Xaver Fuchs (1905 - 1944)
22.10.1938 Untersuchungshaft in Stuttgart
25.01.1939 Anordnung der Unterbringung in der Heil- und Pflegeanstalt Winnental
23.03.1944 KZ Mauthausen
31.03.1944 Tod im KZ Mauthausen
Xaver Fuchs wurde am 10. Mai 1905 in Neuler (im heutigen Landkreis Ostalbkreis) als zweitjüngstes von neun Geschwistern geboren. Der Vater war Landwirt. Zwei Schwestern starben in jungen Jahren an Tuberkulose, ein Bruder war seit September 1924 in der Heilanstalt Schussenried untergebracht. Im Rahmen der Krankentötungsaktion T 4 kam dieser 1940 in die Tötungsanstalt Grafeneck und wurde dort ermordet. Ein weiterer Bruder war seit 1938 in der Heilanstalt Rottenmünster.
Nach dem Besuch der katholischen Volksschule kam Xaver Fuchs zur Vorbereitung auf den Reichsbahndienst in die Verkehrsbeamtenschule nach Mögglingen und Schwäbisch Gmünd. Wegen finanzieller Schwierigkeiten musste er diese Laufbahn jedoch aufgeben. In Neuler machte er eine Schreinerlehre und arbeitete dann in verschiedenen Stellen im Land als Schreiner. Ab 1925 lebte er in Stuttgart und war bis zu seiner Verhaftung im Oktober 1938 bei den Stuttgarter Möbelfabriken Schildknecht und zuletzt bei der Fa. Lindner beschäftigt. Vor der nationalsozialistischen Machtübernahme im März 1933 war er im Holzarbeiter-Verband organisiert, danach in der nationalsozialistischen Deutschen Arbeitsfront (DAF). Er war nie Mitglied einer politischen Partei, sagte aber vor Gericht aus, dass die KPD (Kommunistische Partei Deutschlands) seinen Empfindungen am nächsten gelegen habe.
Als im Frühjahr 1938 in seinem damaligen Betrieb, der Firma Schildknecht, für das nationalsozialistische Winterhilfswerk (WHW) gesammelt wurde, lehnte Xaver Fuchs "unter abfälligen Bemerkungen" jede Spende ab, was zu seiner Entlassung führte. Auch bei seinem neuen Arbeitgeber, der Firma Lindner, soll er sich nach den Angaben eines Mitarbeiters mehrfach „in gehässiger Weise“ über Partei und Staat geäußert haben.
Am 27. September 1938 saß er in der Mittagspause mit mehreren Arbeitskollegen in der Kantine. Hier schimpfte er über die nach seiner Meinung zu niedrigen Löhne und kam dann auf das Stuttgarter Wohlfahrtsamt zu sprechen: dort säßen lauter Spitzbuben, die nicht würdig seien, das Parteiabzeichen zu tragen. Schließlich erklärte er: "Der Nationalsozialismus ist überhaupt auf Lug, Trug und Schwindel aufgebaut. Schämt euch, dass ihr hinter denen dreinlauft."
Xaver Fuchs wurde von zwei Arbeitskollegen wegen seiner Aussagen denunziert, festgenommen und kam in Untersuchungshaft.
Am 25. Januar 1939 fand der Prozess vor dem Sondergericht des Oberlandesbezirks Stuttgart unter dem Vorsitz des berüchtigten Senatspräsidenten Hermann Cuhorst (1899 - 1991) wegen "Vergehen gegen das Heimtückegesetz", in diesem Fall "politisches Schimpfen im Betrieb", gegen ihn statt. In der Verhandlung wurde er für unzurechnungsfähig erklärt und seine Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt angeordnet. In der Begründung hieß es:
"Schon von Anfang an bestanden erhebliche Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten. Bereits der Polizei machte er den Eindruck eines geistig gestörten Menschen. Dieser Eindruck wiederholte sich in der Hauptverhandlung. Abgesehen von seinem kranken Aussehen sprach für eine geistige Erkrankung die eigenartige Begründung seines Vorbringens, seine Rechthaberei, Überheblichkeit und völlige Unbelehrbarkeit, die er in der Hauptverhandlung an den Tag legte, außerdem sein einsichtsloses Verhalten während der Untersuchungshaft, in der er, angeblich weil ihm durch die Haft Unrecht geschah, einen Hungerstreik durchführte und von einem weiteren derartigen Versuch nur mit Mühe abgehalten werden konnte. Der ärztliche Sachverständige bestätigte denn auch in seinem neuerlichen Gutachten, dass der Angeklagte als unzurechnungsfähig zu gelten habe. Der Sachverständige, der den Angeklagten eingehend untersuchte, stellte bei ihm eine schwere erbliche Belastung fest. 2 Brüder sind wegen Geisteskrankheit in Heilanstalten untergebracht, 2 Schwestern sind an Tuberkulose gestorben. Der Sachverständige bezeichnete den Angeklagten als depressiv verstimmten, schizoiden Psychopathen von überdurchschnittlicher Intelligenz, der seine eigenen verschrobenen Wege gehe und seine Gedanken mit Vorliebe auf religiöse und politische Dinge lenke. Nach dem Gutachten des Sachverständigen liegen beim Angeklagten die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 StGB vor. [...]
