Wilhelm Dollmaier (1901 - 1968)
"... von Hass gegen den Nationalsozialismus erfüllt"
23.10.1933 Verhaftung
07.11.1933 bis 19.02.1938 Zuchthaus Ludwigsburg
05.03.1938 KZ Dachau
27.09.1939 KZ Mauthausen
09.11.1939 KZ Dachau
18.07.1940 Entlassung aus dem KZ Dachau
Wilhelm (auch: "Willi" oder "Willy") Dollmaier wurde am 25. Februar 1901 in Heidenheim an der Brenz als Sohn des Metalldrehers Andreas Dollmaier und seiner Ehefrau Margarete, geborene Kastler, geboren. Er hatte vier Geschwister, die Mutter verstarb 1904.
Wilhelm besuchte in seiner Geburtsstadt die Volksschule und anschließend die Realschule bis zur vierten Klasse. Nach einer kaufmännischen Lehre in einer Eisenhandlung arbeitete er als Handlungsgehilfe in Heidenheim und Ulm. Weil er bei seiner Ulmer Firma einen Diebstahl begangen hatte, wurde er 1919 dort entlassen und zu vier Wochen Gefängnis verurteilt. Er fand dann eine Anstellung beim Kommunalverband Heidenheim und wechselte später nach Kirchheim unter Teck, wo er in einer Ziegelei und in einer Papierfabrik arbeitete. Dabei zog er sich im Jahr 1923 eine sechswöchige Gefängnisstrafe wegen Sachhehlerei zu. Hernach erwerbslos, erwog er, in die Reichswehr oder in die Fremdenlegion einzutreten, ließ diesen Gedanken aber wieder fallen. Da er keine feste Anstellung mehr fand, begab er sich auf Wanderschaft und schlug sich als Gassen- und Hinterhofsänger durch. Deshalb wurde er wegen Bettelei mehrfach zu kurzen Haftstrafen von wenigen Tagen verurteilt. Längere Zeit war er dann als Provisionsvertreter bei einer Firma in Stuttgart tätig. Im Jahr 1927 verheiratete er sich mit Hedwig Decker; die Ehe blieb kinderlos. Schließlich fand er bei der Chemiefirma J. Hauff & Co. in Feuerbach eine dauerhafte Beschäftigung. Innerhalb weniger Wochen stieg er zum Leiter einer Abteilung für Filmverarbeitung auf. Auch seine Frau fand Arbeit bei dieser Firma. Als jedoch seine Fachabteilung geschlossen wurde, wurde er Ende Januar 1932 entlassen und war fortan arbeitslos. Er zog nach Stuttgart, wo seine Frau eine Zeitlang einen Eierhandel betrieb.
Nach seinen eigenen Angaben war es die durch seine Arbeitslosigkeit hervorgerufene Verbitterung, die ihn dazu brachte, im November 1932 der Kommunistischen Partei (KPD) und dem "Kampfbund gegen den Faschismus", einer Nebenorganisation der KPD, beizutreten.
Spätestens seit September 1933 war Dollmaier in Stuttgart Anlaufstelle und Verteiler für aus der Schweiz herübergeschmuggeltes illegales kommunistisches Propagandamaterial. Dabei handelte es sich um Schriften mit Tarntiteln wie " Elektrolux, der beste Staubsauger", "Das gute Opelrad", „NS-Kurier“ (Neuer Schnellkurier der KPD Bezirk Württemberg) sowie Zeitschriften wie "Die antifaschistische Front" oder die Arbeiter-Illustrierte-Zeitung (AIZ). Auch das "Braunbuch" über die Reichstagsbrandstiftung war dabei. Die illegalen Druckschriften kamen in Reisekoffern per Bahn an und wurden anschließend von Dollmaier zur weiteren Verteilung in den Stuttgarter Stadtteilen verpackt und den Austrägern übergeben. Die Württembergische Politische Polizei (die nachmalige Gestapo) hatte Dollmaier und weitere an dem Unternehmen beteiligte Personen schon längere Zeit im Visier. Angeblich setzte sie Dollmaiers Frau mit dem Versprechen, ihren Mann vor der Hinrichtung zu bewahren, wenn sie durch das Herausstellen eines Blumentopfes ein Zeichen gäbe, wenn jemand komme und sich nach ihrem Mann erkundige, unter Druck. In den frühen Morgenstunden des 24. Oktober 1933 schlug die Politische Polizei zu und verhaftete Dollmaier und einen seiner Genossen. Am folgenden Abend wurde auch der kommunistische Funktionär Walter Vielhauer (s. Biographie), als dieser sich in Dollmaiers Wohnung in der Stöckachstraße 53 einfand, festgenommen.
