1942 12 Jahre Zuchthausstrafe
08.01.1944 KZ Mauthausen
05.05.1945 Befreiung im KZ Mauthausen
Bruno Julius Lindner wurde am 24. Dezember 1899 in Schwäbisch Gmünd geboren. Die Eltern waren Rudolf – ein überzeugter Sozialist – und Rosalie Lindner. Bruno hatte zwei Brüder, Otto Rudolf (geb. 1891; am 18.8.1944 von der SS in Norwegen erschossen), und Hans (geb. 1902). Bruno besuchte die katholische Seminar-Übungssschule in seiner Geburtsstadt und begann 1913 eine Berufsausbildung zum Goldschmied, die er aber wegen kriegsbedingter Schließung seines Ausbildungsbetriebs nicht abschließen konnte. Nach einem Intermezzo als Eisenbahnassistenzanwärter auf der Bahnstation Gmünd arbeitete er bis zu seiner Einberufung zum Militärdienst als technischer Zeichner im Baubüro der Rheinischen-Elektrischen Gesellschaft in Gmünd. Am Ersten Weltkrieg nahm er vom Juni 1917 bis November 1918 im Infanterie-Regiment 479 teil. Er war an Kämpfen in Belgien und Nordfrankreich beteiligt und wurde mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse dekoriert. Nach dem Krieg arbeitete er wieder bei seinem bisherigen Arbeitgeber als Zeichner. In der wirtschaftlichen Krisenzeit der 1920er Jahre war er öfter arbeitslos und musste sich mit Hilfsarbeiten und Gelegenheitsaufträgen als technischer Zeichner und Illustrator durchschlagen. 1925 zog Lindner vorübergehend von Gmünd nach Stuttgart, wo er in der Neuen Stuttgarter Straße 16 im Stadtteil Botnang wohnte. Offenbar trug er sich damals mit dem Gedanken, nach Nordamerika auszuwandern, zumindest nannte er dies als Grund für die Beantragung eines Reisepasses. Seit 1931 war er mit Cäcilie Wagner verheiratet. Die Ehe, aus der zwei Kinder hervorgingen, wurde 1937 geschieden.
Lindner, der sich schon 1914 der sozialdemokratischen Freien Sozialistischen Jugend angeschlossen hatte, wurde 1919 Mitglied der neugegründeten Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Die Tätigkeit für diese Partei und ihre Nebenorganisationen sollte fortan für sein Leben bestimmend werden.
Nachdem 1923 in Württemberg der Ausnahmezustand verhängt und Versammlungen unter freiem Himmel sowie sämtliche Organisationen und Einrichtungen der KPD verboten worden waren, kam Bruno Lindner etwa drei Monate wegen seiner Tätigkeit bei der Kommunistischen Jugend in Schutzhaft in Ulm. Im Jahr darauf wurde er erneut politisch belangt. Die Justiz hielt es für erwiesen, dass Lindner an einer jungkommunistischen Geheimversammlung teilgenommen hatte: An einem Sonntagnachmittag im Januar 1924 waren etwa 20 bis 30 kommunistische Jugendliche an einem freien Platz beim Wasserfall im Vogelwald der Markung Gmünd zusammengekommen. Dabei soll Alfred Haag eine politische Ansprache gehalten und Bruno Lindner ein „die Bestrebungen der kommunistischen Partei verherrlichendes“ Gedicht vorgetragen haben. Einige der teilnehmenden Jugendlichen wurden freigesprochen, andere verurteilt. Lindner kam am Ende mit einer Geldstrafe von 42 Reichsmark davon.
Lindner, der in der Endzeit der Weimarer Republik als Vertreter der KPD im Gmünder Gemeinderat saß, sollte nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten als „berüchtigter Kommunistenführer“ am 11. März 1933 in Schutzhaft genommen werden. Der drohenden Verhaftung entzog er sich, indem er bereits fünf Tage zuvor von Gmünd wegging und in Stuttgart untertauchte, wo er zeitweilig in einem Gartenhäuschen lebte. Von Ende Oktober 1934 bis Mai 1935 hielt er sich illegal in München auf, wo er sich als illegaler Funktionär der KPD und der Roten Hilfe betätigte. Danach floh er nach Basel in die Schweiz. Über die Niederlande stieß er schließlich im Oktober 1936 zur XI. Internationalen Brigade im Spanischen Bürgerkrieg und gehörte dem Bataillon „Thälmann“ an. Anfang November nahm er an den Kämpfen am Cerro de los Ángeles südlich von Madrid teil und war danach als Topograph und politischer Instrukteur beim Stab der XI. Brigade tätig. Im Frühjahr 1938 hielt er sich in Barcelona auf, verließ dann Ende April Spanien und begab sich nach einem kurzen Zwischenaufenthalt in Paris nach Belgien in die Emigration.