Nachdem der Angeklagte sonach wegen krankhafter Störung seiner Geistestätigkeit als unfähig anzusehen war, das Unerlaubte der Tat einzusehen und nach dieser Ansicht zu handeln, war eine strafbare Handlung gegen ihn nicht festzustellen. Er war deswegen freizusprechen.
Der Angeklagte hat seine hetzerischen Äußerungen nicht nur vor der Polizei und dem Haftrichter, sondern auch vor dem Sondergericht aufrecht erhalten und sein Vorgehen in rechthaberischer Weise zu rechtfertigen versucht. Er hat damit zu erkennen gegeben, dass er nicht gewillt ist, von seinen gehässigen Angriffen abzulassen. Im Fall seiner Freilassung stünde zu befürchten, dass er alsbald wieder seine staatsfeindliche, hetzerische Tätigkeit aufnimmt, unter seinen Arbeitskameraden Unruhe stiftet und sie im Vertrauen zur politischen Führung irre zu machen versucht.
Er bedeutet deshalb eine nicht unerhebliche Gefahr, zumal zu erwarten wäre, dass er seinen Freispruch wegen Geisteskrankheit als Freibrief für weitere Schimpfereien betrachten würde. [...] Da andere Mittel, den Angeklagten unschädlich zu machen, fehlen, machte die öffentliche Sicherheit bis zur Besserung seines Zustandes seine Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt nach § 42 b Abs. 1 StGB erforderlich."
Am 7. Februar 1939 wurde Xaver Fuchs in der Heil- und Pflegeanstalt Winnental bei Winnenden eingeliefert. In den dortigen "Tagesberichten" (die aber nicht täglich, sondern in der Regel im Abstand von ungefähr zehn Tagen erstellt wurden), wurde er als uneinsichtiger und unbequemer Patient dargestellt:
"Musste wegen seines gereizten, aufbrausenden und daher störenden Verhaltens für einige Tage nach E. verlegt werden, kommt heute nach D. zurück."
"Autistisches Verhalten. Verlangt stereotyp tagtäglich seine Entlassung. Keinerlei Krankheitseinsicht." - "Völlig uneinsichtig und unbeeinflußbar. Steht untätig umher." - "Autistisch, unzugänglich, nimmt von seiner Umgebung keine Notiz, reagiert nicht auf Ansprache, selbst bei den Besuchen seiner Verwandten zeigt er diese starre einsichtslos ablehnende Haltung." - "Lehnt ... jede Untersuchung ab." - "Immer mürrisch, gereizt, ablehnend, keinen Kontakt zu seiner Umgebung, steht müßig umher, arbeitet nie etwas, interessiert sich für nichts, antwortet nicht auf Fragen." - " Äußerte bei einer Besprechung zahlreiche Wahnideen: 'Es werden geistige Angriffe gegen ihn gemacht, ohne daß Personen mit ihm sprechen. Es werden auch Salze und Gifte ins Brot u. ins Essen hineingetan, er müsse das als Massenmorde bezeichnen.' An seiner krankhaft feindseligen Einstellung gegen die NSDAP und führende Personen der Partei und des Staates hält er nach wie vor wie früher fest. Er steht seinen Verfolgungs- und Vergiftungsideen völlig einsichtslos gegenüber."
Die „Tagesberichte“ enden im März 1944 mit dem Vermerk: "Ungeheilt nach Mauthausen entlassen."
Im Frühjahr 1944 wurde ein Teil der arbeitsfähigen forensischen Patienten an die SS ausgeliefert und in Konzentrationslager verschleppt. Xaver Fuchs wurde zusammen mit anderen Winnentaler Anstaltspatienten von Kripobeamten aus der Anstalt geholt und in das KZ Mauthausen deportiert. Am 23. März 1944 erhielt er dort die Häftlingsnummer 59293, wurde, wie grundsätzlich alle in das Lager eingewiesenen forensischen Patienten, als Sicherungsverwahrter "SV" registriert und Block 17 zugeteilt. Nur zwei Tage später kam er in das Sanitätslager. Dort starb Xaver Fuchs am 31. März 1944 im Alter von 38 Jahren.
Am 21. November 2022 wurden für Xaver und seinen in Grafeneck ermordeten Bruder Gottfried zwei Stolpersteine vor dem Gemeindehaus in ihrem Heimatort Neuler verlegt.
Die Markierung auf der Übersichtskarte zeigt Xaver Fuchs' letzte freigewählte Wohnadresse Adlerstraße 5 (heute Helmstettstraße) in Stuttgart-Feuerbach.
Quellen und Literatur
ITS Digital Archive, Arolsen Archives
1.1.26.3 Individuelle Häftlingsunterlagen Männer KL Mauthausen, Xaver Fuchs
DocID: 1446937 (Todesmeldung)
Hauptstaatsarchiv Stuttgart
E 151/53 Bü 500
Staatsarchiv Ludwigsburg
F 235 II Bü 9504
Memorial Mauthausen
(https://raumdernamen.mauthausen-memorial.org/)
Archiv Memorial Mauthausen
Zugangsliste Mauthausen vom 23. März 1944
Schwäbische Post v. 21.11.2022 (Gerhard Königer)
© Text und Recherche:
Sigrid Brüggemann, Stuttgart
Stand: Dezember 2024
www.kz-mauthausen-bw.de