Dollmaier kam bis zu seiner Gerichtsverhandlung in Untersuchungshaft. Das Oberlandgericht Stuttgart verhandelte am 19. Juni 1934 gegen ihn und seine Stuttgarter Parteigenossen Hans Meitz, Walter Vielhauer und Jakob Kraus. Wie Vielhauer und Kraus wurde Dollmaier wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“, begangen in Tateinheit mit einem Verbrechen im Sinne des § 1 Abs. 4 des nationalsozialistischen Gesetzes „zur Gewährleistung des Rechtsfriedens“ vom 13.10.1933 verurteilt. Letztere Gesetzesbestimmung eröffnete sogar die Möglichkeit der Todesstrafe für die Verbreitung illegal importierter „hochverräterischer“ Schriften. Dollmaier kam mit einer Zuchthausstrafe von vier Jahren und drei Monaten davon. Diese Strafe verbüßte er, abzüglich der angerechneten Untersuchungshaft, im Zuchthaus Ludwigsburg. Für die Zuchthausleitung galt Dollmaier als einer der Gefangenen, „von denen ein schädlicher Einfluss auf Mitgefangene zu erwarten ist“, weshalb er von einer Gemeinschaftshaft ausgeschlossen war. Briefe aber durfte er schreiben. In einer von der Zuchthauszensur beanstandeten Passage eines Schreibens an seine Frau vom September 1934 hieß es: „Nun willst du wissen, was ich hier mache. Also morgens um 3/4 6 Uhr steht man auf, dann gibts 'Kaffee', von 1/2 7 Uhr ab wird gearbeitet, augenblicklich mache ich Fußmatten. Mittags um 1/2 12 Uhr kommt das große 'Souper', ich will es lieber nicht näher beschreiben. Um 12 Uhr geht's wieder an die Arbeit bis 5 Uhr folgt als Abschluss das 'Nachtessen' (siehe 'Souper') (nachmittags von 3/4 4 Uhr - 1/2 5 Uhr ist Hofgang). Das geht so wie in einer Tretmühle tagaus tagein [...]. Auch die Einzelhaft ist mir lieber als wenn ich unter den anderen 'Ganofen' [sic] drin wäre, hier hat man so recht Muße und kann sich in Gedanken das 4. Reich ausmalen. […] Wenn du mir auf Weihnachten eine Freude machen willst, schick mir bitte ein Lehrbuch der russischen Sprache mit accentuiertem Text. […] Und noch eine Bitte habe ich, beschreibe in Zukunft nur noch eine Seite deiner Briefbogen & lass die Rückseite frei, ich möchte nämlich Tagebuchaufzeichnungen machen".
Als das Ende der Strafhaft anstand, beauftragte Dollmaiers Ehefrau einen Anwalt, an maßgebender Stelle ein Gesuch einzureichen, um die drohende Einweisung in ein Konzentrationslager abzuwenden. Da nach Meinung des Anwalts der Erfolg eines solchen Gesuchs wesentlich davon abhing, wie die Zuchthausverwaltung die Führung des Sträflings beurteilte, bat er um ein ein entsprechendes Zeugnis. Doch dies fiel vernichtend negativ aus. In einer an die Stapoleitstelle Stuttgart gerichteten Beurteilung der Zuchthausverwaltung hieß es, Dollmaier sei „der typische Kommunist, auch in seiner Haltung im Vollzug. Äußerlich im ganzen geordnet hat er sich doch auch Disziplinarstrafen zugezogen. Der Versuch, ihn mit anderen Gefangenen bei der Arbeit zusammenzubringen, scheiterte. Ungünstiger Einfluss auf die anderen war zu befürchten. Dollmaier ist Kommunist und tief verbittert wohl von Haß gegen den Nationalsozialismus erfüllt. Er ist aktiv und gefährlich, würde auch keine Bedenken tragen, sich gegen das 3. Reich einzusetzen. Schutzhaft ist unvermeidbar notwendig." Daraufhin zögerte die Gestapo nicht, anzuordnen, Dollmaier nach seiner Strafverbüßung am 19. Februar 1938 „zu Prüfung der Schutzhaftfrage in das Polizeigefängnis II in Stuttgart zu verschuben“.
Dollmaier kam über das Gefängnis in Ulm am 5. März 1938 in das Konzentrationslager Dachau (Häftling Nummer 13612, Kategorie Schutzhaft, Block III). Aufgrund der vorübergehenden Räumung des Lagers für Ausbildungszwecke der SS kam Dollmaier mit einem Häftlingsmassentransport am 27. September 1939 in das KZ Mauthausen. Sein Aufenthalt dort währte allerdings nur einige Wochen. Bereits am 9. November 1939 wurde er nach Dachau rücküberstellt und erhielt die neue Dachauer Häftlingsnummer 43. Am 18. Juli 1940 wurde er aus dem KZ Dachau nach Stuttgart entlassen, wo er regelmäßig bei der Gestapo im „Hotel Silber“ seinen Meldeauflagen nachkommen musste.
