Wilhelm Pflederer (1891 - 1960)
„... treibt in hetzerischer Weise Propaganda“
07.04.1936 bis 03.06.1936 Schutzhaft
1938 Verhaftung
1939 Zuchthaus Ludwigsburg
20.07.1939 Zuchthaus Rottenburg
17.06.1940 Polizeigefängnis II Stuttgart, anschließend Welzheim
03.08.1940 KZ Dachau
18.05.1942 Dachau-Außenkommando Bad Tölz
15.06.1943 KZ Flossenbürg
11.03.1944 KZ Mauthausen
19.03.1944 KZ Gusen
05.05.1945 Befreiung im KZ Gusen
Wilhelm Pflederer wurde am 11. Juli 1891 in dem Dorf Unterheimbach (heute ein Ortsteil von Bretzfeld im Hohenlohekreis) geboren. Er wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Der Vater übte den Beruf des Schuhmachers aus, was Sohn Wilhelm später auf noch nicht vorhersehbare Weise einmal zugute kommen sollte. Die Mutter war Hausfrau, die Familie hatte acht Kinder.
Wilhelm besuchte die Volksschule und nahm von November 1915 bis November 1918 am Ersten Weltkrieg teil. 1920 heiratete er Karoline, geborene Glück; aus der Ehe gingen drei Kinder hervor. Er betrieb eine eigene Landwirtschaft in Oberbrüden im Oberamt Backnang (heute ein Ortsteil der Gemeinde Auenwald im Rems-Murr-Kreis). Zusätzlich arbeitete er als Straßenwart beim Kreisverband Backnang bis zu seiner politisch motivierten Entlassung Mitte August 1933.
Im April 1936 wurde Pflederer zwei Monate in Schutzhaft genommen. Die genauen – sehr wahrscheinlich politischen – Gründe hierfür sind aus den vorliegenden Dokumenten nicht ersichtlich. Die Entlassung war verbunden mit der üblichen Verpflichtung, sich künftig jeder staatsfeindlichen Betätigung zu enthalten.
Am 17. April 1939 verurteilte ihn das Oberlandesgericht Stuttgart wegen zweifacher Vorbereitung zum Hochverrat zu einem Jahr und acht Monaten Zuchthaus. Außerdem wurde sein Radio eingezogen. In der Urteilsbegründung hieß es, Pflederer habe einer politischen Partei zwar nicht angehört, doch habe er vor der NS-Machtergreifung mit den Kommunisten sympathisiert. Er treibe „in hetzerischer Weise Propaganda“ und habe „Versammlungen der Kommunisten“ besucht. Und die Nazis habe er als „Dackelshaufen“ bezeichnet.
Pflederer kam in das Zuchthaus Ludwigsburg, wurde dann aber auf Erlass des Generalstaatsanwalts Stuttgart im Juli 1939 nach Rottenburg verlegt, um dort im Steinbruch zu arbeiten. Doch bereits nach zwei Monaten galt er als „nicht mehr verwendungsfähig“. In der Stellungsnahme des Arztes in Rottenburg hieß es:
„Der Zuchthausgefangene Wilh. Pflederer suchte am 1.9.39 wegen Erschöpfung das Spital auf und befindet sich seither dort. Pflederer gibt an, seit dem Krieg herz- und nervenleidend zu sein [...]. Vermutlich besteht bei Pflederer ein alter Herzmuskelschaden, der jetzt zu akuter Herzmuskelschwäche geführt hat. Pflederer ist inzwischen wiederhergestellt. Seine Weiterbeschäftigung im Steinbruch ist aber unter den vorliegenden Verhältnissen ärztlich nicht zu verantworten.“ Ein Gnadengesuch der Ehefrau wies der Generalstaatsanwalt Stuttgart ab. Pflederer wurde nach Ludwigsburg „zurückversetzt“.
Als das Ende der Strafhaftzeit nahte, empfahl der Ludwigsburger Anstaltsleiter die Einweisung in ein Konzentrationslager: „Pflederer ist faul, mit Nichts zufrieden, lehnt jede Autorität ab, er ist der typische Meckerer, der insbesondere in der gegenwärtigen Zeit nicht in die Freiheit entlassen werden darf. Ich halte polizeiliche Vorbeugehaft für geboten“.