Beim deutschen Angriff auf Belgien wurde er am 10. Mai 1940 als feindlicher Ausländer in Brüssel durch die belgische Gendarmerie interniert und in das südfranzösische Lager Saint-Cyprien verbracht. In diesem Lager waren hauptsächlich Internationalisten, die nach dem Sieg Francos im Spanischen Bürgerkrieg aus dem benachbarten Spanien geflohen waren. Von dort wurde er im September in das ebenfalls in Südfrankreich gelegene Internierungslager Gurs überführt. Das Lager unterstand der von Deutschland abhängigen Vichy-Regierung. Durch Bekanntmachung im Deutschen Reichsanzeiger vom 28. Oktober 1940 wurde ihm die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt. Gleichwohl wurde er wenige Tage darauf, am 7. November 1940 auf Verlangen des Reichssicherheitshauptamts beziehungsweise der Gestapo, die offenbar ein spezielles Interesse an seiner Person hatte, von der Garde Mobile festgenommen, über die das unbesetzte vom besetzten Frankreich trennende Demarkationslinie gebracht und der deutschen Feldpolizei übergeben. Etwas anders stellte der Volksgerichtshof später den Vorgang dar. Demnach „stellte sich“ Lindner „am 19. November 1940 den deutschen Behörden“. Tatsächlich datiert auf diesen Tag ein Schutzhaftbefehl gegen Lindner, „Grund: Emigriert; Rotspanienkämpfer“. Am 23. November wurde er in das Gefängnis in Trier eingeliefert und danach der Gestapo in München „wegen Verdachts der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“ überstellt, wie es dann seitens der Justiz - abweichend von der Gestapo-Schutzhaftbegründung - heißen sollte. Die örtliche Zuständigkeit der Stapoleitstelle München deutet darauf hin, dass für die Verfolger vor allem Lindners illegale Aktivitäten während seiner Münchner Zeit im Zentrum standen.
Lindner wurde vom Reichssicherheitshauptamt (RSHA) am 12. Juni 1941 ins KZ Buchenwald eingewiesen (Schutzhäftling Nummer 4910). Nach zwei Monaten in der Strafkompanie im Steinbruch wurde er als Schreiber in einer Reparaturschlosserei eingesetzt. Exakt nach einem Jahr wurde er in Buchenwald wieder entlassen und in das Hausgefängnis der Münchner Gestapo überstellt. Danach kam die Justiz zum Zuge. Diese hatte bereits seit 1936 in Zusammenarbeit mit der Bayerischen Politischen Polizei beziehungsweise Gestapo gegen den als „flüchtig“ bezeichneten Lindner sowie zahlreiche weitere Münchner Kommunistinnen und Kommunisten ermittelt. Gegen diese folgten dann auch etliche Verurteilungen in den 1930er Jahren wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“.
Das Hochverratsverfahren gegen Lindner war vom Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof Berlin eingeleitet und geführt worden. Dominiert wurde das Verfahren spätestens seit der Gestapo-Schutzhaftverhängung gegen Lindner vom Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlin. Auf dessen Weisung gab denn auch der Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof im September 1941 das Verfahren und das bisherige Ermittlungsergebnis an das Oberlandesgericht München ab. Letzterem wurde vom RSHA auferlegt, „dass das Verfahren gegen Lindner im Sonderstrafverfahren“ durchgeführt wird. Entsprechend wurde die staatsanwaltschaftliche Korrespondenz mit dem roten Stempel „Geheim“ versehen. Sogar das spätere 20-seitige Gerichtsurteil trug den „Geheim“-Vermerk.