Während seiner Haftzeit war Dollmaiers Ehe geschieden worden. Dollmaier, der seit Jahresbeginn1941 als Fotograf tätig war, heiratete erneut. Aus dieser Ehe ging eine Tochter hervor. Nach dem Krieg stellte ihm die „KZ-Prüfstelle“ der Stadt Stuttgart am 2. Oktober 1945 den „Großen KZ-Ausweis“ Nummer 44 aus. Diese „Großen Ausweise“ waren solchen ehemaligen NS-Verfolgten vorbehalten, die aus politischen Gründen Widerstand geleistet hatten. Ebenso wurde er von der Stuttgarter „Vereinigung der politischen Gefangenen und Verfolgten des Nazi-Systems“ (VVN) mit einer am 20. September 1946 ausgestellten Registrierkarte als NS-Verfolgter anerkannt. Am 23. September 1947 stellte Dollmaier einen Antrag auf Wiedergutmachung, die ihm dann auch – ohne dass er die wie bei den meisten anderen Antragstellern verlangten Haftnachweise erbringen musste – gewährt wurde. Endgültig geschlossen wurde Dollmaiers Wiedergutmachungsakte allerdings erst im Jahr 1977.
Seit April 1946 lebte er in dritter Ehe mit seiner Frau Alice, mit der er zwei Söhne (geboren 1946 und 1948) hatte. Zusammen mit seiner Frau war er wegen „Erschöpfung nach KZ-Haft“ drei Wochen zur Erholung im Harpprechtshaus auf der Schwäbischen Alb bei Schopfloch. Es folgten weitere Erholungsaufenthalte wie beispielsweise 1950 in der Heilstätte Solbad Pfisterwald in Sulz am Neckar oder 1955 in Bad Nauheim.
Dollmaier blieb auch nach der Befreiung vom Nationalsozialismus eng vernetzt mit seinen kommunistischen Parteigenossen. Unter diesen befand sich auch Heinrich Gottschalk (siehe Biografie), mit dem er mehrere Jahre im Konzentrationslager verbracht hatte und mit dem er befreundet war. Gottschalk war nach dem Krieg im für die Entnazifizierung zuständigen Württembergisch-Nordbadischen Befreiungsministerium und in der VVN tätig. Dollmaier selbst arbeitete unmittelbar nach Kriegsende beim Landesfahndungsamt Württemberg-Nordbaden als Kriminalangestellter. Diese Tätigkeit endete 1951, als er aus dieser Stelle fristlos entlassen wurde, bzw. - nach anderer Darstellung – er die Stelle selbst kündigte, um seiner fristlose Entlassung bei der Kripo zuvorzukommen.1
Wilhelm Dollmaier starb am 20. Januar 1968; er hatte zuletzt als Witwer in Stuttgart-Freiberg gelebt. Noch im Jahr 1977 bemühte seine in die USA ausgewanderte Schwester den Internationalen Suchdienst in Arolsen (ITS) um Auskunft über Wilhelm Dollmaiers Verfolgungsschicksal. Sie war fest davon überzeugt, dass Dollmaier nicht schon im Jahr 1940, sondern erst am 18. Juli 1944 aus dem KZ Dachau entlassen wurde: „Ich werde diesen Tag nie vergessen, als mein Bruder damals mit glatt rasiertem Kopf, abgemagert zum Skelett, vor mir und meinem alten Vater in Heidenheim an der Brenz gestanden ist.“ Jedoch konnte der ITS in seinen Unterlagen keine Hinweise finden, welche die subjektive Erinnerung der Schwester hätten bestätigen können. Auch lassen die im Staatsarchiv Ludwigsburg verwahrten Wiedergutmachungsakten keine über das Jahr 1940 hinaus währende KZ-Inhaftierung Dollmaiers erkennen.
Die Markierung auf der Übersichtskarte zeigt Wilhelm Dollmaiers Wohnadresse, an welcher er 1933 verhaftet wurde: Stöckachstraße 53 in 70190 Stuttgart.
_______________________________________________________
1 Zu Dollmaiers polizeilicher Tätigkeit waren keine Unterlagen auffindbar.
Quellen und Literatur
ITS Digital Archive, Arolsen Archives
Korrespondenzakte T/D - 111 121
1.1.6 Konzentrationslager Dachau / Schreibstubenkarte Dachau
0.1 / 19277411 (Verweis auf Liste der am 9.11.1939 nach Dachau rücküberstellten Häftlinge)
0.1 / 19277412
0.1 / 19277413 (Verweis auf Veränderungsmeldungen des KZ Dachau)
0.1 / 19277415
Staatsarchiv Ludwigsburg
EL 350 I Bü 1393
E 356 d V Bü 458
Willi Bohn: Transportkolonne Otto. Frankfurt/Main 1970.
Konrad Wanner: Walter Vielhauer. Gewerkschafter und Widerstandskämpfer in Heilbronn (Arbeitskreis Walter Vielhauer, DGB-Region Nordwürttemberg). Heilbronn 2019, S. 18.
© Text und Recherche
Roland Maier, Stuttgart
Stand: Oktober 2021
www.kz-mauthausen-bw.de