Und der Anstaltsgeistliche sekundierte: „Pflederer war früher Straßenwart, hat aber dieses Amt nach Mitteilung des Pfarramts durch sein unbeherrschtes Gerede verloren. Er ist in hohem Maße Neurastheniker [Neurasthenie = "Nervenschwäche"], vollkommen seinen Launen und Stimmungen unterworfen und von einer bis an direkte Feindlichkeit und Gehässigkeit grenzenden ablehnenden Haltung allen positiven Lebensaufgaben gegenüber. Er hat den Glauben an den Sinn des Lebens und der Welt verloren. Eine eingehende psychiatrische Begutachtung des Mannes wäre wohl angezeigt. Bei seiner Veranlagung ist eine Wiederholung ähnlicher Äußerungen, die zu seiner Bestrafung geführt haben, sehr wahrscheinlich.“
Mit diesen Stellungnahmen des Zuchthausdirektors und eines Geistlichen war der weitere Weg des politisch missliebigen „Querulanten“ vorgezeichnet. Die Gestapo Stuttgart, Dienststelle II D (Schutzhaft), ließ Pflederer nach Verbüßung seiner Justizstrafe am 17. Juni 1940 in das Stuttgarter Polizeigefängnis II verbringen. Der Gestapo-Routine gemäß kam Pflederer anschließend in das Polizeigefängnis Welzheim und von dort in das Konzentrationslager Dachau. Als Dachau-Häftling Nummer 14121 „Sch“ (Schutzhaft) war er in der Stube 3 auf Block 6 unter anderen zusammen mit dem Stuttgarter Bosch-Arbeiter Willy Freymüller, dem es „unvergesslich“ blieb, dass Pflederer im Herbst 1940 „zu einer Stunde Baumhängen verurteilt“ wurde. Nach Pflederers eigener Erinnerung war es ein gewisser SS-Unterscharführer Beck, der ihn „in der üblichen Weise mit nach hinten gerenkten Armen an einem Baum aufhängen“ ließ. Nach dem Abhängen schlug ihm Beck mit dem Knauf eines Ochsenziemers vier Zähne ein und das Gesicht blutig. Zum Arbeitseinsatz kam Pflederer in das Dachau-Außenkommando SS-Kaserne/Junkerschule Bad Tölz.
Mitte Juni 1943 wurde Pflederer dem KZ Flossenbürg (Häftlingsnummer 2594) überstellt. Offenbar hatte er sich im Konzentrationslager auf das Handwerk seines Vaters besonnen und als „Schuster“ ausgegeben, was ihm bessere Haftbedingungen und Überlebenschancen in Aussicht stellte. So kam er in der Zeit vom 16. Juni 1943 bis zum März des folgenden Jahres als Schuhmacher zum Nachrichten-Ersatzregiment der Waffen-SS Nürnberg. Bereits im Mai 1940 waren erste Häftlinge aus dem KZ Flossenbürg für Bau- und andere Arbeiten in dieser SS-Kaserne eingetroffen.
Am 11. März 1944 wurde er ins KZ Mauthausen verlegt. Hier trug er die Nummer 56700, Kategorie „Schutz“, und den Roten Winkel der politischen Häftlinge. Er wurde vorübergehend als Hilfsarbeiter im KZ Gusen eingesetzt und kam anschließend am 21. Juni 1944 als Facharbeiter in die Häftlingsschusterei.
Am 5. Mai 1945 befreit im KZ Gusen, konnte er nach Hause zurückkehren. Ab Juni 1945 arbeitete er wieder auf dem eigenen Hof in Oberbrüden und verdiente nebenbei noch 50 Mark monatlich als Briefträger. Pflederer wurde von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) als politisch Verfolgter anerkannt und erhielt den polizeilichen Großen KZ-Ausweis Nr. 458.