Am 22. Oktober 1942 verurteilte das Oberlandesgericht München Lindner zu zwölf Jahren Zuchthaus wegen Vorbereitung zum Hochverrat. Auf die Strafe wurden eineinhalb Jahre „der erlittenen Haft“ angerechnet (das Gericht bemühte eine neutrale Formulierung, da KZ-Haft wohl kaum im juristischen Sinne als „Untersuchungshaft“ gelten konnte). Einen Teil seiner Justizstrafe – ein Jahr und einen Monat – saß Lindner im bayrischen Zuchthaus Kaisheim ab, bis die Gestapo erneut ihre dominante Stellung geltend machte, indem sie Lindner für sich reklamierte und ihn der Justizhaft entzog um ihn ins Konzentrationslager zu verschleppen. Da das Geheimurteil gegen Lindner nicht weiter bekannt war, dürfte dieser staatspolizeiliche Rechtsbruch – eigentlich eine Verhöhnung der Justiz - einigermaßen unproblematisch vonstatten gegangen sein.
Am 8. Januar 1944 traf Lindner im KZ Mauthausen ein und erhielt die Häftlingsnummer 41908 „D.R. Sch.“ (Deutsches Reich Schutzhaft). Nach dem Wohnortsprinzip zuständig für ihn war nun statt der Stapoleitstelle München die württembergische Stapoleitstelle Stuttgart, die auch als einweisende Stelle genannt wurde. Zum Arbeitseinsatz kam er als technischer Zeichner im KZ-Baubüro. Am 5. Mai 1945 im KZ Mauthausen befreit, erhielt er Ende des Monats einen Ausweis als ehemaliger Mauthausen-Häftling und konnte die Heimreise antreten.
Da er bei seiner Rückkehr nach Schwäbisch Gmünd Anfang Juni 1945 nichts mehr wiederfand, was er sein eigen nennen konnte, wohnte er bei seinen Eltern bis zur seiner Wiederverheiratung im März 1946. Ehefrau war die 1898 geborenen Gertrud, geborene Braun, die eine mündige Tochter mit in die Ehe brachte.
Einen Arbeitsplatz fand er als Kassenleiter der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Schwäbisch Gmünd.
Am 10. Oktober 1945 erhielt er den „Großen KZ-Ausweis“ für politisch Verfolgte und wurde vom Landesausschuss Württtemberg-Baden der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) als politisch Verfolgter anerkannt. Einen formellen Wiedergutmachungsantrag stellte er am 9. November 1947. Die Internierung nach dem Spanischen Bürgerkrieg in den Lagern St. Cyprien und Gurs galt nicht als entschädigungsfähig, da diese nicht auf Veranlassung der deutschen Regierung erfolgt war.
Lindner engagierte sich auch nach dem Krieg weiter für die Rote Hilfe und die KPD. Er war Kreisvorsitzender der VVN in Schwäbisch Gmünd und öffentlicher Anwalt für die Wiedergutmachung in den Kreisen Schwäbisch Gmünd und Waiblingen. Als nach wenigen Jahren dieses staatliche Amt aufgehoben wurde, zog er nach Stuttgart, um hier bei der Landesgeschäftsstelle der VVN mitzuarbeiten.
Im Juni 1951 konnte Lindner eine Dreizimmerwohnung des Gemeinnützigen Bau- und Wohlfahrtsvereins Stuttgart in der Abelsbergstraße 78 in Stuttgart-Ost beziehen. Es handelte sich um eine Wohnung, die ihm aufgrund der Gewährung eines Baudarlehens aus seiner Haftentschädigung zugewiesen wurde. Seit seinem Umzug von Gmünd war er in Stuttgart bis zu seiner Invalidisierung 1964 als Sachbearbeiter bei der VVN tätig. Auch war er Mitglied des Landesvorstandes der VVN Baden-Württemberg. Daneben betätigte er sich als Bildungsleiter bei den Naturfreunden im Stuttgarter Osten. Er war Mitbegründer und Geschäftsführer der westdeutschen Lagergemeinschaft Mauthausen sowie der Gemeinschaft der ehemaligen republikanischen Spanienfreiwilligen in der BRD. Bei den Landtagswahlen 1956 war er Spitzenkandidat der KPD.
