Johann Ehinger (1890 - 1943)
„Die halten das Volk für den Narren“
1933 Schutzhaft in Radolfzell
1934/35 Schutzhaftlager Kislau
11.12.1943 KZ Mauthausen
24.12.1943 gestorben im KZ Mauthausen
Johann Josef Ehinger wurde als Sohn des Tagelöhners Richard und seiner Ehefrau Anna Ehinger, geborene Schulz, am 28. März 1890 in Allmannsdorf (heute ein Stadtteil von Konstanz) geboren. Er hatte sechs Geschwister und besuchte die Volksschule in Konstanz. Eine begonnene Buchbinderlehre brach er ab und ging auf Wanderschaft. Als Jugendlicher kam er, nachdem er einen kleinen Diebstahl begangen hatte, in den Jahren 1906 bis 1909 als "Zögling" in das badische Erziehungsheims Schloss Flehingen (Oberderdingen im Landkreis Karlsruhe), um ihn, wie es in der amtsgerichtlichen Verfügung hieß, „dem Einflusse der Eltern zu entziehen & so vor völligem sittlichem Untergang zu bewahren“. Bis Beginn des Ersten Weltkriegs zog er dann mit einem Schaustellerunternehmen umher. Vom Kriegsdienst zunächst wegen seines Augenleidens zurückgestellt, kam er 1915 an die Westfront. 1918 wurde er zu zwei Monaten Gefängnis wegen „ungebührlichen Benehmens“ gegenüber seinem Vorgesetzten verurteilt.
Später arbeitete er bei den Fittings-Werken (Hersteller von Montagezubehör) in Singen am Hohentwiel. Er wohnte am Ort in Untermiete in der Mühlenstraße 23. Nach seiner Entlassung bei der Firma war er lange Zeit arbeitslos. Bezeichnend für seine anscheinend durchgehend prekäre Lebenslage war, dass er bis 1928 insgesamt 16 Mal wegen Bagatelldelikten wie Bettelei oder kleinen Diebstählen belangt wurde.
Verheiratet war er mit Kunigunda Ehinger, geborene Scherer. Die Ehe wurde 1934 geschieden. Ehingers 1940 geborene Tochter entsprang einer außerehelichen Beziehung. Die Vaterschaft erkannte er an.
1923 bis 1927 gehörte Ehinger der Kommunistischen Partei (KPD) an, bekannte sich aber auch in der Zeit danach zu deren politischer Haltung und betätigte sich in der Arbeitslosenvereinigung in Singen.
Bei der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 wurde er für etwa eine Woche in Schutzhaft genommen. Im November 1933 folgte eine achtwöchige Schutzhaft. Am 9. Juli 1934 wurde er erneut festgesetzt und kam in das badische Schutzhaftlager Kislau bei Mingolsheim, wo er am13. Oktober 1934 entlassen wurde.
Nach einigen Jahren war er erneuten Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt. Am 17. Juli 1936 wurde er von der Gestapo Konstanz – Zweigstelle Singen am Hohentwiel – in das Bezirksgefängnis in Radolfzell verbracht. Grund war, dass er zwei Wochen zuvor in der Gaststätte „Bristol“ in Singen gegenüber anderen Gästen auf das an der Wand hängende Hitler-Bild zeigend, gesagt haben soll: „Dieser kann ja nichts dafür, da sind die anderen, die um ihn herum sind, schuld, die halten das Volk für den Narren“. Außerdem habe er die in Singen nach wie vor hohe Arbeitslosigkeit kritisch erwähnt, von welcher er selber betroffen sei und bekannt: „Ich war schon im Konzentrationslager in Kislau. Ich bleibe was ich bin, mir kann man meine Gesinnung nicht nehmen.“
Aufgrund dieser Meinungsäußerungen verurteilte ihn das Sondergericht Mannheim am 8. Januar 1937 wegen „gehässigen, hetzerischen und von niedriger Gesinnung zeugenden Äußerungen über leitende Persönlichkeiten des Staates und der NSDAP“ nach § 2 Absatz 2 des Gesetzes gegen „heimtückische Angriffe auf Staat und Partei" vom 20. Dezember 1934 zu fünf Monaten Gefängnis. Die vom Sondergericht verhängte Gefängnisstrafe verbüßte er in Mannheim und anderen Haftanstalten, bis er am 8. Juni 1937 entlassen wurde.
