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Wilhelm Pfeifle (1881 - 1940)

„... ein leicht erregbarer Mensch...“

06.03.1934 Verhaftung
23.04.1934 - 30.10.1934 KZ Oberer Kuhberg
29.03.1936 erneute Verhaftung
16.01.1937 KZ Dachau
29.09.1939 KZ Mauthausen
10.02.1940 Tod im KZ Mauthausen

Wilhelm Pfeifle, geboren am 22. Oktober 1881 in Mühlhausen an der Enz (heute ein Stadtteil von Mühlacker im baden-württembergischen Enzkreis) war verheiratet mit Berta, geborene Herriegel, und hatte fünf Kinder. Er lebte mit seiner Familie in seinem Geburtsort Mühlhausen. Vom Ersten Weltkrieg kehrte er zu 50 Prozent kriegsversehrt zurück, weshalb er nur Gelegenheitsarbeiten in seinem Beruf als Gipser ausführen konnte, nebenbei hielt er 80 Wollhasen. In der Zeit des Nationalsozialismus verbrachte Pfeifle bis zu seinem Tod vier Jahre und sieben Monate in den Lagern Oberer Kuhberg, Welzheim, Dachau und Mauthausen.

Am 6. März 1934 wurde er verhaftet. Vorgeworfen wurde ihm Bedrohung, Körperverletzung und Widerstand gegen die Staatsgewalt. Der Hintergrund war folgender: eine Tochter der Familie Pfeifle war im zarten Alter von einem Jahr von einem Pferdefuhrwerk überfahren worden und seitdem geistig behindert. Sie sollte deshalb sterilisiert werden. Gegen dieses Ansinnen setzte Pfeifle sich heftig zur Wehr. Mit einem Messer bedrohte und verletzte er dabei den Bürgermeister und den Amtsdiener. Die Polizei setzte bei seiner Verhaftung Tränengas ein. Nach einer etwas abweichenden Darstellung schoss ihm der Bürgermeister in die Augen, wodurch er auf dem linken Auge erblindete. Die dreimonatige Gefängnisstrafe, die dann das Amtsgericht Vaihingen an der Enz gegen ihn verhängte, wurde ihm zwar aufgrund das Amnestiegesetzes für geringfügige Straftaten vom 7. August 1934 erlassen, doch wurde er außerjustiziell bis Ende Oktober 1934 im KZ Oberer Kuhberg in Ulm festgesetzt.

Im März 1936 wurde Pfeifle erneut verhaftet. Diesmal hatte er „in betrunkenem Zustand“ einen Angehörigen der Hitlerjugend (HJ) geohrfeigt und angeblich regierungsfeindliche Reden gehalten. Bei der Festnahme hatte er den Gendarmeriestationskommandanten mit einem Messer verletzt. Er  wurde von der Polizei blutig geschlagen und die Steintreppe bei seinem Haus hinuntergeworfen. Über das Gestapogefängnis in Welzheim kam Pfeifle am 16. Januar 1937 in das Konzentrationslager Dachau, kategorisiert als „Rückf. Schutz“ (rückfälliger Schutzhäftling). Aus Dachau schrieb er eine Mitteilung nach Hause, die ganz offensichtlich der Briefzensur angepasst war: „Da ich mich erneut gegen Volk und Staat im staatsfeindlichen Sinne betätigt habe und daher zum 2. mal in Schutzhaft genommen werden musste, unterliege ich den verschärften Haftmaßnahmen“. Einmal pro Vierteljahr dürfe er einen Brief und 10 Reichsmark empfangen, Pakete jedoch keine.

Wegen der temporären Umnutzung des Lagers für Ausbildungszwecke der SS kam Pfeilfle per Häftlings-Massentransport vom 27. September 1939 von Dachau in das KZ Mauthausen, wo er die Häftlingsnummer 825 „Sch 2x KL“ trug. Am 10. Februar 1940 starb er im Konzentrationslager Mauthausen.

Die Witwe wurde nach dem Krieg von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) als „polit. Hinterbliebene“ anerkannt. Auch wurden die sehr ärmlichen wirtschaftlichen Verhältnisse amtlicherseits gewürdigt: seit 1934 war die Frau allein mit den fünf Kindern, zwei Söhne kamen zur Wehrmacht, das Häuschen war in baufälligem Zustand. Die Frau erhielt eine Witwenrente von 40 Mark im Monat und weitere Zuwendungen. Im Dezember 1947 wurde ihr eine Küche zugewiesen. Im August 1954 stellte jedoch die Staatsanwaltschaft plötzlich in Frage, dass Pfeifles Inhaftierung wegen dessen politischer Haltung erfolgt sei. Zwar stellte Pfeifles Mithäftling, der deutsch-österreichische Kommunist Karl Mager (siehe Biografie), dem verstorbenen Kameraden ein erstklassiges Zeugnis aus: „Jeder Kamerad wurde einer strengen Prüfung über seine politische Vergangenheit unterzogen. Nur die, die eine achtbare politische Haltung aufzuweisen hatten und moralisch einwandfrei waren, wurden als Kameraden betrachtet“. Dessen ungeachtet erging im Oktober 1957 seitens des Amtes für die Wiedergutmachung der Ablehnungsbescheid bezüglich Freiheitsentzug und Schaden im beruflichen Fortkommen: Pfeifle habe sich nicht politisch betätigt, sondern sei ein starker Trinker und im "Rauschzustand unberechenbar und gemeingefährlich" gewesen. Auch seine Familie hätte oft um Hilfe rufen oder nachts im Schlafanzug zu Nachbarn flüchten müssen. "Wilh. Pfeifle war ein leicht erregbarer Mensch, dem das Messer sehr lose saß, der deshalb zu einem ständigen Unruheherd in der Gemeinde wurde, sodaß er aus Sicherheitsgründen aus der Öffentlichkeit entfernt wurde." Ein entschädigungsfähiger Tatbestand sei daher nicht gegeben.

Die Witwe klagte mit Hilfe der VVN, persönlich vertreten durch deren Landesgeschäftsführer Alfred Hausser, gegen den Ablehnungsbescheid und bestritt auch vehement die erhobenen Vorwürfe gegen ihren Gatten, starb aber noch bei laufendem Verfahren am 28. April 1959. Mit den erbberechtigten Kindern kam dann ein Vergleich zustande.

Die Markierung auf der Übersichtskarte zeigt Wilhelm Pfeifles Wohnort 75417 Mühlacker, Mühlhausen an der Enz (Ortsmitte).


Quellen und Literatur

ITS Digital Archive, Arolsen Archives
1.1.6 Individuelle Häftlingsunterlagen – KL Dachau, Wilhelm Pfeifle

DocID: 10725280 (Wilhelm Pfeifle)

Staatsarchiv Ludwigsburg
EL 350 I Bü 186
EL 902/23, Bü 48, 39 und 1324 (Spruchkammerakte Georg Grau, welcher Pfeifle bei einer Verhaftung misshandelt haben soll)

Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg Ulm (DZOK): Datenblatt Wilhelm Pfeifle

Walter Wuttke: "O, diese Menschen" - Das Leben in der Ulmer Anstalt "Oberer Riedhof" im Nationalsozialismus (Blaubeurer Geographische Hefte 28), S. 82-83.

 

© Text und Recherche:
Roland Maier, Stuttgart
Stand: November 2022
www.kz-mauthausen-bw.de