Weil Lindner sich nach dem Verbot der KPD 1956 angeblich weiter für diese Organisation betätigte, war seine Wiedergutmachung für die erlittene NS-Verfolgung gefährdet. Die Kriminalpolizei beim Polizeipräsidium Stuttgart meldete am 17. Februar 1958 „Betr.: Entschädigungssache Bruno Lindner“, dieser sei Gesellschafter einer gewissen „Druckmaschinenpacht GmbH“ gewesen, einer von der verbotenen KPD eingesetzten Tarnzentrale im Sektor Druck und Verlag. „Die Gesellschafter, u.a. auch Lindner, dieser Tarnfirma waren linientreue und in der agitatorischen Parteiarbeit erprobte Altkommunisten, die den übertragenen Tarnauftrag des Parteivorstandes in eiserner Parteidisziplin durchführten.“ Zwar habe die fragliche Firma mit der Herstellung und dem Vertrieb kommunistischer Druckerzeugnisse nichts zu tun, sie diene aber dazu, Parteigelder dem staatlichen Zugriff zu entziehen. Die Person Lindner betreffend, vergaß die Kripo auch nicht, zu seinen Ungunsten herauszustellen, dass dieser im Spanischen Bürgerkrieg gekämpft habe und 1942 zu zwölf Jahren Zuchthaus wegen Vorbereitung zum Hochverrat verurteilt worden sei. Allem Anschein nach waren die Ermittlungen der Stuttgarter Kripo mehr von antikommunistischen Ressentiments als von Fakten geleitet. Denn der damalige Beauftragte des Bundesministers des Innern für die Einziehung des KPD-Vermögens musste gegenüber dem Landesamt für die Wiedergutmachung Stuttgart klarstellen, dass Lindner anders als von der Kripo behauptet, nicht Gesellschafter der Tarnfirma war. Es blieb lediglich der Umstand, dass Lindner der Firma ein Scheindarlehen gewährt und „die kommunistische Pressearbeit aktiv gefördert“ habe. Gleichwohl wurden bereits ergangene Wiedergutmachungsbescheide für Lindner widerrufen und ihm zuerkannte Ansprüche galten als „verwirkt“.
Eine Wende in der Angelegenheit trat erst ein, als die VVN Ende 1965 beantragte, über die Wiedergutmachung neu zu entscheiden. Begründung: Lindner habe lediglich vor dem Verbot der KPD deren Ziele vertreten ohne dabei gegen die allgemeinen Strafgesetze zu verstoßen. Schlussendlich wurde Lindner wieder als wiedergutmachungsberechtigt eingestuft. Zuletzt erhielt er neben einigen anderen Leistungen am 1. März 1973 eine einmalige Härteausgleichszahlung von 1.969.- DM.
Nach dem Tod seiner Ehefrau im November 1972 lebte Lindner zurückgezogen und musste schließlich in das Altenheim auf der Rohrer Höhe umziehen. Er starb am am 24. August 1978 in einem Krankenhaus in Stuttgart.
Die Markierung auf der Übersichtskarte zeigt Bruno Lindners letzte Adresse vor seiner Illegalität und Emigration: Ackergasse 14 in Schwäbisch Gmünd.
Quellen und Literatur
ITS Digital Archive, Arolsen Archives
1.1.26.3 Individuelle Unterlagen Männer Mauthausen
1.1.5.3 Individuelle Unterlagen Männer Buchenwald
TD 250506
Staatsarchiv Ludwigsburg
F 215 Bü 139 (Passakte)
E 341 Bü 19 (Strafsache 1924)
EL 350 I Bü 1959
FL 300/33 II Bü 463 (Schlichter 1949-1950)
VVN-Archiv Stuttgart
WGA 86 / 2
Album IV
Grabreden: Gertrud Lindner; Bruno Lindner
Dank an Volger Kucher für Hinweise und Dokumente
Bundesarchiv
R 58/9687 (RSHA Karteikarte)
R 3018/11452
R 3018/12383
Hartmut Mehringer, Anton Großmann, Klaus Schönhoven: Bayern in der NS-Zeit, Bd. 5. Die Parteien KPD, SPD, BVP in Verfolgung und Widerstand. München 1983; zu Bruno Lindner S. 125, 132, 133, 134, 660.
© Text und Recherche:
Roland Maier, Stuttgart.
Stand: Oktober 2024
www.kz-mauthausen-bw.de