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Ernst Jetter (1891 - 1975)

„Viele verdanken ihm heute, dass sie noch am Leben sind“

13.03.1933 bis 16.03.1934 Gefängnis Pforzheim, Lager Heuberg und Kislau
16.07.1934 bis 27.07.1934 Amtsgerichtsgefängnis
07.09.1934 bis September 1935 Amtsgerichtsgefängnis und Lager Kislau
20.04.1936 Amtsgerichtsgefängnis Pforzheim, U-Haft
29.09.1936 Landesgefängnis Ulm
26.03.1938 KZ Dachau
29.09.1939 KZ Mauthausen
08.07.1943 Mauthausen-Außenlager Linz I und III
05.05.1945 Befreiung

Ernst-Martin Jetter wurde am 14. September 1891 in Töss (heute Stadtkreis der Stadt Winterthur in der Schweiz) geboren. Er besuchte die Primarschule in Ingenbohl-Brunnen (Kanton Schwyz), und nach Abschluss der Sekundarschule begann er eine Berufsausbildung, die er 1910 mit der Fachprüfung als Drogist abschloss. Später gab er als erlernten Beruf „Kaufmann“ an. In den Jahren 1913 bis 1918 diente er beim 8. Württ. Infanterieregiment 126 in Straßburg Straßburg war damals Hauptstadt des deutsch verwalteten Reichslandes Elsaß-Lothringen. Seit 1917 war er wohnhaft in Pforzheim, Schwarzwaldstraße 79a, später Baumgärtnerstraße 1. Mit seiner Frau Klara hatte er zwei Töchter.

In der Zeit der Weimarer Republik zählte Jetter zu den Aktivisten der Kommunistischen Partei (KPD) in Pforzheim. Ab 1926 war er Inhaber einer Agentur für Rechtsberatung. Daneben betrieb er eine "Wäschevertretung", die Textilprodukte im ambulanten Verkauf anbot.

Am 13. März 1933 wurde er zusammen mit über 50 weiteren Nazi-Gegnern, überwiegend KPD-Mitgliedern, in Pforzheim festgenommen. Über das dortige Gefängnis kam er am 29. Mai 1933 in das Schutzhaftlager Heuberg auf der Schwäbischen Alb und zum Jahresende anschließend in die Haftanstalt Kislau (Landkreis Karlsruhe) bis zu seiner Entlassung am 16. März 1934. Es folgten weitere Inhaftierungen aus politischen Gründen, unterbrochen von kurzen Phasen der Freiheit.

Im April 1936 wurde Jetter wieder verhaftet und kam einen Monat später vor das Sondergericht Mannheim. Ihm wurde vorgeworfen, er habe sich am 19. April 1936 zwischen 18 und 19 Uhr in der Wirtschaft „Landsknecht“ in Pforzheim wie folgt geäußert: „In Deutschland sind schon mehr [an] „Hunger“ verreckt, als Sie wissen. Es dauert nicht mehr lang, bis der Kommunismus in Deutschland ans Ruder kommt. [...] Wir wollen einmal noch zwei Jahre warten, dann kann der Andere [gemeint war Adolf Hitler] verschwinden.“

Jetter war nach Ansicht der Staatsanwaltschaft durch die Zeugenaussagen eines Pforzheimer Kolonialwarenhändlers namens Jentner der Tat überführt: Dieser, so hieß es, genieße „einen guten Ruf; irgend etwas Nachteiliges ist über ihn nicht bekannt geworden. Der Zeuge war schon lange Zeit vor der nationalen Erhebung Anhänger des Nationalsozialismus. Der Angeschuldigte dagegen ist bereits wegen Untreue und Betrugs vorbestraft. Er war früher ein eifriger Anhänger des Kommunismus und betätigte sich als Rechtsberater der KPD in der Ortsgruppe Pforzheim. Er befand sich in der Zeit vom 11.3.1933 bis 3.3.1935 mit kurzer Unterbrechung im Schutzhaftlager. Die ihm zur Last gelegten Äußerungen entsprechen durchaus seiner inneren Einstellung. In dem Verhalten des Angeschuldigten ist eine Betätigung für die Ziele der verbotenen KPD zu erblicken; dagegen ist der Tatbestand eines hochverräterischen Unternehmens nach Sachlage nicht erfüllt.“