Es finden sich keine Hinweise, dass er aus politischen oder anderen Gründen über diesen Fall hinaus mit dem Gesetz in Konflikt gekommen wäre. Um so überraschender die jähe Wende seine Schicksals, welche die Staatsgewalt herbeiführte. Am 11. Dezember 1943 wurde Johann Ehinger aus nicht ersichtlichen Gründen von der Stapoleitstelle Karlsruhe in das Konzentrationslager Mauthausen eingewiesen. Dort erhielt er die Häftlingsnummer 40433, Kategorie "2 x DR Schutz" beziehungsweise "rückfällig", sowie den "roten Winkel" der politischen Häftlinge. Er wurde dem Stammblock 5 zugeteilt. Nach neun Tagen, am 20. Dezember, kam er, offenbar schwer erkrankt, in das Sanitätslager. Nach weiteren vier Tagen, am 24. Dezember 1943, verstarb er dort im Alter von 53 Jahren.
Die vom Sondergericht 1937 verhängte fünfmonatige Gefängnisstrafe wurde nach dem Krieg auf der Grundlage einer Allgemeinverfügung der französischen Militärregierung in Baden (französische Zone) vom 31. Oktober 1945 aus dem Strafregister getilgt.
Im September 1948 wurde für die hinterbliebene minderjährige Tochter des Johann Ehinger von deren Mutter Unterstützung bei der Badischen Landesstelle für die Betreuung der Opfer des Nationalsozialismus – Zweigstelle Singen, Wohlfahrtsamt – beantragt. Am 22. März 1950 stellte der Internationale Suchdienst (ITS) in Arolsen eine Inhaftierungsbescheinigung für Ehinger aus. Die Tatsache, dass er sich wegen kommunistischer Betätigung mehrfach in Schutzhaft befunden hatte, galt als Beleg, dass Ehinger ein überzeugter Gegner des Nationalsozialismus war und die hinterbliebene Tochter somit als wiedergutmachungsberechtigt gelten konnte.
Auf einem 1950 von der Gemeindeverwaltung Singen (Hohentwiel) auf dem Waldfriedhof errichteten Gedenkstein DEN OPFERN DES NATIONASOZIALISMUS findet sich sein Name unter den damals bekannten Betroffenen aus der Stadt Singen.
Am 2. Juli 2016 wurde in Singen, Mühlenstraße 23, ein Stolperstein für Johann Ehinger verlegt.
Die Markierung auf der Karte zeigt Johann Ehingers Wohnadresse Mühlenstraße 23 in Singen (Hohentwiel).
Quellen und Literatur:
ITS Digital Archive, Arolsen Archives
1.1.26.3 Individuelle Häftlings Unterlagen - KL Mauthausen - Johann Ehinger
Generallandesarchiv Karlsruhe
Kislau: Gefangenenkartei E
507 Nr. 2304-2305 (SG Mannheim)
484-1 Nr. 1837 (Flehingen)
Staatsarchiv Freiburg
F 196/1 Nr. 1487 (Wiedergutmachung)
D 180/2 Nr. 222220 (Spruchkammer)
Brigitte Walz-Richter: Ehinger, Johann, in: Geschichtswerkstatt Singen (Hg.): "Seid letztmals gegrüßt". Biographische Skizzen und Materialien zu den Opfern des Nationalsozialismus in Singen. Singen 2005, S. 25-27 (in Teilen abweichende Darstellung).
© Recherche und Text:
Roland Maier, Stuttgart
Stand: Oktober 2024
www.kz-mauthausen-bw.de