Walter Doerner (1919 - 1945)
"auf Anordnung des Reichsministers der Justiz ins Arbeits- und Erziehungslager Mauthausen bei Linz/Oberdonau überführt"
29.04.1941 Anordnung der Unterbringung in einer Heilanstalt
23.03.1944 KZ Mauthausen
26.04.1945 Tod im KZ Mauthausen
Walter Doerner wurde am 21. Januar 1919 in Danzig-Langfuhr (heute polnisch: Gdańsk-Wrzeszcz) als Sohn des Tierzuchtinspektors Hermann Peter Doerner und der Hildegard Barbara Doerner, geb. Weick, geboren und später katholisch getauft.
Er besuchte das Gymnasium, musste die Schule aber aufgrund von berufsbedingten Ortsversetzungen seines Vaters mehrmals wechseln. Als Gymnasiast in Dessau vernachlässigte er 1935 seine schulischen Pflichten, machte Schulden und beging mehrere Betrugsversuche. Aus Furcht vor elterlicher Strafe floh er im Auto seines Vaters nach Flensburg, ließ den Wagen dort stehen und zog weiter nach Kopenhagen. Dort wurde er von der Polizei aufgegriffen und zu den Eltern zurückgebracht.
Auf Vorschlag des von den Eltern hinzugezogenen Psychiaters Prof. Dr. Pönitz brachte man Walter Doerner in einem katholischen Konvikt in Hildesheim unter. Dort beging er einen Diebstahl und floh, wiederum aus Angst vor väterlicher Bestrafung, aus der Erziehungsanstalt - diesmal in einem auf der Straße herumstehenden Wagen nach Süddeutschland. Das Benzin erschwindelte er sich an den Tankstellen, und einen Polizeibeamten, der ihn anhalten wollte, zwang er durch Zufahren zu einem Sprung auf die Seite. Als er von der Polizei verfolgt wurde, ließ er das Auto stehen und entkam zu Fuß. Er schlug sich wiederum nach Dänemark durch, wurde dort erneut festgenommen und zurückbefördert. Wegen der begangenen Straftaten wurde er vor dem Jugendgericht angeklagt, aber nach Beobachtung in der Landesheilanstalt Bernburg aufgrund der Expertise des Direktors der Anstalt, der eine "Pubertätskrise" diagnostizierte, freigesprochen.
Seine inzwischen verwitwete Mutter war mittlerweile nach Karlsruhe gezogen und wohnte mit ihrem Sohn in der Kaiserallee 115. Walter besuchte nun das dortige Bismarck-Gymnasium, das er nach der Obersekunda (11. Klasse) verließ. Er hatte schon früh Neigungen zum Schreiben gezeigt und nach dem Schulabgang betätigte er sich schriftstellerisch. Aufsätze und Gedichte von ihm wurden gelegentlich in der badischen Presse publiziert.
Im Juli 1938 meldete er sich freiwillig zum sogenannten "Landdienst"1 der Hitlerjugend (HJ) und wurde ab August auf dem Gut Hohenwettersbach (bei Karlsruhe) eingesetzt. Weil er seinen Arbeitskollegen immer wieder kleine Geldbeträge und ein Buch entwendete, wurde er vom Amtsgericht Karlsruhe-Durlach wegen Diebstahls angeklagt. Dieses veranlasste die Einweisung Doerners zur Beobachtung in die Psychiatrisch-Neurologische Klinik der Universität Heidelberg. Der dortige Direktor Prof. Dr. Schneider erklärte ihn "für einen haltlosen, willensschwachen Psychopathen. [...] Gegenüber der abwägigen [sic] Anlage des Beschuldigten seien Umwelteinflüsse belanglos, so daß alle Erziehungsversuche gescheitert seien. Er sei zwar intellektuell imstande, das Unerlaubte seines Handelns einzusehen, [...] aber nicht in der Lage, seiner Einsicht gemäß zu handeln." Das Gericht erkannte nach dieser Diagnose auf "verminderte Zurechnungsfähigkeit" und stellte das Verfahren ein.