Dem Reichsanwalt beim Volksgerichtshof scheint dieser Anklage wegen Vergehens gegen das sogenannte "Heimtückegesetz" die Schärfe gefehlt zu haben. Er ordnete an, das Strafverfahren an den Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht Karlsruhe abzugeben. Resultat war, dass Jetter dann am 10. September 1936 doch noch wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ verurteilt wurde, und zwar zu einem Jahr und acht Monaten Haft, die er – abzüglich der in Untersuchungshaft verbrachten Zeit  – im Landesgefängnis Ulm zu verbüßen hatte.

Was folgte, war die routinemäßige „Korrektur“ der Justizstrafe durch die Gestapo. Sie holte Jetter an der Gefängnispforte ab und schickte ihn am 10. März 1938 in das KZ Dachau. Er erhielt die Häftlingsnummer 13728, Kategorie „2xKL. Sch.DR.“ (d.h. deutscher Schutzhäftling zum zweiten Mal im KZ). Über erlittene Misshandlungen berichtete Jetter später, „dass mir meine Zähne im KZ Dachau, im August oder September 1938 von einem Blockführer und zwar während der Arbeitszeit - Baukommando - eingeschlagen wurden. Als ich mich hierauf krank meldete, bekam ich als Arznei 25 Stockhiebe, d.h. 28 Stockhiebe, weil ich die ersten drei Stockhiebe nicht mitzählte.“

Mit dem 1.600 Häftlinge umfassenden Sammeltransport vom 27. September 1939 anlässlich der vorübergehenden Umnutzung des Lagers Dachau durch die SS kam er in das KZ Mauthausen, Häftlingsnummer 1404 „DR-Sch“. Jetter: "Mauthausen aber war so schrecklich, dass Dachau, gemessen an Mauthausen, noch relativ einigermaßen 'erträglich' war". Jetter  wurden Leitungsfunktionen im Rahmen der „Häftlingsselbstverwaltung“ zugeteilt. Lobende spätere Stellungnahmen von Mithäftlingen legen nahe, dass er die ihm zugewiesene relative Machtposition zum Vorteil seiner Leidensgenossen nützte. So konstatierte der österreichische ehemalige Häftling Johann Kanduth, der gemeinsam mit Jetter von Dachau nach Mauthausen transportiert worden war: Jetter wurde Blockältester im KZ Mauthausen. Er sei „ein ausgezeichneter Kamerad“ für alle und jeden einzelnen gewesen, „ohne Unterschied der Nation oder Konfession. Da die Verpflegung in den Lagern sehr zu wünschen übrig ließ, sorgte er auf seinem Block, wo sich sehr viele Jugendliche aller Nationen befanden, um zusätzliches Essen, und trug auf diese Weise Vielen bei [sic], dass sie ihr Leben erhalten haben.“

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Glück Reichswerke Göring
Die Hochofenanlage der Reichswerke "Hermann Göring", vermutlich 1943. Foto: Walter Fritz. Aus: Glück, Katalog S. 189

Im Juli 1943 kam Jetter als „Hilfsarbeiter“ in das Mauthausen-Außenlager Linz I bei den „Reichswerken Hermann Göring“, einem Eisen- und Stahlwerk. Hier fungierte er als Lagerältester, was bedeutete, dass er direkt der Lagerkommandantur unterstellt war und an der Spitze der Hierarchie der Funktionshäftlinge stand. Nachdem das Lager im Juli 1944 bei einem Luftangriff vollkommen zerstört worden war, wurde Jetter in derselben Funktion am 31. Juli zum Außenlager Linz III versetzt. Am Standort Linz kamen bis Kriegsende über 800 KZ-Häftlinge ums Leben.

