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Hermann Albrecht (1897 - 1941)

In die Mühlen zwischenstaatlicher Ränkespiele geraten

05.06.1939 eintägige Gestapohaft in Waldshut
14.07.1939 Verhaftung durch Gestapo, Polizeigefängnis Welzheim
04.05.1940 KZ Dachau
10.03.1941 KZ Gusen
21.08.1941 Ermordung in der Tötungsanstalt Hartheim

Hermann Albrecht wurde am 13. September 1897 in Tiengen am Oberrhein (heute: Waldshut-Tiengen) als Sohn des Installateurmeisters Goswin Albrecht und dessen Ehefrau Katharina geboren. Hermann hatte vier Geschwister. Nach dem Besuch der Realschule absolvierte er eine kaufmännische Lehre in der Eisenhandlung seines Onkels. Danach ging er zum Militär und rückte im Ersten Weltkrieg zum Batterieführer auf. Nach dem Krieg trat er der für ihre Brutalität berüchtigten rechtsextremen „Brigade Erhardt“ bei. Nach der NS-Machtergreifung wurde er Mitglied der paramilitärischen Sturmabteilung SA. Ein Gegner der Nationalsozialisten war Albrecht also keineswegs, und noch später, als er in polizeiliche Bedrängnis geriet, sollte er sich auf seine guten Beziehungen zu NS-Provinzgrößen berufen.

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Hermann Albrecht
Hermann Albrecht (Foto: Herbert Albrecht)
 

Beruflich blieb er nach dem Ersten Weltkrieg weiterhin im kaufmännischen Bereich tätig. Als Vertreter einer Stuttgarter Maschinenfabrik bereiste er viele Länder, kehrte danach in den Betrieb seines Vaters zurück und arbeitete nach dessen Tod als kaufmännischer Angestellter bei seinem Bruder Leo. Hermann Albrecht wohnte in Tiengen, Hauptstraße 83 (damals: Hindenburgstraße).

Von seinem Charakter her wird Hermann Albrecht als kontaktfreudige, extrovertierte, aber auch schillernde Persönlichkeit dargestellt. In den 1930er Jahren verhedderte er sich mehr und mehr in ein fast undurchdringliches Geflecht aus zwischenstaatlichen deutsch-schweizerischen Geheimbeziehungen, dubiosen Akteuren und persönlichen Intrigen. Anstoß für die fatalen Verstrickungen gab eine private Beziehungsgeschichte. Albrechts Verlobte, eine gewisse als "Servierdame" bezeichnete Ella Jöhl, war hinter seinem Rücken mit dem Gemeindeoberhaupt des Schweizer Grenzorts Zurzach, Martin Keusch, eine Verbindung eingegangen und hatte ihn dabei auch noch um einen größeren Geldbetrag betrogen. Um sich nun für den Verlust an Braut und Geld zu rächen, ließ Albrecht sich auf ein verhängnisvolles Spiel ein: er wollte seinen Rivalen Keusch dem Schweizerischen Staatsschutz ans Messer liefern.

Zu diesem Zweck verbündete er sich mit dem in Zurzach im schweizerischen Grenzgebiet ansässigen Bauunternehmer und Devisenhändler Carl Mallaun, der ebenfalls eine Rechnung mit Keusch offen zu haben glaubte. Bei Mallauns schweizerisch-deutschen Geschäften hatten unzulässige Geheimabsprachen stattgefunden, welche den deutschen Behörden zur Kenntnis gebracht wurden. In der Folge wurde Mallaun, der Schweizer Staatsbürger war, am 7. Februar 1935 in Berlin verhaftet. Gleichfalls verhaftet wurde Mallauns Geschäftspartner, der dann in dieser Sache zu fünf Jahren Zuchthaus und einer hohen Geldstrafe verurteilt wurde, sowie zwei in den Fall involvierte Beamte der Reichsdevisenstelle in Karlsruhe. Einer von ihnen, ein Reichsbankinspektor, beging Selbstmord. Es ging also offensichtlich um keine Bagatelle, und auch Mallaun wäre wohl kaum einer schweren Strafe durch deutsche Gerichte entgangen, wäre es ihm am 4. August 1935 nicht gelungen, aus dem Gefängnis zu entwischen und in die Schweiz zu flüchten.

Mallaun schrieb die Schuld für seine geplatzten Geschäfte und seine missliche Lage einer Denunziation seines persönlichen Rivalen Martin Keusch zu. Somit verband Albrecht mit Mallaun ein Interesse, gegen Keusch als gemeinsamen Feind vorzugehen. Albrecht verbündete sich mit Mallaun. Für Albrecht eine Allianz, deren gefährliche Tragweite ihm entweder nicht bewusst war oder die er geleitet von seinem Rachedurst nicht zur Kenntnis nehmen wollte. Denn selbstverständlich war Mallaun nach seiner Flucht aus der deutschen Haft eine hochrangige Zielperson der Gestapo. Was nicht zuletzt darin zum Ausdruck kam, dass die Gestapo mit einer Finte sich Albrechts Ex-Verlobter Ella Jöhl bediente, um Mallaun auf deutsches Territorium zu locken und ihn zu ergreifen - was allerdings misslang.