1939 wurde Walter Doerner zum Reichsarbeitsdienst (RAD) eingezogen, entzog sich ihm aber schnell durch Flucht. Er hielt sich einige Zeit in den Wäldern um Stuttgart auf, suchte jedoch dann beim Notdienst des RAD Hilfe. Der zuständige Arzt veranlasste seine Einweisung in die Psychiatrische Abteilung des Stuttgarter Bürgerhospitals. Von dort kehrte er zum RAD zurück und nach seiner regulären Entlassung lebte er bei seiner Mutter. Am 8. Januar 1940 wurde er zum Wehrdienst eingezogen und kam an die Westfront. Nach der Niederlage Frankreichs wurde er auf einer Schreibstube im deutschen Südwesten beschäftigt. Dort entwendete er, zunächst unbemerkt, ein nicht mehr verwendetes Dienstsiegel sowie Vordrucke für Urlaubs- und Fahrscheine für Soldaten.
Im November 1940 verlobte sich Doerner mit der in Stuttgart wohnenden Roswitha B., und um ihr zu imponieren holte er im selben Monat an einem Gymnasium in Innsbruck die Reifeprüfung nach. Allerdings ging es auch dabei nicht ganz ohne Schwindeleien ab. Er legte von ihm selbst gefälschte Bescheinigungen über Kriegseinsätze, -verdienste und -verletzungen vor (bei der Prüfung trug er den Kriegsorden „Eisernes Kreuz" EK II), so dass ihm "trotz mangelnder Kenntnisse" mit Rücksicht auf seine vermeintlichen militärischen Verdienste das Abitur zuerkannt wurde.
Am 10. Januar 1941 wurde er zum Regimentsstab in Tübingen versetzt, wo er bei der Anfertigung der Regimentsgeschichte mitarbeiten sollte. Er trat nun fast immer in Leutnantsuniform und mit EK II auf. Ohne Urlaubserlaubnis fuhr er am 18./19. Januar 1941 nach Innsbruck. Bei seiner Rückreise verpasste er in Stuttgart den Anschluss nach Tübingen und sah keine Möglichkeit mehr, noch rechtzeitig zum Dienst am 20. Januar zu erscheinen. Darauf rief er seine Braut an, sagte ihr, er habe Urlaub erhalten und bat sie mit ihm auf Reisen zu gehen - was sie auch tat. Nachdem die Mutter seiner Verlobten von der Sache erfahren hatte, gelang es ihr, Tochter und Verlobten in Dessau zu treffen. Sie überzeugte Walter Doerner mit ihr nach Tübingen zu reisen und sich dort seiner Einheit zu stellen. Auf dem Bahnhof in Bitterfeld entfernte sich Doerner aber unbemerkt beim Umsteigen.
Unter falschen Namen und mit gefälschten Ausweisen reiste er über Leipzig, Dresden, Chemnitz, Erfurt, Kassel, Arolsen und Hagen nach Köln. Die nötigen finanziellen Mittel beschaffte er sich durch Betrügereien, in Gasthäusern beging er Zechprellerei. In Dresden und Köln bot er Zeitungen einen Bericht über seinen Erwerb des Ritterkreuzes an und erhielt daraufhin Vorschüsse.
In Köln wurde er schließlich verhaftet. Er kam zunächst in die Arrestanstalt Ludwigsburg, von dort am 27. März 1941 zur Begutachtung in das Reservelazarett Winnenden. Beim Prozess vor dem Feldgericht (Militärgericht) der 25. Infanteriedivision lag ein Gutachten des Oberstabsarzt Prof. Dr. Gruhle vor, der Walter Doerner als "hochgradig psychopathisch" beurteilte. "Der abnorme Verlauf seiner seelischen Reaktion" gleiche der eines Geisteskranken. Daher sei er nicht zurechnungsfähig. Das Verfahren wurde am 24. April 1941 eingestellt, weil wegen "krankhafter Störung der Geistestätigkeit" keine Schuldfähigkeit vorläge. Das Gericht ordnete die Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt gemäß § 42 e des Reichsstrafgesetzbuches an. Am 27. Juni 1941 wurde Doerner in die Heilanstalt Winnental (in Winnenden im heutigen Rems-Murr-Kreis) überführt, wo er als "offenkundig minderwertig, haltlos, geltungsbedürftig" und als "Hochstaplernatur" charakterisiert wurde. Am 23. August 1942 gelang ihm die Flucht aus der Anstalt. Am 2. September 1942 wurde er in Würzburg nach Verübung von Diebstählen und Betrügereien festgenommen und nach Winnental zurückgebracht.