Zu Jetter als Lagerältestem erklärte 1949 der polnische Häftling Lech Jaskolski, der mehrere Jahre in den KZ Linz I und III zugebracht hatte: „Herr Jetter war ein guter Kamerad für alle ohne Ausnahme was es für eine Nation oder Konfession war. Er half wo es nur ging unser so schweres Los leichter zu machen, und hat sich durch sein Vorgehen bei allen Nationen die im Lager waren, gute Freunde erworben.“

Lobende Worte fand, ebenfalls im Jahr 1949, auch der ehemalige Häftling Karl Kaufmann, der zusammen mit Jetter im September 1939 nach Mauthausen gekommen war. „Im Sommer 1944 kam ich in das KZ Linz III als Chef (Capo) des Häftling-Reviers, wo Herr Jetter die Stelle als Lagerältester inne hatte. Als solcher oblag ihm auch die Verteilung der Kost. Was Herr Jetter als solcher leistete steht einzig und allein da. Ich hatte einige 1000 schwer kranke Kameraden liegen im Revier, und viele von denen verdanken ihm heute, dass sie noch am Leben sind, selbst ich, da Herr Jetter uns täglich Hunderte von Portionen zukommen ließ, außer der vorgeschriebenen Verpflegung. Auch sorgte er wiederholt im Verein mit dem Rapportführer, dass ich von auswärts Medikamente und Verbandmaterial bekam.“

Nach der Befreiung im Außenlager Linz III durch die US-Armee kehrte Jetter ins kriegszerstörte Pforzheim zurück. Er wurde Abteilungsleiter beim Wirtschaftsamt Pforzheim und Sekretär bei der von dem Kommunisten Friedrich Schlotterbeck (1909-1979) in Stuttgart gegründeten „Süddeutsche Ärzte- und Sanitätshilfe“ für den Bezirk Pforzheim. 1949 wurde seine Verurteilung wegen Vorbereitung zum Hochverrat aus dem Strafregister getilgt. Er erhielt Entschädigungsleistungen für diverse Möbel, für Zahnbehandlung, für seine Haftzeit und für Schaden im wirtschaftlichen Fortkommen. 1957 ging Ernst Jetter in Rente. Im Pforzheimer Adressbuch von 1968 ist als seine Anschrift Tiefenbronnerstraße 4 angegeben. Er starb am 28. Oktober 1975.

Auf der Übersichtskarte ist Ernst Jetters Wohnadresse vor seiner Verhaftung, Baumgärtnerstraße 1 in 75175 Pforzheim, markiert.


Quellen und Literatur

ITS Digital Archive, Arolsen Archives
1.1.26.3 Individuelle Häftlingsunterlagen KL-Mauthausen – Ernst Jetter
6.3.3.2 Korrespondenzakte T/D 522815

Generallandesarchiv Karlsruhe
521 Nr. 8498
507 Nr. 6092
480 Nr. 4361

Searching Dachau Concentration Camp Records in One Step (https://stevemorse.org/dachau/dachau.html)

Barbara Glück (Gesamtleitung): Das Konzentrationslager Mauthausen 1938-1945. Katalog zur Ausstellung in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen. Wien 2013, S. 189.

Ernst Jetter, Brief vom 31. 5. 1948 an Bekannte, abgedruckt in: Klaus Dagenbach/Markus Rupp: Die Pforzheimer SAPD im Widerstand, Pforzheim, 1995, S. 107-109.

Ursula Krause-Schmitt, u.a. (Red.): Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945, Baden-Württemberg I. Frankfurt/M. 1991, S. 109.

Pforzheimer Kurier vom 24. November 1993.

Stadtjugendring Pforzheim und Volkshochschule (Hg.): Mut zum Widerstehen (Ausstellung) – Pforzheim 1933-1945, Dokumentation der Ausstellungstafeln (Redaktion Gerhard Brändle). Pforzheim 1995.
    
Stadtwiki Pforzheim www.pfenz.de

Stadt Pforzheim www.pforzheim.de/stadt/stadtgeschichte/gedenken


© Text und Recherche:
Roland Maier, Stuttgart
Stand: April 2021
www.kz-mauthausen-bw.de