Christian Rinker (1913 - 1985)
"Ich war immer ein Schwächling"
03.03.1937 Verhaftung in Bad Cannstatt
18.12.1937 KZ Dachau
27.09.1939 KZ Mauthausen
18.04.1940 Außenlager Gusen
05./06.03.1945 in Gusen befreit
Christian Rinker wurde am 8. Dezember 1913 in Leutenbach (im heutigen Rems-Murr-Kreis) als Ältester von insgesamt sieben Kindern geboren. Er besuchte sieben Jahre die Volkschule, arbeitete danach zunächst als Hilfsarbeiter, dann bei dem Elektrokonzern AEG und in einer Druckerei als Bote. 1936 machte er den Führerschein und war anschließend als Fahrer beschäftigt.
Schon der Vater, Christian Rinker senior, gehörte den Zeugen Jehovas an. Als sich die Eltern aus religiösen Gründen weigerten, an der Reichstagswahl am 5. März 1933 teilzunehmen, wurde mit großen Lettern an ihr Scheunentor "Volksverräter" geschrieben. Der Vater, der als Vorarbeiter bei den Dachziegelwerken E.C. Spingler GmbH beschäftigt war, wurde im Februar 1937 auf Druck des fanatisch nationalsozialistisch gesonnenen Betriebsobmanns wegen seiner Überzeugung gekündigt. Arbeitslosenunterstützung erhielt er nicht, da seine Entlassung durch eigenes Verschulden erfolgt wäre.
Christian junior war 1923 als Zeuge Jehovas getauft worden. Er wurde am 3. März 1937 in Stuttgart-Bad Cannstatt von der Gestapo verhaftet, weil er Flugblätter mit einer Resolution gegen die Verfolgung der Zeugen Jehovas in Briefkästen geworfen und verbotene Literatur verteilt hatte. Bei den Verhören wurde er teilweise misshandelt und anschließend hielt ihn die Gestapo drei Monate in Einzelhaft fest. Am 9. Juni 1937 wurde er vom Sondergericht Stuttgart wegen "Betätigung für die Ziele der Ernsten Bibelforscher" zu neun Monaten Gefängnis verurteilt, die er im Gefängnis in Rottenburg absaß. Nach Strafende sollte er eine "Lossagungserklärung" unterschreiben, in der er seinem Glauben abschwören und sich verpflichten sollte, sich nicht mehr für die Internationale Bibelforschervereinigung zu betätigen. Als er dies ablehnte, brachte ihn die Gestapo Stuttgart sofort ins Polizeigefängnis Welzheim. Am 18. Dezember 1937 wurde er im KZ Dachau mit der Häftlingsnummer 13195 registriert. Dort kam er in die Strafkompanie und musste vorwiegend Erdarbeiten verrichten.
Im Zuge der vorübergehenden Räumung von Dachau wurde Christian Rinker am 27. September 1939 zusammen mit rund 1600 weiteren Dachau-Häftlingen, darunter sein Bruder Erwin (siehe Biografie) und zahlreiche weitere Glaubensgenossen, in das KZ Mauthausen überstellt (Häftlingsnummer 2241). Am 18. April 1940 kam er zusammen mit seinem Bruder Erwin nach Gusen, das erst ein Außenlager des KZ Mauthausen war, dann unter eigener Verwaltung stand, aber weiterhin zum Lagerkomplex Mauthausen gehörte. In Gusen erhielt Christian Rinker später die Häftlingsnummer 43336. Er wurde als Zimmermann beim Barackenbau eingesetzt. 1942 stürzte er bei einem Dachdeckerunfall drei Meter in die Tiefe. Mit einer Steißbeinverletzung und einer Gehirnerschütterung lag er vier Wochen im "Lagerlazarett". Nach der Befreiung durch US-amerikanische Soldaten am 5./6. Mai 1945 blieben Christian und Erwin zunächst in Gusen. Im Juni 1945 kamen sie nach Mauthausen und am 27. Juni, als die Übernahme des Lagers, das bisher von amerikanischen Militärbehörden verwaltet worden war, durch die Sowjetarmee anstand, wurden sie mit einem Teil der sich noch dort aufhaltenden Häftlinge mit Bussen nach München gebracht. Ein paar Tage später konnten Christian und Erwin Rinker dann mit der Eisenbahn Richtung Heimat fahren. Am 3. August 1945 trafen sie in Leutenbach ein.
Christian blieb vorerst bei den Eltern und half bis 1946 im elterlichen landwirtschaftlichen Betrieb. Danach war er bis 1962 als Lagerist bei verschiedenen amerikanischen Militärdienststellen und bei der Firma Fritz tätig. Er heiratete 1952 Lore Berta geb. Eberhardt und bekam mit ihr einen Sohn. Die Familie lebte nun in Stuttgart-Bad Cannstatt.
Von den Wiedergutmachungsbehörden erhielt Christian Rinker rasch und ohne größere bürokratische Hürden einige Soforthilfen für dringend benötigte Anschaffungen. Aber auch in seinem Fall zogen sich die Verhandlungen über weitere Wiedergutmachungsleistungen für den Freiheitsentzug und gesundheitliche Schäden bis Anfang der 1970er Jahre hin.
Die Erlebnisse in den KZ verfolgten ihn in seinen Träumen: Er "träume oft schwer, schreie nachts auf" und wache dann morgens erschöpft und deprimiert auf. Bis zu seinem Tod am 23. Juni 1985 litt er unter physischen und psychischen Folgen der KZ-Haft. Ohnehin grenzt es an ein Wunder, dass der nur 152 cm große und auch in Freiheit nie mehr als 50 kg wiegende Christian Rinker, der bescheiden von sich selber sagte: "Ich war immer ein Schwächling. Bin kein Held gewesen", 96 Monate KZ-Haft überlebte.
Die Markierung auf der Übersichtskarte zeigt den Geburtsort von Christian Rinker an (die damalige Adresse des elterlichen Hauses "Leutenbach Haus Nr. 90" existiert heute nicht mehr und ließ sich bisher auch nicht im heutigen Leutenbach verorten).
Quellen:
ITS Digital Archive, Arolsen Archives:
1.1.6.2 Individuelle Unterlagen Dachau/ Christian Rinker
1.1.6.7 Schreibstubenkarten Dachau/ Christian Rinker
1.1.26.3 Individuelle Häftlingsunterlagen Männer KL Mauthausen, Christian Rinker
Korrespondenzakte, Christian Rinker, TD 38742
Searching Dachau Concentration Camp Records in One Step (https://stevemorse.org/dachau/dachau.html)
Staatsarchiv Ludwigsburg:
EL 350 I Bü 2172
Bildnachweis: ITS Digital Archive, Arolsen Archives, 1.1.26.3 Individuelle Häftlingsunterlagen Männer KL Mauthausen, Christian Rinker, Dokument Nr. 1717091
© Text und Recherche:
Sigrid Brüggemann, Stuttgart
Stand: August 2021
www.kz-mauthausen-bw.de