Nicht nur die deutsche, auch die schweizerische Seite hatte auf Albrecht als Bundesgenossen des Mallaun ein Auge. Am 3. November 1937 wurde Hermann Albrecht, der sich in Begleitung des Mallaun befand, unter dem Verdacht, einem ausländischen Nachrichtendienst zu dienen, in Zürich festgenommen. Mallaun, ebenfalls von der Stadtpolizei Zürich befragt, gab an, dass er Martin Keusch verdächtige, ihn seinerzeit denunziert zu haben und dass er wegen der gemeinsamen Feindschaft gegen Keusch mit Hermann Albrecht kooperiere. Er gehe aber nicht davon aus, dass Albrecht im Auftrag deutscher Behörden handele. Die Züricher Stadtpolizei wunderte sich, dass Albrecht mit Mallaun, für den die Gestapo sich brennend interessierte, in ständiger Verbindung stand, ohne bisher seinerseits von dieser behelligt worden zu sein. Albrecht versuchte, sich in dieser heiklen Frage herauswinden, indem er behauptete, seine Beziehungen zu einflussreichen Nazis schützten ihn vor der Verfolgung durch die Gestapo. Fraglich, ob die Schweizer Polizei dies glaubhaft fand. Jedenfalls aber wurde der Verdacht der Spionage fallengelassen und Albrecht aus der Schweizer Haft entlassen. Allerdings nicht ohne die Ermahnung, dass die Ausforschung von Personen, wie er es getan habe, nicht seine Sache sondern die der Schweizer Behörden wäre. Albrechts Tätigkeit in der Schweiz sei unerwünscht.

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Gefangenenbuch Gerichtsgefängnis Waldshut mit Eintrag Hermann Albrecht, laufende Nr. 18, Haftgrund "Landesverrat", Arolsen Archives 1.2.2. Dok. 4272001
 

Nichtsdestotrotz schienen Albrecht und Mallaun bald ihrem Ziel nahe: ihr Erzfeind Martin Keusch kam wegen Verstoßes gegen das Schweizerische „Spitzelgesetz“, das bestimmte landesverräterische Aktivitäten unter Strafe stellte, vor das Bezirksgericht Muri. Jedoch wurde Keusch am 24. Juni 1939 wegen des Vergehens gegen das „Spitzelgesetz“ freigesprochen und kam mit einer geringen Strafe wegen anderer Anklagepunkte davon. Die Neue Züricher Zeitung führte die Tatsache, dass Keusch nicht im ursprünglichen Sinne der Anklage hatte verurteilt werden können, darauf zurück, dass wichtige deutsche Zeugen von deutschen Behörden am Erscheinen vor dem Gericht in Muri gehindert worden seien. Die Namen der in Frage kommenden Belastungszeugen nannte die Presse nicht, doch liegt es auf der Hand, dass es sich dabei, neben möglichen weiteren Personen, um Hermann Albrecht gehandelt haben muss. Dies bestätigt die Tatsache, dass Hermann Albrecht, während der Prozess in Muri lief, am 5. Juni 1939 von der Gestapo ins Amtsgerichtsgefängnis Waldshut verbracht wurde. Trotz des schwerwiegenden Vorwurfs des Landesverrats wurde er bereits am Abend des folgenden Tages wieder auf freien Fuß gesetzt. Die kurzfristige Inhaftierung dürfte daher dem alleinigen Zweck gedient haben, den Auftritt Albrechts als Zeugen in dem Prozess in Muri zu verhindern.

Doch ging es der Gestapo um mehr. Wenige Wochen nach dem „Spitzelgesetz“-Prozess in der Schweiz verhaftete die Gestapo Albrecht erneut unter dem Vorwurf des Landesverrats am 14. Juli 1939 in Tiengen. Der Generalstaatsanwalt in Stuttgart vernahm den Beschuldigten - und stellte das Verfahren ohne Voruntersuchung ein. Für Albrecht alles andere als eine günstige Entscheidung, denn damit war er aus der Obhut der Justiz entlassen und schutzlos der Willkür der Gestapo ausgeliefert. Am 30. November 1939 verschleppte die Stuttgarter Staatspolizei ihn in ihr Gefängnis nach Welzheim, um ihn dann der für das Land Baden zuständigen Stapoleitstelle Karlsruhe zu überstellen. Dort vernahm ihn der Karlsruher Gestapobeamte Adler. Anhand der durch die Gestapo-Vernehmung komplettierten Aktenlage erließ am 27. Januar 1940 das Reichsicherheitshauptamt in Berlin den Schutzhaftbefehl gegen Albrecht. Einem Schreiben Albrechts an seine Schwester zufolge soll der Schutzhaftbefehl auf § 90 c des Reichs-Strafgesetzbuchs gegründet haben. Es handelte sich dabei um einen präventiven Landesverratsparagraphen, der mögliche Staatsgefährdungen auch dann unter Strafe stellte, wenn es noch gar nicht zu einem tatsächlichen Verrat von Staatsgeheimnissen oder zu einer Ausspähungshandlung gekommen war. Auch wenn die Gestapo für ihre Verfolgungsmaßnahmen keiner Paragrafen bedurfte, dürfte Albrecht doch den staatspolizeilichen Grund für seine Inhaftierung recht genau erfasst haben: eine mögliche Gefährdung der äußeren Staatssicherheit - ohne konkreten Tatvorwurf.