Doch auch in der Nachkriegszeit erwies Pflederer sich weiterhin als ein unbequemer Streiter. So beschwerte sich etwa die VVN-Kreisstelle Backnang in einem Schreiben an das Amt für die Wiedergutmachung Stuttgart vom 25. August 1947: „Wir möchten nicht unterlassen darauf hinzuweisen, dass uns Pflederer seit einiger Zeit systematisch übergeht. Grund hierfür ist, dass wir ihm in einer Sache, wo wir seine Forderung als unbillig und nicht berechtigt angesehen haben, unsere Unterstützung versagen mussten. Abgesehen davon sind wir der Ansicht, dass Pflederer in der Vielfalt seiner Forderungen überhaupt etwas zu weitgehend ist.“ Da Pflederer sich mit gewissem Erfolg selbstbewusst direkt an die zuständigen Stellen gewandt hatte, glaubte die düpierte Backnanger VVN über sich selbst die Feststellung treffen zu müssen, dass „einzig wir berufen sind, für Kameraden unseres Kreises Gutachten und Befürwortungen abzugeben, da ja in der Regel nur wir die Verhältnisse kennen.“
Aufgrund seiner Anträge auf Sofortnothilfen erhielt Pflederer, der sich in einer drückenden finanziellen Notlage befand, noch vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts (Entschädigungsgesetz – USEG vom 26. April 1949) insgesamt Zuwendungen von cirka 4200 Mark. Im Juni bekam er zusätzlich 1000 Mark zum Kauf eines Ackers.
Auch in Sachen Aufarbeitung des ihm widerfahrenen Unrechts erwies Pflederer sich als streitbar. Im Oktober 1949 versuchte er die Wiederaufnahme eines Spruchkammerverfahrens gegen einen gewissen Wilhelm K. zu erreichen, der ihn nach seiner Meinung im Jahr 1938 angezeigt hatte. Das Ansinnen wurde aber abgewiesen mit der Begründung, es hätte sich erwiesen, dass Kreisleiter Alfred Dirr und eine weitere Amtsperson es gewesen seien, die Pflederer angezeigt hätten. Letztere könnten aber nicht mehr belangt werden, da beide verstorben seien. Da der Verdacht nahe lag, dass man versuchte, Toten die Schuld in die Schuhe zu schieben, hielt diese Auskunft Pflederer nicht davon ab, im Dezember 1949 Strafanzeige gegen Wilhelm K. und zudem gegen einen gewissen S. wegen Freiheitsberaubung zu stellen.
Was Pfleiderers Krankheit und Persönlichkeitsbild betraf, gelangte ein von der Landesversicherungsanstalt (LVA) Württemberg in Auftrag gegebenes ärztliches Gutachten vom Juni 1954 zu einem anderen Befund als seinerzeit Zuchthausdirektor und -pfarrer: Pflederer habe angegeben, seit einem achttägigen Trommelfeuer bei Verdun im Ersten Weltkrieg ein Herz- und Nervenleiden zu haben. Der Arzt diagnostizierte einen Herzmuskelschaden und eine Coronarinsuffizienz, die „wahrscheinlich auf die Verfolgung“ zurückgingen. Pflederer sei ordentlich, eifrig, dienstbereit, ehrlich, offen aber unkritisch, psychopathisch, bei guter Selbst- und Lebensbeobachtung. Seine Erwerbsfähigkeit, gemessen an der vollen Leistungsfähigkeit seiner Altersstufe, sei um 60 Prozent gemindert. Die verfolgungsbedingte Erwerbsfähigkeit betrage 30 Prozent.
Pflederer erhielt in der Folge eine monatliche Rente von 100 DM, außerdem eine Nachzahlung von 1.500 DM. Wilhelm Pflederer starb am 29. Februar 1960.
Die Markierung auf der Übersichtskarte zeigt den Ort Auenwald-Oberbrüden (Rems-Murr-Kreis), in welchem Wilhelm Pflederer mit seiner Familie lebte.
Quellen und Literatur
ITS Digital Archive, Arolsen Archives
0.1 / Dok. 46099655, 46099659, 46099660
1.1.26 Individuelle Häftlingsunterlagen – KL Mauthausen, Wilhelm Pflederer
Staatsarchiv Ludwigsburg
EL 350 I Bü 658
E 356 d V Bü 2444
FL 300/33 I Bü 15597
Rolf Königstein: Alfred Dirr, NSDAP-Kreisleiter in Backnang. Ein Nationalsozialist und die bürgerliche Gesellschaft. Backnang 1999.
© Text und Recherche:
Roland Maier, Stuttgart
Stand: Juni 2024
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