Um den Konzentrationslagern immer weitere Arbeitssklaven zuzuführen, griff Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei Heinrich Himmler schließlich auch auf die arbeitsfähigen forensischen Anstaltspatienten zu. Die Leitungen verschiedener Anstalten in Baden und Württemberg listeten in diesem Zusammenhang im Laufe des Jahres 1943 „abgabefähige“ Patienten auf, die im Frühjahr 1944 von Kripobeamten aus den Anstalten abgeholt und ins KZ Mauthausen deportiert wurden - so auch Walter Doerner am 21. März 1944 zusammen mit anderen forensischen Patienten der Anstalt Winnental.
Seine Krankenakte weist unter dem Datum 21. März 1944 folgenden Eintrag auf:
"Sein psychischer Zustand hat in der letzten Zeit keine Änderung erfahren, verhält sich äußerlich ruhig, liest viel, schriftstellert. Zu einer Arbeit war er nicht mehr zu bewegen. Er wird heute auf Anordnung des Reichsministers der Justiz ins Arbeits- und Erziehungslager Mauthausen bei Linz/Oberdonau überführt."
Am 23. März 1944 wurde Walter Doerner im Konzentrationslager Mauthausen registriert, erhielt die Häftlingsnummer 59286 und die Kategorie "SV" (Sicherungsverwahrter). Am 9. April 1944 verlegte man ihn ins KZ-Außenlager Ebensee, wo die Häftlinge hauptsächlich im Stollenbau für Raketenentwicklung, Kugellagerproduktion und Treibstofferzeugung eingesetzt wurden. Am 28. August des Jahres kam er zurück ins KZ-Stammlager Mauthausen, um hier ins Sanitätslager II verbracht zu werden. Eine letzte Nachricht von ihm datiert auf den 22. Februar 1945. Vier Tage später starb Walter Doerner im Sanitätslager im Alter von 26 Jahren. Im Totenbuch, in dem in aller Regel fiktive Todesursachen eingetragen wurden, wurde Kreislaufschwäche und allgemeiner Körperverfall als Todesursache genannt.
Am 14. Juli 1948 wandte sich die Zweigstelle Lörrach der badischen Landesstelle für die Betreuung der Opfer des Nationalsozialismus an den Internationalen Suchdienst Arolsen (ITS) mit der Bitte, ihr eine Sterbeurkunde von Walter Doerner zukommen zu lassen. Es stand dies vermutlich im Zusammenhang mit Bemühungen der Mutter um Wiedergutmachung ihren Sohn betreffend. Am 31. März 1950 stellte sie bei der damaligen Landesstelle für Wiedergutmachung in Karlsruhe einen Antrag auf Entschädigung. Am 29. März 1952 zog sie diesen zurück und erklärte den Verzicht auf künftige Wiedergutmachungsansprüche. Am 1. Juni 1957 stellte sie jedoch erneut einen Antrag auf Wiedergutmachung, dessen Eingang beim zuständigen Landesamt für den 9. November 1957 vermerkt ist. Dieser wurde am 24. Juli 1958 mit der Begründung abgelehnt, Walter Doerner gehöre als nicht zurechnungsfähiger Anstaltspatient nicht zum Personenkreis der politisch Verfolgten.
Die Markierung auf der Übersichtskarte zeigt die letzte Wohnadresse von Walter Doerner, Kaiserallee 115 in Karlsruhe.
1Der Landdienst der Hitlerjugend (HJ) hatte seit April 1938 das bisherige "Landjahr", in dem Jugendliche ein Pflichtjahr in der Land- oder Hauswirtschaft absolvieren mussten, abgelöst, aber auch im nur etwas anders organisierten Landdienst arbeiteten die Jugendlichen auf Bauernhöfen oder Gütern.
Quellen
ITS Digital Archive, Arolsen Archives
1.1.26.3 Individuelle Häftlingsunterlagen Männer KL Mauthausen, Walter Doerner
Korrespondenzakte TD 10331
Hauptstaatsarchiv Stuttgart
E 151/53 Bü 500
Generallandesarchiv Karlsruhe
480 Nr. 8148 (Entschädigungsakte)
Staatsarchiv Freiburg
F 196/2 Nr. 1492
Mauthausen Memorial: Walter Doerner
(https://raumdernamen.mauthausen-memorial.org/)
Archiv Memorial Mauthausen
Zugangsliste Mauthausen vom 23. März 1944
© Text und Recherche:
Sigrid Brüggemann, Stuttgart
Stand: Januar 2024
www.kz-mauthausen-bw.de