Der Schutzhaftbefehl wurde Albrecht erst Wochen später, am 2. März 1940, vorgelegt. Sein Einspruch gegen den polizeilichen Schutzhaftbefehl blieb ohne Wirkung. Am 4. Mai 1940 wurde er von Karlsruhe in das Konzentrationslager Dachau verbracht, wo er mit der Häftlingsnummer 7199 Sch.DR. zunächst im Block 12, später im Block 6 untergebracht wurde. Schließlich erfolgte seine Überstellung in den Mauthausener KZ-Komplex. Mit einem Transport von 150 deutschen Häftlingen, die zu Steinbrucharbeiten bestimmt und daher als „Steinmetzlehrlinge“ ausgewiesen waren, kam er als Häftling Nummer 11006 in das Lager Gusen in Block 3 Stube A, zuletzt in Block 10 Stube A. Seine letzten Briefe an seine Angehörigen lassen darauf schließen, dass er stark an Unterernährung litt.

Im Sommer 1941 begann unter dem Decknamen „Aktion 14f13“ die gezielte Massenvernichtung von kranken, erschöpften oder sonstwie unliebsamen KZ-Häftlingen. Hermann Albrecht wurde Opfer dieser „Sonderbehandlung“. Am 21. August 1941 kam er auf einen als Invalidenverschickung nach „Dachau“ getarnten Transport mit 80 Gefangenen (darunter auch Oskar Brantner, siehe dessen Biographie) in die Tötungsanstalt Schloss Hartheim in Alkoven bei Linz. Sämtliche Häftlinge dieses Transports wurden in der dortigen Gaskammer ermordet. In der von der Lagerkommandantur Mauthausen am 7. Oktober 1941 verschickten Todesmeldung wurde als Todesdatum Hermann Albrechts zur Täuschung das gefälschte Todesdatum 21. September 1941 angegeben. Die Tarnung des Mordes war fast perfekt. Noch im Jahre 1965 beantwortete der Internationale Suchdienst (ITS) in Bad Arolsen die Anfrage eines Verwandten nach dem Schicksal Hermann Albrechts mit der Auskunft, dieser sei am am 21.9.1941 in Dachau verstorben. Die Frage nach den Gründen der seinerzeitigen Verhaftung Albrechts konnte der Suchdienst nicht beantworten, da ihm hierzu keine Unterlagen vorlagen.

Ob Hinterbliebene nach dem Krieg Wiedergutmachung beantragt haben, ist uns bislang nicht bekannt. In Tiengen, Hauptstraße 83, wurde am 14. September 2012 ein Stolperstein für Hermann Albrecht verlegt.

Die Markierung auf der Übersichtskarte zeigt Hermann Albrechts Wohnadresse Hauptstraße 83 in 79761 Waldshut-Tiengen.

 

Quellen und Literatur

Arolsen Archives
1.2.2 Gefängnisse / Auszüge aus Gefangenenbüchern des Gerichtsgefängnisses Waldshut, Einlieferungsdaten: 13.4.39 – 7.4.40, 6.11.39 – 25.6.41, Signatur: 4272001
0.1 / 13019041
6.3.3.2 Korrespondenzablage T/D – 941464
1.1.6.7 Schreibstubenkarten Dachau – Hermann Albrecht
1.1.6.12 Dachau-Sammlung des Zentralkomitees der befreiten Juden in der US Zone / Namen Karteikarten / Aal-Bat

Herbert Albrecht: Der Tiengener Hermann Albrecht – Ein Opfer des Nationalsozialismus, in: Geschichtsverein Hochrhein e.V. Waldshut (Hg.): Land zwischen Hochrhein und Südschwarzwald. Beiträge zur Geschichte des Landkreises Waldshut, Jahrgang 2017. Lauchringen 2017, S. 23-57 (Text auch online auf https://raumdernamen.mauthausen-memorial.org, eingesehen 10.3.2021).

Brigitte Kepplinger, Gerhart Marckhgott, Hartmut Reese (Hg.): Tötungsanstalt Hartheim. 2. erweiterte Auflage Linz 2008.

Walter Leimgruber: Zurzach zur Zeit des Nationalsozialismus, in: Albert Sennhauser u.a.: Geschichte des Fleckens Zurzach. Zuzach 2004, S. 383 ff.

Florian Schwanninger: Die Rekonstruktion der Namen der Toten der „Aktion 14 f 13“ in der Tötungsanstalt Hartheim – Beispiel einer institutionellen Kooperation, in: Andreas Kranebitter (Hg): Gedenkbuch für die Toten des KZ-Mauthausen und seiner Außenlager. Bd.1. Wien 2016, S. 40-48.

 

© Text und Recherche:
Roland Maier, Stuttgart
Stand: März 2021
www.kz-mauthausen-bw.de